Über Haltungsjournalismus und Haltungsprobleme
Etablierte Medien – auch profil – stehen seit einiger Zeit unter einem Verdacht. Es handle sich bei dem, was sie tun, nicht um Journalismus, sondern um eine pervertierte Form davon: um „Haltungsjournalismus“. Was genau ist damit gemeint?
Der Vorwurf kommt vorwiegend aus der politisch rechten Ecke, also ist es sinnvoll, den Begriff „Haltungsjournalismus“ von jemandem aus diesem Lager definieren zu lassen. Die FPÖ-Nationalratsabgeordnete Susanne Fürst formuliert es in einer Parlamentsdebatte über die Förderung von Qualitätsjournalismus so: „Aufgabe des unabhängigen Journalismus ist es, Themen auszuwählen, zu recherchieren, objektiv und ausgewogen zu berichten – und die Meinungsbildung den Konsumenten der Medien zu überlassen. Es ist nicht die Aufgabe eines unabhängigen Journalisten, ‚Hofberichterstattung‘ zu betreiben.“ Es sei weiters „nicht Zeichen eines unabhängigen Journalismus, den Medienkonsumenten persönliche Meinungen quasi als einzig zulässige Sichtweise mit moralisierend erhobenem Zeigefinger vorzusetzen. Das ist nicht objektiv, sondern tendenziös, bevormundend und unzulässig. Da sind wir dann beim sogenannten Haltungsjournalismus“, so Fürst.
Das klingt so, als würde sich Fürst, stellvertretend für alle Kritiker des Haltungsjournalismus, für eine besonders reine, makellos neutrale Form der Berichterstattung starkmachen. Interessanterweise ist genau das Gegenteil der Fall. Die Medien, die von der FPÖ hofiert und als vorbildhaft dargestellt werden, agieren so parteilich, wie das sogenannte etablierte Medien niemals tun würden.
Zwei Beispiele für sogenannte Alternativmedien, die vom Rechtsaußen-Lager den verteufelten „Mainstream-Medien“ entgegengesetzt werden: Das Portal „Info-direkt“ gibt als „Ziel der Berichterstattung“ an: „Wir geben Patrioten eine starke Stimme und brechen die alleinige und für die Völker Europas schädliche Deutungshoheit der Einheitsmedien auf.“ Der „Heimatkurier“ bietet nach eigenen Angaben „genuin rechten und aktivistischen Inhalten eine verlässliche Plattform“. Das klingt nicht gerade nach obsessivem Objektivitätsgebot.
Der Sachverhalt ist erwartbar banal: Wenn sich die Meinungen und Kommentare der Medien – kurz: deren Haltung – mit denen der Kritiker des „Haltungsjournalismus“ decken, haben diese gegen eine „Bevormundung“ der Leserinnen und Leser plötzlich überhaupt nichts einzuwenden. Die Kritiker des Haltungsjournalismus haben sich eines Begriffs bemächtigt, um missliebige Medien zu diskreditieren. Sie lehnen Medien ab, die Meinungen publizieren, die ihnen nicht schmecken, und lesen stattdessen lieber ihre Propaganda. Diese Strategie ist allzu durchsichtig.
Cancelling ist keine journalistische Tugend. Unsere Haltung heißt Aufklärung.
Das beweist jedoch nicht, dass der Vorwurf des Haltungsjournalismus gegenüber den etablierten Medien falsch ist. profil und andere seriöse Medien vergleichen sich nicht mit „alternativen“ Propagandamedien. Wir haben den Anspruch, einen Journalismus zu betreiben, der auch in der Frage, wie wir mit Meinungen, mit Unabhängigkeit und mit Ausgewogenheit umgehen, allen Kriterien entspricht.
Worin also besteht unsere Haltung? Beginnen wir mit dem vielleicht wichtigsten Punkt, der Unabhängigkeit. Die lässt sich leicht behaupten, aber lässt sie sich auch beweisen?
Ja. Etablierte Medien decken große und kleine Missstände auf, und daran, dass sie dies bei Personen und Institutionen aller Parteien tun, kann man ablesen, dass sie dabei unbestechlich vorgehen. Vom AKH-Skandal bis zu Kurt Waldheims Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg, von der Ibiza- bis zur Inseratenaffäre, von Helmut Zilks Aktivitäten als Spion bis zu Lena Schillings kuriosen Privatverwicklungen wurden alle großen Machenschaften und kleinen Eklats, in die Politikerinnen und Politiker aller Regierungsparteien verwickelt waren, von den sogenannten Mainstream-Medien aufgedeckt – viele der genannten übrigens von profil. Die Anschuldigung, diese Medien betrieben „Hofberichterstattung“, kann damit wohl als erledigt betrachtet werden.
Wie aber verhält es sich mit der Ausgewogenheit? An diesem Punkt wird es nun tatsächlich heikel, und das hat auch mit der Haltung zu tun.
Das Problem ist nicht, dass Journalistinnen und Journalisten eine Meinung haben. Meinungskommentare und Leitartikel sind ein uraltes, sinnvolles Genre. Ein guter Kommentar leitet mittels nachvollziehbarer Argumente eine Meinung her. Die kann man teilen oder nicht, das stellt keine Bevormundung dar. So einfach lassen sich Leserinnen und Leser – zum Glück – nicht manipulieren, davon zeugen jede Woche negative Reaktionen auf profil-Kommentare.
Pluralistische Redaktionen zeichnen sich zudem dadurch aus, dass sie über widerstreitende Meinungen verfügen. Als die Coronapandemie und die Debatte über sinnvolle Gegenmaßnahmen ihren Höhepunkt erreichten, lieferten einander profil-Redakteurin Rosemarie Schwaiger und der Leiter des profil-Wissenschaftsressorts Alwin Schönberger ein hitziges Streitgespräch unter dem vielsagenden Titel „,Das wissen wir nicht!‘ – ‚Doch, das wissen wir!‘“ Und schließlich bedienen sich Zeitungen und Magazine auch Gastkommentatorinnen und Gastkommentatoren, um Meinungen zu publizieren, die nicht aus der Redaktion kommen.
Auf diese Weise bildeten Medien seit jeher die öffentliche Debatte über alle strittigen und relevanten Themen ab, egal ob Atomkraft, Abtreibung, EU-Beitritt, Gentechnik, Globalisierung …
Plötzlich aber klappt das nicht mehr. Eine tiefe Kluft hat sich aufgetan zwischen der rechtspopulistischen, nach Eigendefinition „patriotischen“ Strömung und dem, was diese Bewegung das „System“ nennt. Zu dem „System“ gehören nach Ansicht der Rechtspopulisten neben Institutionen wie der Europäischen Union, der Menschenrechtskonvention, den Minderheitenrechten und allen anderen politischen Parteien auch die Medien. Letztere nämlich würden die Regeln stützen und verteidigen, nach denen Politik, Justiz und die Demokratie funktionieren.
Das ist nicht falsch. Aber sich zur liberalen Demokratie und zu den Menschenrechten zu bekennen, war lange Zeit so unstrittig, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, daraus den Vorwurf abzuleiten, Journalisten würden dieser Haltung wegen die Berichterstattung verfälschen. Jetzt aber betreibt Ministerpräsident Viktor Orbán in Ungarn Demokratieabbau, US-Präsident Donald Trump schränkt in den USA die Grundrechte ein, und in Österreich möchte FPÖ-Chef Herbert Kickl diesen Vorbildern nacheifern.
Wie sollen Medien darauf reagieren? Sollen wir Positionen, die wir als antidemokratisch erachten, präsentieren wie jede andere? ORF-Moderator Armin Wolf formulierte es in einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) so: „Feinde der Demokratie und Demokraten sind tatsächlich nicht gleich zu behandeln.“ Wo aber ist die Grenze dessen zu ziehen, was wegen Demokratiegefährdung nicht mehr als legitime Position gilt?
Georg Restle, Leiter und Moderator des deutschen TV-Magazins „Monitor“ (ARD), hält etwa die Forderung der Rechtsaußen-Partei AfD nach einer Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für einen Angriff auf einen der Grundpfeiler der Demokratie, dem man keine Bühne bieten sollte.
In der „New York Times“ wiederum sorgte ein Gastkommentar des republikanischen Senators Tom Cotton im Jahr 2020 für Aufsehen. Er hatte unter dem Titel „Send In the Troops“ (Setzt das Militär ein) gefordert, dass die US-Armee angesichts von Ausschreitungen rund um Demonstrationen gegen die Ermordung des Afroamerikaners George Floyd zur Verstärkung der Polizei zum Einsatz kommen sollte. Ein Teil der Redaktion der „New York Times“ protestierte, der verantwortliche Leiter der Meinungsseiten musste seinen Hut nehmen. Beanstandet wurde, dass Cottons Text falsche Behauptungen enthalten habe, und auch, dass bereits der Titel zu martialisch gewesen sei.
Sollen Medien solchen Forderungen eine „Bühne bieten“, wenn die eigene Haltung dem eindeutig entgegensteht?
Jede Vorgangsweise birgt Risiken. Wenn Medien alles abblocken, was sie ansatzweise als Gefahr für die Demokratie erachten, blenden sie damit ein Gutteil der aktuellen politischen Debatte aus. Das hat zur Folge, dass diese Medien an Relevanz verlieren, weil der Streit sich andere Austragungsorte sucht. Die Medienöffentlichkeit bekommt dann gar nicht mit, wie populär Aussagen sind, die aus den etablierten Medien herausgefiltert werden. Vor der ersten Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 hielt sich unter seinen Gegnern hartnäckig der Glaube, Trump sei weit weniger beliebt, als er tatsächlich war. Zudem würde ein großer Teil seiner Wähler gar nicht wissen, wofür er politisch stehe. Mittlerweile weiß man, dass Trump zwei Wahlen gewinnen konnte und dass seine Wähler genau wissen, was sie von ihm bekommen.
Wenn aber umgekehrt Medien einfach alles übernehmen, was die wachsende antidemokratische Bewegung hinausposaunt, machen sie sich damit zu Handlangern der Feinde der Demokratie.
Wo ist der Mittelweg?
profil hält unbeirrt daran fest, relevante Politiker zum Interview zu bitten, auch wenn deren Positionen der politischen Haltung der Redaktion widersprechen. Als unabhängiges, im Privateigentum befindliches Magazin sind wir nicht gezwungen, etwa FPÖ-Chef Herbert Kickl zu interviewen. Wir tun es aus Überzeugung. profil-Leserinnen und -Leser sollen erfahren, welche Pläne der „Volkskanzler“ schmiedet und was er unter „Remigration“ versteht. Der Begriff „eine Bühne bieten“ führt in die Irre. Ein profil-Interview ist für den Interviewten kein glamouröser Auftritt im Scheinwerferlicht, sondern ein hart geführtes Gespräch, in dem Aussagen hinterfragt werden.
Die Haltung äußert sich in den Fragen an den Interviewten und in den Kommentaren, nicht aber im Versuch, unsere Leserinnen und Leser vor Positionen zu bewahren, die wir nicht gutheißen. Die Medien sind noch dabei, ihre jeweils eigenen Grenzen im Umgang mit antidemokratischen Kräften zu finden, manche haben sie vielleicht anfangs zu eng gezogen. Cancelling ist keine journalistische Tugend. Unsere Haltung heißt Aufklärung.