Chatnachrichten

Kurznachrichten

Jobs und Interventionen für Günstlinge, Einschüchterung von Kritikern, Interventionen bei Medien, eine Vorliebe für "steuerbare" Frauen und Schmeicheleinheiten für den Parteichef. Was nun über den neuen Stil der ÖVP-Regierungsmannschaft ans Tageslicht kommt.

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Als ein gewisser Jörg Haider Mitte/Ende der 1980er-Jahre begann, seine "Buberlpartie" um sich zu scharen, war Sebastian Kurz, Jahrgang 1986, noch ein Knabe. Haiders Buberln, das war eine Gruppe junger, hemdsärmeliger Männer, die tatkräftig seinen Aufstieg begleiteten und dabei selbst teils erstaunliche Karrieren machten. Einige von ihnen sollten später Bekanntschaft mit Anklagebanken machen. Gernot Rumpold war eines der frühen Buberln, Peter Westenthaler ein weiteres. Auch Walter Meischberger, Karl-Heinz Grasser, Heinz-Christian Strache, Franz Koloini, Mathias Reichhold und Stefan Petzner gehörten irgendwann dem inneren Kreis um Haider an.

Der politische Ziehvater ist seit bald 13 Jahren tot, die einstigen Buberln sind allesamt jenseits der 40, die Machtverhältnisse im Land haben sich verschoben. Hin zu einem Mann, der nun seinerseits ein Grüppchen Loyaler um sich geschart hat.

Österreich hat wieder eine Buberlpartie.

Seit Tagen sorgt eine staatsanwaltschaftliche Auswertung von Textnachrichten gleichermaßen für Aufregung wie für Belustigung. Es handelt sich um (teils gelöschte und wiederhergestellte) Chats aus dem Mobiltelefon von Thomas Schmid, einem Vertrauten von Sebastian Kurz. Schmid, seit 1. April 2019 Alleinvorstand der Staatsholding ÖBAG, wird im sogenannten Casinos-Komplex als einer der Beschuldigten geführt (profil berichtete). Schmid chattete eifrig und viel. Mit Sebastian Kurz, mit Gernot Blümel, mit dem früheren Sprecher des Finanzministeriums Jim Lefebre und einigen anderen.

Die Chats zeichnen ein verheerendes Bild. Sie dokumentieren einerseits, wie für Günstlinge im öffentlichen Sektor Jobs geschaffen werden, und wie auf Top-Level interveniert wird. Schmid zum Beispiel wurde auf Grundlage einer fragwürdigen Ausschreibung ÖBAG-Alleinvorstand, bestellt von einem Aufsichtsrat, den er sich aussuchen durfte. Mit Wissen und Billigung des Bundeskanzlers, der im parlamentarischen Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht so tat, als hätte er mit all dem nichts zu tun gehabt; der Verdacht der falschen Beweisaussage steht im Raum.

Andererseits offenbaren die Chats eine nachgerade bedingungslose Ergebenheit gegenüber Sebastian Kurz. "Ich liebe meinen Kanzler", schreibt Schmid in einer seiner Nachrichten. "Dich zu haben ist ein Segen" in einer weiteren. Auch andere waren ergriffen, der frühere Finanzminister Hartwig Löger zum Beispiel: "Die Leute lieben dich", schrieb er Kurz im Jänner 2019. Und als Thomas Schmid im Mai 2019 mit großer Zustimmung zum Aufsichtsrat der Telekom Austria gewählt wurde, quittierte das ein Chatpartner mit den Worten: "Du bist der Sebastian Kurz der Aufsichtsräte."

Man huldigt dem Kanzler, und dem Kanzler gefällt das.

Und schließlich zeugen die Chats auch noch davon, dass von Kurz abwärts einige das Erwachsenenalter noch nicht erreicht haben. Manches ist infantil, anderes respektlos, derb und/oder dumm (siehe vor allem die Passage zu Sebastian Kurz und der katholischen Kirche). Und dann wären da noch die Emojis.

Um neben den Inhalten auch die Atmosphäre dieser Kommunikation einzufangen, haben wir uns entschlossen, die zentralen Chats in Auszügen aus dem Behördendokument zu übernehmen. profil-Grafikchef Erich Schillinger musste Überstunden machen. Aber wie sagt man da: "Wir lieben unseren Art Director."

Ein Job für Manfred Juraczka: "Bitte sei lieb zu ihm :-)"

Manfred Juraczka war im März 2018 nicht unbedingt ein Versorgungsfall. Der frühere Wiener ÖVP-Landesparteiobmann (2012 bis 2015) war zu diesem Zeitpunkt noch Wiener Klubobmann (bis Juni 2018) und dazu unter anderem auch (bis heute) Abgeordneter zum Wiener Landtag und Gemeinderat. Dennoch suchte Thomas Schmid im März 2018 zumindest vorübergehend einen Job für Juraczka. Und chattete dazu mit dessen Nachfolger an der Spitze der Wiener ÖVP, Gernot Blümel.

Schmid und die Telekom: "Sie wollen einen harten Mann"

Dass Schmid nach wie vor Vorstand der Staatsholding ÖBAG ist, verdankt er dem Umstand, dass der ÖBAG-Aufsichtsrat ihn bisher nicht abberufen wollte. Oder konnte, je nachdem. Solange Schmid nicht angeklagt ist, sieht das Kontrollorgan unter dem Vorsitz von Helmut Kern offenbar keinen Handlungsbedarf. Vielleicht liegt es auch einfach nur an Schmids unschätzbarem Wert für die Staatsbeteiligungen. Immerhin "stehen" die Investoren ja auf Schmid, sagt zumindest Schmid. Es ist üblich, dass der jeweilige Vorstand der Staatsholding selbst Aufsichtsratsmandate in den Beteiligungsgesellschaften antritt, teils als Vorsitzender, teils als einfaches Mitglied. Bei der Telekom Austria war es im Mai 2019 so weit. Schmid wurde von der Hauptversammlung mit großer Zustimmung zum Mitglied des Aufsichtsrats gewählt. Im nachfolgenden Chat gratuliert der damalige Sprecher des Finanzministeriums, Jim Lefebre, ausgiebig. Lefebre, Mitglied des Bundesvorstands der Jungen ÖVP, arbeitet mittlerweile unter anderem für die Varta-Gruppe des Unternehmers Michael Tojner.

Ein Job für Thomas Schmid: "SchmidAG fertig!"

Eigentlich stammt Thomas Schmid (45) aus einer 3500-Seelen-Gemeinde in Tirol, auf dem glatten politischen Parkett der Bundeshauptstadt Wien hat er jedoch längst eine zweite Heimat gefunden. Hier macht ihm kaum jemand etwas vor -jedenfalls nicht, wenn es um das geschickte Strippenziehen hinter den Kulissen geht. Der berufliche Aufstieg des studierten Politik-und Rechtswissenschafters ist fest mit der ÖVP verknüpft. Zunächst jobbte Schmid kurz als Mitarbeiter im Europäischen Parlament, bevor er 2004 erstmals als Pressereferent im Finanzministerium andockte. Es folgten Stationen im Bildungsministerium, im Parlament (als Büroleiter des damaligen Klubobmanns Wolfgang Schüssel) und im Außenministerium, bevor Schmid 2013 zum Kabinettschef des damaligen Finanzministers und Sebastian-Kurz-Erfinders Michael Spindelegger avancierte. Er bekleidete diese mächtige Position auch unter den nachfolgenden zwei Ministern Hans Jörg Schelling und Hartwig Löger. 2015 wurde er zusätzlich Generalsekretär des Finanzministeriums - und damit endgültig zum Schattenminister. In Lögers Zeiten stand Schmid - auch am Minister vorbei - in laufendem Kontakt mit dem engsten Kreis um Bundeskanzler Sebastian Kurz, insbesondere mit Gernot Blümel. 

Dies auch in eigener Sache: Schmid plante ein neues Leben. Bereits ab 2017 wollte er weg aus dem aufreibenden Job in der zweiten Reihe im Finanzministerium, hin in die staatliche Beteiligungsgesellschaft ÖBIB, aus der letztlich die völlig neu strukturierte ÖBAG werden sollte. Dort steht Schmid als Alleinvorstand nun erstmals selbst im Rampenlicht. Und das Salär kann sich auch sehen lassen: Im Geschäftsjahr 2019 (einem Rumpfjahr mit neun Monaten) beliefen sich seine Bezüge (inklusive Sach-und Sozialaufwendungen) auf rund 300.000 Euro. Dafür waren mühsame Vorarbeiten nötig: Postenkoordination mit dem Koalitionspartner FPÖ, ein neues Gesetz, eine Vorstandsausschreibung ("Ich bin aber nicht international erfahren"), ein wirklich gutes Motivationsschreiben ("Wer schreibt das?"), die Suche nach passenden ("steuerbaren") Aufsichtsrätinnen und vieles mehr. Wie es letztlich geklappt hat, mit dem Top-Job des Kanzler-Getreuen, hat die Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Rahmen einer Auswertung von Schmids Handy-Chats in der Causa Casinos minutiös nachgezeichnet. Ein Auszug.

Ein Job für Gabriele Tamandl: "Was kann die?"

Gabriele Tamandl trat 1982 in die Junge ÖVP ein, es folgte eine lange Parteikarriere, zwischen 2003 und 2017 saß sie unter anderem für die ÖVP im Nationalrat, seit 2012 ist sie Landesobfrau des Wiener ÖAAB. Die Chats zeigen, dass ab dem Herbst 2016 immer wieder bei Thomas Schmid interveniert wurde, um Tamandl mit einem "Job" oder zumindest einem "Konsulentenvertrag" des BMF auszustatten (am Ende gab es allerdings weder noch).Den Anfang machte der damalige Finanzminister Hans Jörg Schelling im Oktober 2016-worauf Generalsekretär Schmid zunächst eine Tätigkeit im Post-Konzern oder im Bereich der "Zollkoordinierung" vorschlug. Im Mai 2017 intervenierte Schelling erneut-worauf Schmid umstandslos vorschlug, Helmut Brandl "rauszuschmeißen",den Chef der Buchhaltungsagentur des Bundes. Im Dezember 2017 meldete sich dann der ÖVP-Abgeordnete Peter Haubner in Sachen Tamandl bei Schmid. Und brachte auch gleich ÖVP-Klubobmann August Wöginger mit ins Spiel. Im Februar 2018 dockte Tamandl schließlich außerhalb der Politik an, beim Beratungsunternehmen E&Y. Eine Konsulententätigkeit für das Finanzministerium war damit aber immer noch nicht vom Tisch, wie ein weiterer Chat zwischen Wöginger und Schmid vom Juli 2018 dokumentiert.

Kurz und die Kirche: "Ich liebe meinen Kanzler"

Zuckerbrot und Peitsche. Sebastian Kurz beherrscht beides. Zuckerbrot: Österreichs Boulevard wurde mit öffentlichem Anzeigengeld förmlich erschlagen und ist jetzt ganz brav. Peitsche: Im März 2018 kritisierte die Führung der katholischen Kirche die Asylpolitik der türkis-blauen Regierung. Das hatte offensichtlich Konsequenzen, wie profil bereits vergangenen Montag online berichtete. Nur wenige Tage, nachdem zunächst Kardinal Christoph Schönborn und anschließend auch der Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz Peter Schipka öffentlich Kritik geübt hatten, kreuzte Thomas Schmid bei Schipka im Büro auf. Er gab ihm zu verstehen, dass das Finanzministerium nun die Steuerbegünstigungen der anerkannten Kirchen prüfen wolle. Schipka war nach eigener Darstellung "überrascht und verwundert" (den ausführlichen Bericht dazu lesen Sie auf profil.at).Im nachfolgenden Chat mit Kurz verhöhnt Schmid den hohen Kirchenfunktionär. Der Kanzler? Findet das "super".

Die Buberln und die Medienleute: "Naja, der hasst mich"

Helmut Brandstätter und Sebastian Kurz werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Der nunmehrige NEOS-Abgeordnete machte als "Kurier"-Chefredakteur unliebsame Bekanntschaft mit dem Medienverständnis des Bundeskanzlers. Am 26. Februar 2018 bat Schmid Kurz um eine Intervention bei Brandstätter-er wollte verhindern, dass im "Kurier" ein Bericht erscheint, wonach er für das Management der Staatsholding (damals noch ÖBIB) "gesetzt" sei. Kurz' Replik: "Naja, der hasst mich." Der "Kurier"-Artikel erschien am 27. Februar und nannte Schmid als einen Kandidaten. Auch andere Medienleute kommen in den Chats vor. Von den "Dichands" ist an einer Stelle die Rede, und zwar in Zusammenhang mit der B&C Privatstiftung, an welcher eine Reihe interessanter Industriebeteiligungen hängen. Ende 2018 hatte der Unternehmer Tojner mit Partnern (genannt wurde damals unter anderem "Krone"-Chef Christoph Dichand) versucht, bei der B&C-Gruppe den Fuß in die Tür zu bekommen, und dem Vernehmen nach wollte auch Thomas Schmid mit der Staatsholding irgendwie mitmischen, obwohl er dort noch gar nicht Vorstand war. "Dichands sind ja gut auf Schiene",meldete Schmid Kurz im Dezember 2018. Und auch "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak dürfte den einen oder anderen Anruf erhalten haben.

Die Buberln und das Frauenbild: "Steuerbar"

Man kann eine Geschichte über das Frauenbild der Kanzlerpartie unter anderem so erzählen: Im Februar 2019 konstituierte sich der neue neunköpfige Aufsichtsrat der neuen Staatsholding ÖBAG, sechs Kapitalvertreter, drei Belegschaftsvertreter. Auf der Kapitalseite brauchte es von Gesetzes wegen 30 Prozent Frauenanteil, also zwei Frauen. Die waren zunächst nicht einfach zu finden. "Bei uns schaut's nicht gut aus damit",klagte Schmid im Dezember 2018 in einer Nachricht an den damals für FPÖ-Postenbesetzungen zuständigen Arnold Schiefer (nebenbei ÖBB-Finanzvorstand). "Es könnte sein dass ihr auch eine Frau beisteuern müsst. Diese Quote!"Schiefer antwortete: "Haben keine..die ich dir zumuten kann".Im Jänner 2019 hatten einige auch von der ÖVP-nahen Beraterin Gabriele Spiegelfeld angesprochene Kandidatinnen abgesagt. "Mir gehen die weiber so am Nerv Scheiss Quote",schrieb Spiegelfeld an Schmid. Schmid wiederum hatte unter anderem die frühere VP-Bundesministerin Sophie Karmasin als Aufsichtsrätin im Auge. "Sophie Karmasin wäre gut steuerbar",schrieb Schmid an Finanzminister Löger. Am Ende zogen die Bankerin Susanne Höllinger (Ex-Raiffeisen) und die Unternehmerin Iris Ortner (die Ortners waren ÖVP-Großspender 2017) in den ÖBAG-Aufsichtsrat ein. Höllinger? War nach Schmids Auffassung gleichermaßen "steuerbar".Und dann wäre da noch eine (in der Chataufstellung unbeantwortete) Frage vom Kabinettschef des Bundeskanzlers Bernhard Bonelli an Schmid rund um ein Interview des Kanzlers 2019: "bitte um Mithilfe bei Interview-VB für SK: Warum ist Iris Ortner super für ÖBAG..."

Löger "Lost in Transition": "Das ist ein 60 jähriger Mann"

Von Hartwig Löger erzählt man sich, dass er Termine als Finanzminister (2017 bis 2019) gerne außerhalb des Ministeriums absolvierte - nur möglichst weit weg von seinem Kabinettschef und Generalsekretär Thomas Schmid, den er sich übrigens auch nicht ausgesucht hatte. Was die politische Führung des BMF von Löger hielt, lässt sich aus Chats zwischen Schmid und dem Sprecher des Finanzressorts Jim Lefebre herauslesen. "Wie können wir ihm beibringen, dass er fleißig sein muss und Briefings forciert?", fragte Lefebre Schmid am 13. Dezember 2018. "Gar nicht Das ist ein 60 jähriger Mann", replizierte Schmid. An anderer Stelle sagt Schmid über Löger: "Wenn seine Dummheit verhindert dass ich in die obag darf bin ich echt sauer". Darauf Lefebre: "Das können sie dir nicht mehr nehmen Das wäre komplett irre". 

profil

Die Buberl-Protokolle

Die Chat-Nachrichten des Kanzler-Vertrauten zeichnen ein verstörendes Bild von den Sitten im Land.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.