profil 13/1979: Der AKH-Skandal und „Die Baumafia“
Auf dem vergilbten Titelblatt des profil sieht man die eingerüstete Baustelle des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Darunter prangt in serifenloser 80er-Jahre-Typografie: „Die Baumafia“. Mit „Auftragsringelspielen, geheimen Absprachen und einem Konto in Liechtenstein“ habe sie den Steuerzahler um 50 Milliarden Schilling geschädigt.
Ein zweiter Schriftzug fällt auf: „Beschlagnahmt! 2. Ausgabe“ steht oben am Eck, fast schon ein bisschen frech. Der Artikel ist nun an mehreren Stellen geschwärzt – offenbar hatte ein Presserichter die Redaktion gezwungen, Passagen unkenntlich zu machen.
Der Autor des Stücks ist Alfred Worm. Damals erst 34 Jahre alt, aber schon als „Aufdecker der Nation“ gefeiert. Ein Einzelgänger mit dichtem Bart und großer Brille, der der Republik viel Unheil erspart hat. Heute würde man einen wie ihn wohl „Nerd“ nennen.
Anders als Investigativjournalisten heute war Worm weder international vernetzt, noch hatte er Internet, Datenbanken, KI oder Instagram. Er setzte auf menschliche Intelligenz, auf Zuträger aus Kontrollämtern, Rechnungshöfen, Staatsanwaltschaften und der Politik. Der Wiener ÖVP-Chef und spätere Wissenschaftsminister Erhard Busek war, wie sich der damalige profil-Chefredakteur Peter Michael Lingens heute erinnert, einer von Worms Informanten.
Wer Worms profil-Texte aus den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren liest, taucht tief ein ins Sittenbild des damaligen roten Wien – eine Zeit, in der Aufsichtsräte auf Steuerzahlerkosten ins Puff gingen, während sie die Freunderln des Finanzministers Hannes Androsch – und wohl auch ihn selbst – bereicherten.
Die „Baumafia“ richtete gewaltigen Schaden an. Worm versuchte, die Zahl 50 Milliarden begreifbar zu machen: „Um dieses Geld könnte man mühelos den Ärmelkanal an zwei Stellen untertunneln“ oder „die Bausubstanz aller Wohnungen von ganz Wien neu errichten“.
Worms Texte überraschen bei der heutigen Lektüre nicht nur durch ihre Inhalte, sondern auch durch ihren oft sperrigen Stil: ganze Absätze ohne Punkt, lange juristische Schachtelsätze, präzise, aber sperrig – ein Stil, den man heute in keinem Nachrichtenmagazin mehr findet und schon damals die Redaktion beim Redigat herausforderte. Worms Texte, so erinnern sich Kollegen, mussten oft stundenlang „geschminkt“ werden, wie das sein Kollege Herbert Lackner einmal formulierte.
Doch sein technokratischer Stil war auch Ausdruck eines Ethos: jenes eines unbestechlichen Ingenieurs, dem laufend Akten und Dokumente zugesteckt wurden. Worm schrieb exakt, akribisch, unangreifbar. Seine Recherche war ein Akt der Beweisführung.
„Einen anderen Weg zu den wahren Ursachen – und Tätern – dieses Skandals gibt es nicht“, schreibt er in einem seiner Longreads. Und genau so führt er den Leser: durch Paragrafen, Behörden, Bauprojekte, durch die verwinkelten Flure der Wiener Stadtverwaltung. Frühmorgens treffen dort Putzfrauen beim Aufräumen nächtlicher Sitzungen auf Rechnungshofbeamte, deren Berichte später aus Angst vor neuerlicher Beschlagnahmung als Beilagen „zum Herausnehmen“ im profil erscheinen. Natürlich schafften die Putzfrauen kistenweise Bierflaschen weg. Es wurde von den Männern ordentlich gesoffen.
Worms Texte verlangen Geduld, Konzentration, Zeit – doch sie belohnen mit historischer Erkenntnis. Sie sind Ausdruck eines Journalismus, der noch nichts von Clickbait oder kurzen Aufmerksamkeitsspannen wusste. Und gerade deshalb wieder lesenswert sind.
Dokumentation, Zitierfreude, Verdichtung – und ein Schuss Humor – gehörten zu seinem Stil. In einem Text beschreibt Worm eine Parlamentsrede des ÖVP-Bautensprechers Otto Keimel. Der, so schreibt er, „wurde nur kurz unterbrochen, als er sich mit sozialistischen Zwischenrufern um die korrekte Aussprache des Bar-Namens ‚Eve‘ zankte. Während die Genossen mit britischer Lässigkeit auf ‚Iiiv‘ beharrten, artikulierte Keimel tirolerisch ‚Eve‘. Wenn’s nicht um Spitäler geht, sondern um Striptease-Lokale, kennen sich die Sozialisten eben aus.“
Alfred Worm, geboren 1945, war vieles: Bauingenieur, Aufdecker, Ehrenprofessor, aber nie profil-Chefredakteur – am Ende seiner Karriere war er Herausgeber des Nachrichtenmagazins „News“, das ist ausgerechnet jenes Medium, dessen Gründer Wolfgang Fellner heute wegen Inseratenkorruption verfolgt wird.
Seinen Abschied von profil hat die Redaktion lange nicht verkraftet. Ihn, der wie viele Investigative auch Diva war, ziehen zu lassen, war ein Fehler. „Er war ein unbestechlicher Geist, obwohl man ihn immer wieder mit Wohnungen bestechen wollte“, erinnert sich Lingens.
Worm lernte sein Handwerk übrigens nicht am Publizistikinstitut oder an einer Journalistenschule. Er war gelernter HTL-Bauingenieur, arbeitete für die städtische Wohnbaugesellschaft Bauring – bis er, 1973, im Alter von nur 28 Jahren, dem profil eine erste Enthüllung über seinen eigenen Arbeitgeber präsentierte: Der städtische Wohnbaukonzern „Bauring“ machte – entgegen gesetzlichen Bestimmungen – Geschäfte in Saudi-Arabien, mit dubiosen Kickback-Geldflüssen und einem Schuldenstand von über 1,4 Milliarden Schilling. Ein Skandal in einer Stadt, in der die SPÖ bis dahin weitgehend mediale Schonung genoss, weil sie Journalisten mit Gemeindewohnungen korrumpierte. Erst der Insider schaltete das Licht an in diesen Hinterzimmern der Republik.
In den 1980er-Jahren deckte er den AKH-Skandal auf, inklusive der Rolle des Kreisky-Ziehsohns Hannes Androsch. Es war nicht der rote Justizminister Christian Broda, sondern die Untersuchungsrichterin (und spätere FPÖ-Politikerin) Helene Partik-Pablé, die den technischen Direktor des AKH wegen Betrugs zu mehrjähriger Haft verurteilte.
Worms letzte große Recherche war der BAWAG-Skandal rund um deren Generaldirektor Helmut Elsner. Da war Worm nicht mehr der einzige Aufdecker, eine neue Generation, etwa Kurt Kuch, war ihm gefolgt. Seine Nähe zum damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil und seine Arbeit für Fellners Boulevard schmälerten Worms Relevanz.
Auch als Vorbild blieb er nur kurz in Erinnerung. Er bildete Journalisten an der FH Wien und der Uni Wien aus. 2007 starb er, kurz nach der Ehrung zum „Journalisten des Jahres“, im Alter von nur 62 Jahren.
Heute ist Worm bei Journalisten-Schülern vergessen. Es gibt keine Biografie, der „Alfred-Worm-Preis“ wurde von „News“ bald wieder abgeschafft, keine Gasse, kein Platz erinnert an ihn. Nur ein Ehrengrab der Stadt Wien trägt noch seinen Namen.
Worm war – auch das ist vergessen – von 1983 bis 1988 Abgeordneter der ÖVP im Wiener Landtag, während er weiterhin für das profil schrieb. Heute wäre das mit jeder Compliance-Verordnung unvereinbar. Doch es war kein einseitig-parteipolitischer Journalismus, den Worm betrieb. Es war Journalismus mit Haltung – jene Haltung, die heute gerne als „Haltungsjournalismus“ diffamiert wird und die den „Falter“ und das profil trotz aller Konkurrenz immer noch verbindet.