Ökonomin Mariana Mazzucato: "Das neoliberale Modell ist gescheitert"

Die Ökonomin Mariana Mazzucato sorgt mit linken Thesen für Aufsehen. Im Interview erklärt sie, warum der Staat ein neues unternehmerisches Selbstverständnis braucht.

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profil: Wird Donald Trump mit Amerika das machen, was er geschäftlich schon geschafft hat - bankrott? Mazzucato: Donald Trump hat Amerikas Probleme auf die Ausländer geschoben, auf schlechte Handelsabkommen und auf ein unklares Konzept einer "manipulierten Wirtschaft". Den wahren Grund für die wachsende Ungleichheit hat er verschwiegen: Das neoliberale Modell ist gescheitert. Die Gehälter stagnierten und der Lebensstandard wurde allein durch die Verschuldung der Konsumenten erhalten. Wenn Trump jetzt auch noch die Steuern senkt und Obamacare zusammenstreicht, wird alles nur noch schlimmer. Seine Idee, in Infrastruktur zu investieren, ist gut. Aber welche meint er? Wenn er dabei immer noch anti-staatlich argumentiert, dann wird es nichts helfen, in ein paar Brücken und Straßen zu investieren. Er braucht eine dynamische industrielle Strategie.

Trump hat sein Geld nicht mit Geschäften gemacht, die Wert geschaffen haben

profil: Könnte der Geschäftsmann Trump als Präsident umgekehrt die unternehmerische Seite des Staates stärken? Mazzucato: Trump hat sein Geld nicht mit Geschäften gemacht, die Wert geschaffen haben. Er hat Tricks angewandt, Steuerlöcher ausgenützt, und wenn er am Ende war, seine Lieferanten nicht bezahlt. Wenn er so regiert, dann bekommen Amerika und die Welt große Probleme.

profil: Österreichs Kanzler Kern scheint Ihre Thesen verstanden zu haben. Er wachelt gerne mit seinem iPhone, wenn er über Innovation und Staat spricht. Mazzucato: Die Sache mit dem iPhone ist die: Die Technologie des iPhones wurde vom Steuerzahler bezahlt. Das Navigationssystem GPS wurde ursprünglich von der US-Navy entwickelt. Das iPhone-Programm Siri wurde von DARPA entwickelt, dem Investment-Arm des amerikanischen Vereidigungsministeriums. Die CIA zahlte für die Entwicklung des Touchscreens. Wir müssen uns eingestehen, dass der Staat eigentlich eine aktive und führende Rolle als Investor gespielt hat.

profil: In Österreich, einem eher konservativen Land, wird Kern es nicht ganz leicht haben, revolutionäre Staatskonzepte durchzusetzen. Mazzucato: Christian Kern hat zwei große Vorteile. Erstens hat er Erfahrung im Transportwesen gesammelt -er musste sich schon dort überlegen, wie Industrie und Innovation zusammenhängen. Außerdem hat Österreich wie auch die skandinavischen Länder einen Kapitalismus der Interessensvertreter - und nicht nur der Teilhaber. Das heißt: Gewerkschafter sitzen in den Vorstandssitzungen, sie treffen die Eigentümer nicht nur bei Streiks. Dadurch könnte inklusives Wachstum befördert werden. Der unternehmerische Staat sollte sich darauf konzentrieren, gesellschaftliche Herausforderungen wie Ungleichheit, Klimawandel oder Überalterung in konkrete Missionen umzusetzen, die von Innovation gelöst werden können. Dafür braucht er eine Vision. Er muss dort eine führende Investitionsrolle spielen, wo es für den Privatsektor zu risikoreich ist. Es geht also nicht nur um reine Forschung, sondern um die ganze Innovationskette: Forschung, Anwendung, riskante und langfristige Finanzierung von Firmen. Das Spielfeld dafür ist grüne, Bio-und Nanotechnologie.

Die EU wurde für Probleme verantwortlich gemacht, an denen Großbritannien selbst schuld ist

profil: Erklären Sie das jetzt auch der britischen Premierministerin Theresa May? Nach dem Brexit werden die Briten ihren Staat innovativ umbauen müssen, oder? Mazzucato: Ja, ich war schon zweimal bei ihr in Downing Street. Ich finde den Brexit herzzerreißend. Die EU wurde für Probleme verantwortlich gemacht, an denen Großbritannien selbst schuld ist: niedrige Produktivität und hohe Ungleichheit. Brexit zu managen, wird ein Jahrzehnt brauchen. Britannien wird jetzt erst einmal dadurch geschwächt, dass die Regierung teure Experten bei Dienstleistern wie KPMG einkaufen muss. Es kennen sich einfach nicht genug eigene Leute mit dem EU-Recht aus. Ob das zu mehr Souveränität führt?

profil: So gesehen müsste der Staatsdienst jedenfalls cooler werden, um mehr Talente anzuziehen. Mazzucato: Es ist aufregender, dort zu arbeiten, wo es eine Mission gibt. Das US-Energieministerium hat soeben als Leiter von ARPA-E, der Schwesterorganisation von DARPA, einen Physiker eingesetzt, der einen Nobelpreis gewonnen hat. In Europa ist man zu sehr auf Austerität konzentriert. Da ist es viel schwieriger, Talente heranzuziehen. Warum hat Amerika einen Mann auf den Mond geschickt? Es war eine strategische Mission. Heute müssen wir uns fragen: Was ist die Mannauf-dem-Mond-Mission von 2016? Energie und Gesundheit sind heute die großen Herausforderungen. Diese Optionen müssen als strategische Missionen mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Dann wird die Geschäftswelt folgen.

profil: Nicht jeder kann einen Mann auf den Mond schicken. Wie können kleine Länder wie Österreich hier punkten? Mazzucato: Sehen Sie sich Dänemark an. Dänemark hat eine ernsthafte grüne Mission entwickelt. Die Dänen haben nicht bloß Kohlenstoffsteuern eingeführt und erneuerbare Energien forciert. Die wollten Nummer eins in der Welt für erneuerbare Technologie und grüne Dienstleistungen werden. Das haben sie geschafft. Sie versorgen die Chinesen mit grünen High-Tech-Diensten. China gibt 1,7 Billionen Dollar für grüne Technologien aus. Die Dänen schafften das, weil sie zwischen Produktion und Dienstleistungen Synergien geschaffen und China als Chance verstanden haben.

profil: Trotzdem ist es wohl hilfreich, wenn eine potente Armee in Kombination mit starken Geheimdiensten die Entwicklung von Technologie fördert. Siehe USA und Israel. Mazzucato: Da haben Sie recht, zumindest was die Vergangenheit betrifft. Aber es muss nicht zwingend mit Verteidigung zu tun haben. Das zweitgrößte Budget in Amerika hat das Gesundheitsressort - über 30 Milliarden Dollar pro Jahr. Oder denken Sie an die staatliche deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wir sollten uns eingestehen, dass öffentliche Banken tun können, was private Banken nicht gut können: Wachstum in einer realen Wirtschaft zu fördern. In Europa könnten die Staaten versuchen, strategische, öffentliche Fonds zu entwickeln, die höhere Risiken eingehen und in kapitalintensive Bereiche investieren. Die KfW war darin bisher sehr gut.

Wir brauchen heute ein Wachstum, das smart, inklusiv und nachhaltig ist. Europa kann dafür das Modell werden

profil: Für einzelne Staaten könnte das zu risikoreich sein, sollte man das nicht besser auf EU-Ebene versuchen? Mazzucato: Die Fonds der Europäischen Union müssen mit den nationalen Institutionen zusammenarbeiten. Das Horizont-2020-Programm der EU hat 80 Milliarden Euro für innovative Projekte zu vergeben. Doch wenn dieses Geld nach Spanien geht, wo gerade staatliche Forschungsprogramme zuammengestrichen wurden, um das Defizit zu verringern, dann verpufft der Effekt. Das ist kontraproduktiv. Europäische Finanzierung soll helfen, nationale Projekte zu ermöglichen. Die Europäische Investitionsbank EIB versucht dies. Darum ging es auch zu Beginn beim Europäischen Projekt, es war doch mehr als eine Wirtschaftsunion. Es ging um Solidarität und europäische Werte. Wir brauchen heute ein Wachstum, das smart, inklusiv und nachhaltig ist. Europa kann dafür das Modell werden. Gerade jetzt, wo wir den negativen Angstparolen von Donald Trump etwas entgegensetzen müssen.

Mariana Mazzucato, 48, ist ein Shootingstar unter den Ökonomen. In Italien geboren, in Amerika aufgewachsen und in England ansässig, unterrichtet die Professorin für innovative Wirtschaft an der University of Sussex -und berät Regierungen. Ihr Buch "Das Kapital des Staates: Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum" erschien 2014 und erntete viel Beifall. Am 18. November diskutiert die Ökonomin mit Bundeskanzler Christian Kern an der Wiener WU über "Public Investment and Inclusive Growth".

Tessa   Szyszkowitz

Tessa Szyszkowitz