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profil 10/1986: „Waldheim und die SA“

Eva Menasse über eine journalistische Bombe, die ganz sachlich gezündet wurde: Wie Hubertus Czernin die NS-Vergangenheit von Kurt Waldheim sezierte.

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Der fünfseitige Text „Waldheim und die SA“ von Hubertus Czernin, erschienen am 3. März 1986, wird für immer zu den fünf wichtigsten Texten in der Geschichte des profil gehören, ganz egal, was in dieser verrückten Welt noch alles passieren und wie alt das profil – Happy Birthday zum 55.! – letztlich werden wird.

Dieser Artikel war eine journalistische Bombe: Mit Genehmigung des damaligen Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim und in gleich dreiköpfiger honoriger Begleitung – der Leiter der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt, der Generaldirektor des Staatsarchivs und Waldheims Büroleiter – durfte Czernin, damals einfacher Redakteur im Innenpolitikressort, Einsicht in Kurt Waldheims „Wehrstammbuch“ aus dem Zweiten Weltkrieg nehmen. Viel war, wie Czernin schreibt, da nicht zu erwarten, „höchstens Aufschluß über Waldheims Kriegseinsätze, Verletzungen, Beförderungen, seine Einheiten“. Doch hing als Überraschung noch die Wehrstammkarte dran und bewies schwarz auf weiß, was Waldheim sogar dann noch vehement abstritt: dass er Mitglied der SA und des Nationalsozialistischen Studentenbunds gewesen war. Beide Organisationen per se hätten einen Präsidentschaftskandidaten nicht diskreditiert; es war Waldheims hysterisch-schuldbewusster Umgang damit, der ihn menschlich und moralisch so ungeeignet für das höchste Amt im Staat machte. Der Ausgang ist bekannt: Der journalistische Coup änderte nichts, die Österreicher wählten Waldheim mehrheitlich zum Bundespräsidenten, „jetzt erst recht“, und ein verbitterter Mann saß sechs Jahre lang einsam in der Wiener Hofburg, mit Einreiseverbot in die USA, nur gelegentlich von einem Scheich besucht. Wie anders die Zeiten heute sind; gegenüber Trump wirkt selbst ein Waldheim wie ein Leuchtturm der Moral.

Und dennoch ist die Bedeutung dieses Artikels gar nicht zu unterschätzen: Er war meisterliches journalistisches Handwerk, indem er die Öffentlichkeit präzise über eine nicht unkomplizierte Faktenlage aufklärte; Journalisten können sich bis heute daran ein Beispiel nehmen. In einer tadellos sachlichen, fast kargen Sprache präsentierte Czernin die Fundstücke ebenso wie – selbstverständlich! – entlastende Details, erzählte die Geschichte der vorangegangenen Gerüchte und Intrigen von Waldheims politischen Gegnern, die es ja wirklich gab. Und so – nicht mit Skandalgetue oder schreienden Schlagzeilen – zeichnete er schon damals im Grunde das ganze Bild, das Jahre später von einer internationalen Historikerkommission nur bestätigt wurde: An NS-Verbrechen hat Kurt Waldheim selbst nicht mitgewirkt, aber zweifelsfrei davon gewusst, und über seine Biografie hat er gelogen. Ironische Distanz ließ Czernin nur homöopathisch durchschimmern: „Reiterlich war Kurt Waldheim schon lange.“

OBJEKTIV 2015 - ÖSTERREICHS PRESSEFOTO DES JAHRES / SIEGER DER JUBILÄUMSKATEGORIE IKONEN (!!! ACHTUNG SPERRFRIST 20:30 UHR !!!)

Aus dem damals gerade 30-jährigen Innenpolitikredakteur Hubertus Czernin wurde einer der wirklich einflussreichen Journalisten Österreichs und später ein von seinen Redakteuren tief verehrter profil-Herausgeber. Diese Leitungsposition verlor er nach kaum vier Jahren aus Gründen, die einem heute noch die Schamesröte ins Gesicht treiben – für die damaligen Eigentümer war Czernin zu stur, zu eigensinnig, vor allem aber war sein moralischer Kompass für die üblichen schlampigen österreichischen Verhältnisse viel zu genau. Aber wer das Glück hatte, unter ihm arbeiten zu dürfen, hat von ihm etwas fürs Leben gelernt.