Taxi, bitte!

Abgefahren: Unterwegs mit dem profil-Wahltaxi

Abgefahren: Unterwegs mit dem profil-Wahltaxi

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„Der Kasperl hat noch immer alle erschlagen.“ Ein Lugner-Wähler. Endlich! Fünf Tage bin ich als Journalist mit Taxi-Lizenz durch Wien gekurvt, bei Tag und bei Nacht. Nun stoße ich ausgerechnet bei der letzten Fuhre auf den ersten „Mörtel“-Wähler. Der Baumeister war in aller Munde, aber im Ausschluss- Prinzip. „Den Lugner sicher nicht. Der alte Mann soll daheim bei seinem Spatzi bleiben“, sagte die gebürtige Türkin und Billa-Verkäuferin Hülya bei der ersten Fahrt.

"Wissen Sie schon, wen Sie wählen?"

Und nun, bei der letzten, doch ein echter Wähler. Er ist kein jugendlicher Dauergast der Lugner City, sondern ein 74-jähriger Pensionist mit Vornamen Rainer. Er und seine jüngere Frau arbeiteten in der Automobilbranche. Wir reden erst über das 380-PS-starke Elektro-Taxi Marke Tesla, das in drei Sekunden auf 100 zieht. Ich drücke die beiden kurz in den Rücksitz. Dann bremse ich ab und frage behutsam: „Wissen Sie schon, wen Sie wählen? Ich bin Journalist.“ Sie steigen darauf ein. Seine Frau ist noch unentschlossen. Er sagt: „Ich wähle Lugner, weil er wirtschaftlich etwas geschaffen hat. Davor habe ich Respekt.“ Die meisten der insgesamt 50 Fahrgäste outen ihre Favoriten. Denn der Urnengang bewegt die Österreicher, sie haben mit sich gerungen, das zeigt die Wahlfahrt durchs echte Leben.

Als Taxler fährt man durch ein Land, das die Ausfahrt aus dem alten System längst genommen hat.

Ein Taxi ist wie ein Zufallsgenerator. Ein Chauffeur weiß nie, in welcher Ecke er als Nächstes landet, mit wem er die nächsten Minuten auf engstem Raum verbringt und in welche Lebenswelten er eintaucht. Die Spanne reicht vom gestressten Professor über den Nachmittagstrinker bis zur Prostituierten und Mutter, für die eine Taxifahrt nach Favoriten ein seltener Ruhemoment zwischen Separee und Kinderzimmer ist.

Vom politischen Drehmoment gesehen, erleben Taxler dieser Tage eine Fahrt durch ein Land, das die Ausfahrt längst genommen hat – runter von der ausgefahrenen Spur von ÖVP und SPÖ.

Inside Profil-Wahltaxi. Fahrgäste outen ihren Präsidenten.

Flüssige Angelegenheit

Der 26-jährige Software-Entwickler Manuel steigt beim Rathausplatz zu. Dort läuft das „Steirerfest“. Trachtenpärchen umkreisen mit Gläsern in der Hand den Sitz des Bürgermeisters. Eine sehr flüssige Angelegenheit. Flüssig verläuft auch das Geschäft der Taxis, die ihre illuminierten Gäste im Akkord aufsammeln. Manuel und seine Freundin wollen in den Bezirk Ottakring. Er ruht sich auf ihrem Schoß aus. Politik interessiert die beiden in diesem Moment wohl so sehr wie ein weiterer Schluck Schilcher. Ich stelle sie trotzdem vor die Wahl. Manuel schießt hoch und sagt wie ausgewechselt: „Van der Bellen!“ – „Ich auch“, wirft die Freundin ein. „Er vertritt das Positive in der Gesellschaft. Wir leben in einer wunderbaren Welt. Es ist wichtig, dass jemand das Positive hervorkehrt“, sagt Manuel. Die Asylpolitik entscheidet seine Wahl. „Wir sollten jedem Schutz gewähren, der ihn braucht. Das ist verdammt nochmal unsere Pflicht in einer Wohlstandsgesellschaft.“ Er erinnert sich an die strahlenden Augen von Flüchtlingskindern, als er ihnen Wasserfarben schenkte.

Van der Bellen hat eine klarere Haltung.

Warum wählt der linke Fahrgast nicht den SPÖ-Kandidaten Hundstorfer? „Van der Bellen hat eine klarere Haltung.“ Hundstorfer sei zwar ein guter Mensch, aber zu wenig standhaft, um beim Asyl gegen die Parteilinie aufzutreten. Beim Aussteigen warnt er noch leidenschaftlich vor dem blauen Hofer. „Der ist gefährlicher als Strache. Er wirkt wählbar. Aber wenn man seine Aussagen analysiert, merkt man, wie gefährlich er ist.“ Hofer, der „Wolf im Schafspelz“ – eine von Fahrgästen oft bemühte Metapher.

Zurück zum Steirerfest. Eine gut gelaunte Männergruppe aus der Steiermark steigt zu. „Ich wähl den Hofer“, sagt der etwa 50-jährige Ziviltechniker Willi am Beifahrersitz. „Er ist jung, immerhin ein Ingenieur und für mich der gemäßigte Blaue. Und er hat als Einziger eine Vision.“ – „Heil“, grüßt der begeisterte Jäger zum Abschied und steigt aus. Manuel und Willi. Ein Fest, zwei Fahrten, zwei Welten.

"Ich wähl Hofer"

Ein lässig gekleideter Typ steigt im Innenstadt- Club zu. Er fällt in den Ledersitz und lässt mit seiner Freundin den Abend Revue passieren. FM4-Hörer und Van der Bellen-Wähler, ergibt die Schnell-Schätzung. Beim Aussteigen in Döbling deklariert er sich. „Rot, Schwarz, Grün, das hatten wir alles. Und nichts hat sich geändert. Sagen wir, wie es ist: Ich wähl Hofer.“ Er ist Chef einer kleinen Sicherheitsfirma. Bei Unternehmern zieht „der gute Strache“. Ich erinnere mich an die Wien-Wahl. Damals hatten die Gäste im profil-Wahltaxi größere Scheu, sich als Blaue zu outen, und stellten ihren Bekenntnissen „Ich bin kein Nazi, aber …“ voran.

Auch Lugner-Fan Rainer und seine Frau werden in einer Stichwahl Hofer wählen, weil er „jung und vital“ ist. Dessen 45 Lenze ziehen besonders bei älteren Semestern. Die 75-jährige Ex-Spitzenbeamtin Eva steigt nach Ende des Peter-Handke-Stücks „Die Unschuldigen“ beim Burgtheater zu. „Unter all den Unfähigen muss ich ja einen wählen. Hofer ist wenigstens jung. Dagegen wirkt Van der Bellen ja schon senil. Der hält das Amt keine sechs Jahre durch.“ Dann räsoniert sie über das Wesen von Politik, die seit den Römern immer in dieselben Muster verfalle. „Man darf das den Jungen nicht sagen, aber es gibt keine Hoffnung“, scheint sie noch sichtlich beeindruckt von der resignativen Grundstimmung des Stücks.

Die Jugend hofft auf Alexander Van der Bellen, dessen Alter (72) viele als Bonus sehen. „Für mich ist Van der Bellen fast eine historische Figur. Er hat das meiste Charisma. Das ist wichtig für einen Präsidenten“, sagt der 24-jährige Publizistikstudent Paul.

Der nächste Gast, ein Professor, der in der Schweiz lehrt, würde sich den Professoren-Kollegen als eine „Visitkarte für Österreich“ in der Hofburg wünschen.

Blau gegen Grün

Das außen blaue und innen grüne Elektro-Taxi scheint Programm zu sein. Besonders abgehängt: Schwarz. ÖVP-Kandidat Andreas Khol: Fehlanzeige. Fahrgäste berichten zwar von erzkatholischen Verwandten, die für ihn stimmen. Ins Taxi verirrt sich aber kein Vertreter der Wählergattung. Kein Vergleich dazu die unabhängige Kandidatin Irmgard Griss. Im Taxi würde sie auf Platz drei landen. Ein geschniegelter Immobilienmakler fährt mit Freunden ins Theater am Spittelberg. „Eine oberste Richterin, die unsere Rechtsordnung im kleinen Finger hat als Präsidentin: Was kann unserem Land Besseres passieren?“, schwärmt er. Ein paar Fuhren später steigt Start-up-Unternehmer Stefan zu. Er ist Mitglied bei den NEOS und denkt, dass eine unabhängige Kandidatin das alte System am ehesten knacken kann. Anderen Fahrgästen ist Griss hingegen zu „gouvernantenhaft“.

Taxi-Standplatz Josefstädter Straße bei der U-Bahn-Station. Wie ein Undercover-Agent beobachte ich das offene Treiben der Drogendealer. Da erreicht mich ein Funkruf in den Nachbarbezirk. Eine ältere Dame steigt zu, Ziel: Volkstheater. „Die Dame gefällt mir einfach nicht“, hadert die pensionierte Krankenschwester Elisabeth mit sich. Sie würde Griss gerne wählen. Doch tief drinnen wehrt sich etwas gegen die Kandidatin mit der biederen Aura. Vielleicht ist es das rote Herz Elisabeths, das in ihrer Brust schlägt und sich nicht für eine Bürgerliche erwärmen kann. „Ich war immer SPÖ.“ Warum dann nicht Rudolf Hundstorfer? „Der soll dort bleiben, wo er ist. Die Hofburg passt nicht zu ihm.“ Bei einem roten „Sir“ Marke Franz Vranitzky, da hätte sie nicht zwei Mal überlegt.

Doch auch der „Rudi“ hat seine Fans, zumindest jene, die ihn persönlich kennengelernt haben. Der 45-jährige Krankenbetreuer Toni hat Hundstorfer durchs Allgemeine Krankenhaus geschoben, als dieser an einer Skiverletzung laborierte. „Er ist am Ende zu mir gekommen, hat mir die Hand geschüttelt und hat sich persönlich bedankt. Ich wähl den Rudi. Da überleg ich gar nicht groß.“

„Idealist“ Hundstorfer

Auch der Tiroler Architekt Andi, der mich in der Inneren Stadt heranwinkt, schwärmt von Hundstorfer. Er jettete wiederholt im selben Flieger nach Innsbruck. „Er ist schon damals mit uns in der Economy-Class gesessen, und man konnte mit ihm plaudern. Zum Flieger fuhr er wie alle anderen mit dem Bus und hatte statt einer Entourage nur eine Sekretärin an der Seite.“ Seine hölzernen TV-Auftritte verzeiht Andi dem „Idealisten“ Hundstorfer. Der 45-jährige Peter hat den roten Kandidaten nie persönlich getroffen. Ein freundliches Händeschütteln hätte ohnedies nicht gereicht. Denn von der Sozialdemokratie fühlt sich Peter längst nicht mehr vertreten. Er ruft mich per Funk ins Café Susi im äußersten Teil Meidlings. Er trägt Vollbart und Rasta-Locken. Van der Bellen-Wähler, würde man meinen. „Ich bin ein guter Dachdecker und mag meinen Job. Aber ich arbeite bei einer Leiharbeitsfirma. Dort habe ich vor ein paar Jahren noch elf Euro in der Stunde verdient, heute sind es nur noch sieben.“ Pendler aus Ungarn und Polen würden die Preise in den Keller drücken. Er wählt Hofer, weil er sich von diesem einen besseren Schutz heimischer Arbeiter erwartet.

Am anderen Ende Wiens in der Donaustadt. Ähnliche Zeit, ähnliches Beisl. „Schreib auf, wir wählen Blau.“ Der resolute Herr war Straßenbahnfahrer und ist nun in die Pensions-Remise eingefahren. „Die Flüchtlinge sind arme Hunde. Helf ma ihnen, okay. Aber es kann nicht sein, dass sie, ohne etwas eingezahlt zu haben, mehr kassieren, als meine Mutter bekommt. Die hat nach dem Krieg Ziegel g’schupft.“ Seine Frau auf der Rückbank nickt still. Die härtere Flüchtlingspolitik der SPÖ haben die beiden registriert. „Jetzt könnt’ ma sie eigentlich wieder wählen.“ Der rote Bürgermeister Michael Häupl will sie aber gar nicht zurückhaben. Er taufte Blau-Wähler wie diese beiden jüngst „mieselsüchtige Grantler“.

Die SPÖ war immer gut zu den Türken.

Funkruf am späten Nachmittag in eine Spelunke im 15. Bezirk. Ein Mann um die 30 steigt mit einer frisch gelieferten Pizza zu. Bis zum Schöpfwerk frisst sich der Geruch tief in die Sitze, er überdeckt die Alkoholausdünstungen des Vorgängers. „Ich bin gelernter Bäcker und verdiene 2000 Euro brutto. Aber jetzt bin ich immer wieder arbeitslos, weil Afghanen oder Araber um die Hälfte schwarz arbeiten“, erzählt er auf dem Weg ins Schöpfwerk. Ein ähnliches Los wie jenes von Dachdecker Peter. Im Schöpfwerk angekommen, beklagt der Fahrgast die steigende Zahl von Arabern im Gemeindebau. Mit ihnen wolle er nichts zu tun haben. Trotzdem werde er nicht „FPÖ“, sondern „SPÖ“ wählen. Er ist gebürtiger Türke. „Die SPÖ war immer gut zu den Türken.“ Zum Abschied gebe ich ihm den Tipp, auf dem Stimmzettel nicht die Partei, sondern den Namen des Kandidaten zu suchen. Am Ende der Schicht esse ich Pizza.

Den Tesla stellten die Öko-Taxi-Betriebs-GmbH und 31 300 zur Verfügung.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.