profil 14/2021: „Die Buberl-Protokolle“
„Wir lieben unseren Art-Direktor.“ Es kommt nicht oft vor, dass sich Redakteure direkt im veröffentlichten Text für die Optik ihrer Geschichte bedanken. Doch angesichts des nicht alltäglichen Unterfangens, die Illustration einer Coverstory mit rund 200 kleingedruckten Chats zu bestreiten, war es den profil-Autoren Stefan Melichar und Michael Nikbakhsh* ein Anliegen, ihren Kollegen Erich Schillinger zu würdigen. Und es juckte sie, den Original-Chat abzuwandeln, der auch das Cover zierte: „ich liebe meinen Kanzler“, hatte Thomas Schmid als Antwort an Sebastian Kurz geschrieben („kriegst eh alles was du willst“).
Zum Zeitpunkt dieser Chats, im Frühjahr 2019, war Sebastian Kurz Bundeskanzler der Republik Österreich. Schmid war Generalsekretär im Finanzministerium, Kurz-Vertrauter und am Sprung zum Alleinvorstand der Staats-Holding ÖBAG. Und dieser Sprung wollte gut vorbereitet sein. Thomas Schmid chattete fast manisch mit den Entscheidungsträgern des Landes. Sein Handy mit 300.000 Nachrichten – gelöscht und von IT-Forensikern wiederhergestellt – sollte später zur Goldgrube für die Ermittler werden. Und Schmid selbst zu ihrem Kronzeugen – unter anderem gegen Sebastian Kurz.
Der digitale Fußabdruck der Kurz-Fanboys
Vom Vorwurf der Falschaussage vor dem „Ibiza-U-Ausschuss“ wurde Kurz kürzlich vom Oberlandesgericht Wien freigesprochen. Es ging in dem Verfahren um seine Rolle bei der Bestellung des ÖBAG-Aufsichtsrats, an dessen Zusammensetzung Schmid – als künftig Kontrollierter – laut Chats großes Interesse hatte. Wegen des Verdachts der Inseratenkorruption („Beinschab-Tool“) wird aber noch immer gegen Kurz ermittelt – der Ex-Kanzler bestreitet alle Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung. Und auch in diesem Verfahren rekurrieren die Ermittler eifrig auf die Schmid-Chats, um ihr Substrat zu einer möglichen Anklage zu verdichten.
Die profil-Coverstory über die „Kurznachrichten“ ist unabhängig vom Ausgang dieser Verfahren ein Zeitdokument. Weil sie eine politische Kultur beschreibt, die vom Aufstieg bis zum Fall des Sebastian Kurz herrschte: die Kultur des Chatsets. Die Nachrichten, die zwischen Schmid, Kurz, Ministern und Vertrauensleuten kursierten, strotzten einerseits vor Unterwürfigkeit: „Dich zu haben ist ein Segen“ (Schmid an Kurz). „Die Leute lieben Dich“ (Ex-Finanzminister Hartwig Löger an Kurz). „Grenzgenial … mörder Respekt … Taugt mir so in Deinem Team sein zu dürfen“ (Schmid an Kurz nach seiner Bestellung zum ÖBAG-Chef).
Chattet heute noch jemand wie Schmid?
Sie strotzten auch vor Postenschacher, der in Österreich nach wie vor unter Kavaliersdelikt rangiert: „Kannst du mir bitte die Nummer von … geben“ – „wegen Job!“ – „wir rufen ihn an um herauszufinden was er kann“ (Schmid an ÖVP-Wien-Chef Gernot Blümel). „Steuerbar“ (Schmid an Kurz über eine Wunschkandidatin für den ÖBAG-Aufsichtsrat). „Wir brauchen für … einen Job“ (Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling an Schmid).
Sie strotzten vor juveniler Rotzigkeit: „Er war rot dann blass dann zittrig“ (Schmid über ein Treffen mit dem Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, der Kurz’ Asylpolitik kritisiert hatte, woraufhin Schmid der Kirche die Steuerrute ins Fenster stellte).
Und sie strotzten vor Emojis – von Bussiparaden über Kotzgesichter, starke Arme bis zu Gorillas. So musste die profil-Coverstory dann doch nicht ganz ohne Bilder auskommen (Art-Direktoren lieben das).
Gesammelte Einblicke in die Handywelt der Mächtigen wie durch die „Buberl-Protokolle“ wären mit einem Akten-Zitierverbot nicht mehr möglich. Entsprechende Pläne wälzte die ÖVP, setzte sich in der Dreierkoalition damit aber nicht durch. Fragt sich: Gibt es da draußen Entscheidungsträger, die weiterhin Sachen schreiben wie „Ich stürze mich heute in die Donau und du bist schuld!“?
Wir bleiben dran.