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profil 2/1971: „Wiens Slavik“

Peter Michael Lingens über die Geschäfte des Wiener Bürgermeisters, das beschlagnahmte profil und den Beginn einer großen Erfolgsgeschichte.

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Die Titelgeschichte über Wiens Bürgermeister Felix Slavik stand deshalb am Beginn des Aufstiegs des profil, weil sie die Zeitschrift mit einem Schlag österreichweit bekannt machte. Denn Felix Slavik beging den groben Fehler, sie zu beschlagnahmen, und das ließ vermuten, es handle sich um einen extrem brisanten Text. In Wirklichkeit war es – und ich kann das beruhigt festhalten, weil vorrangig ich sie geschrieben habe – eine der schwächsten Titelgeschichten jener Zeit.

Ich hatte sie geplant, weil eine meiner letzten Arbeiten für den „Kurier“, aus dessen Redaktion ich dank der Einladung Oscar Bronners zu profil gewechselt war, undurchsichtige Grundstückstransaktionen der Gemeinde Wien betraf, die genauer zu recherchieren mein an sich sehr korrekter Chef Reinald Hübl mit der Begründung abgelehnt hatte, dass er sich gerade um eine Gemeindewohnung für unsere Sekretärin Frau G. bemühe. Natürlich wohnte auch er selbst preisgünstig in einer Gemeindewohnung in bester Döblinger Lage, und nicht anders wohnten damals alle Kommunalberichterstatter gleich welcher Zeitung in vergleichbaren Nobel-Gemeindewohnungen. Das ließ Wiens Kommunalberichterstattung nicht gerade gemeindekritisch ausfallen. profil wollte vorführen, dass es auch anders geht.

Leider gelang das nicht ansatzweise in dem von mir erhofften Ausmaß: Abseits der enormen Verzögerung des Baus einer U-Bahn durch das absurde Projekt einer Magnetschwebebahn, die Wien auf Stelzen durchquert hätte, vermochten auch wir Felix Slavik kein dramatisches Versagen nachzuweisen. Vor allem kein mit Sicherheit unsauberes Geschäft – so sehr viele seiner Aktivitäten, wie der Text nicht wirklich fair festhielt, vom „Geruch der Korruption umweht“ waren.

Eher am Rande nahm ich auf einen Vorfall Bezug, den ich selbst erlebt hatte: Auf einer Dienstreise nach Saloniki hatte Slavik ständig versucht, der zu seiner Begleitung abgestellten griechischen Hostess auf den Hintern zu greifen, was diese mit genervtem Gesicht hinzunehmen gezwungen gewesen war.

Heute hätte dieser Bericht, für dessen Richtigkeit es mehrere Zeugen gab, Slavik vermutlich zum Rücktritt gezwungen – damals ermöglichte er ihm die Beschlagnahme des profil. Denn bezüglich einer Behauptung, die das Intimleben betraf, hielt Österreichs Presse-Judikatur auch bei einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens einen Wahrheitsbeweis für unzulässig.

Da sich die Beschlagnahme unter Wiens Trafikanten freilich sofort telefonisch herumsprach, verschwanden die angelieferten Hefte in der Sekunde unter der Budel, und der Verkauf war der mit Abstand höchste je von uns erreichte. Selbst eine nachgedruckte Auflage, in der die inkriminierten Zeilen geschwärzt waren, verkaufte sich noch blendend.

Allerdings hatte der Text zur Folge, dass sich in Wien verbreitete, dass profil bereit war, kritisch über den so mächtigen Bürgermeister zu berichten, und das ließ den Kaufmann Herbert Herzog auf mich zukommen, der mir in der Folge zu den Texten verhalf, die Slavik letztlich zum Rücktritt zwangen, weil sie den Verdacht der Korruption erhärteten. (Auch wenn das nach damaliger Pressejudikatur immer noch eine Beschlagnahme ermöglicht hätte: Nur wenn die angeführten Verdachtsmomente zu einer rechtskräftigen Anklage des Betreffenden führten, blieb die Zeitung, die sie vorgetragen hatte, von einer Strafe wegen „übler Nachrede“ verschont. Der Versuch, Korruption anhand korrekt beschriebener Indizien aufzudecken, war für eine Zeitung daher damals – ehe der Europäische Gerichtshof für eine Änderung der Judikatur sorgte – hochgradig gefährlich.)

Es wäre schön, wenn ich jetzt schreiben könnte: „Durch meine akribischen Recherchen in den verschiedensten Unterlagen stieß ich auf ein höchst dubioses Geschäft im Wiener Hafen, das nur dank der Beziehung eines der Beteiligten zu Felix Slavik so düster ablaufen konnte, wie es abgelaufen ist.“ Aber die Wahrheit ist eine andere: Herbert Herzog lieferte mir jedes Detail dieser Story frei Haus. Meine ganze Leistung bestand darin, die Dokumente, die er mir übergab, auf ihre Echtheit zu prüfen.

Sie betrafen ein großes Teppichgeschäft, das Herzog an Land gezogen hatte und das ihm der Makler Josef M. mithilfe des Wiener Hafendirektors entriss, was kaum möglich gewesen wäre, wenn dieser Hafendirektor nicht um die guten Beziehungen des Josef M. zu Felix Slavik gewusst hätte.

Der Vorgang stank – ich konnte daran aufgrund der eingesehenen Unterlagen keinen Zweifel haben. Darüber zu schreiben, war für mich dennoch ein ziemliches, der Redaktion nicht bekanntes Problem: Josef M. war der Wahlonkel meiner damaligen Frau Lisi. Zusammen mit Lisi war daher auch ich mehrmals bei Josef M. und seiner besonders netten Gattin – einer Cousine Felix Slaviks – eingeladen gewesen. Die beiden waren kinderlos und sahen in meiner Frau eine Art Ziehkind und in mir einen adäquaten Schwiegersohn.

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Ich wäre also sehr froh gewesen, wenn das Material, das Herzog mir anbot, das geschäftliche Verhalten des Josef M. nicht in ein reichlich problematisches Licht gerückt hätte. Aber die Unterlagen waren leider hieb- und stichfest, und die Schlussfolgerung daraus war journalistisch eindeutig: Herzog war Unrecht geschehen, er war um hohe Gewinne gebracht worden, und dabei hatte das Verhalten des von Felix Slavik bestellten Hafendirektors eine wesentliche Rolle gespielt.

Unter dem Titel „Hafenbrüder“ schrieb ich darüber einen Text, der so beschaffen war, wie ich mir die Korruptionsberichterstattung des profil vorstellte: locker, ironisch, presserechtlich unangreifbar. Dass Josef M. zufällig eine dem Bürgermeister besonders liebe Cousine zur Frau hatte, habe ihn bei seinen Geschäften beflügelt und alle anderen Beteiligten zu besonderer Sorgfalt bewogen. Nur deshalb, und nicht vielleicht weil der Hafendirektor von diesem Draht zum Bürgermeister wusste, habe er die Teppiche nicht an Herzog herausgegeben, obwohl der eindeutig ihr Eigentümer war.

Der Artikel war in Wien Gesprächsthema Nr. 1 und abermals ein großer Verkaufserfolg. Denn um zu verhindern, dass uns eine akkurat durchgeführte Beschlagnahme vielleicht doch erhebliche Verkäufe kosten könnte, hatte ich die „Dokumente“ eingeführt: eine Beilage auf gelbem Papier, die ins profil eingelegt war und die der Polizist im Fall des Falles separat herausnehmen konnte, sodass das Heft selbst der Beschlagnahme entging. (Das war deshalb so wichtig, weil die Inserenten ihr Geld zurückfordern konnten, wenn die Beschlagnahme rechtlich begründet und erfolgreich war.)*

Es gab aber keinen Antrag auf Beschlagnahme und auch keine Klage wegen übler Nachrede, weil sie dank der Ironie des Textes sehr schwer festzumachen gewesen wäre. Es gab allerdings auch keine Zitierungen in anderen Zeitungen, weil die ebenso schwergefallen wären. (Abgesehen davon, dass uns andere Zeitungen damals generell so selten wie möglich zitierten, weil profil ihnen nicht geheuer war.)

In der Woche darauf war ich auf Urlaub, und mein Kollege Helmut Voska verfasste einen Text auf der Basis meiner oder eigentlich Herzogs Unterlagen in der dafür üblichen Zeitungssprache. Obwohl der Sachverhalt keine entscheidende Veränderung erfahren hatte, gab es zwar keine Beschlagnahme, aber die Androhung einer Klage sowie mehrere Zitierungen in Tageszeitungen, die für zusätzliche Werbung sorgten. Obwohl der Text mir journalistisch nicht gefiel – ich empfand ihn als Holzhammerangriff anstelle der mir vorschwebenden Florettattacke –, brachte er profil wahrscheinlich den Durchbruch. Die nächsten „Dokumente“ wurden von den Käufern derart sehnlich erwartet, dass sie „ihr“ Exemplar in der Trafik reservierten und vor allem unsere Abonnements sprunghaft anstiegen.

Der Inhalt der folgenden „Dokumente“ ging weit über die „Hafenaffäre“ hinaus und betraf endlich Grundstücksgeschäfte. Auch sie habe ich nicht detektivisch recherchiert, sondern Herzog lieferte mir die Unterlagen dafür fein säuberlich, von Geschäft zu Geschäft zusammengestellt, in einer rosa Mappe, von der er sagte, dass empörte Beamte sie ihm übergeben hätten. Im Wesentlichen waren es immer Grundstücksgeschäfte, die Josef M. ohne das geringste Risiko eingehen und mit hohem Gewinn abschließen konnte, weil er immer genau wusste, welches Grundstück die Gemeinde demnächst dringend brauchen oder billig verkaufen würde. Meist kreditierte ihm die Zentralsparkasse sofort den vollen Kaufpreis.

Ich weiß nicht, ob Josef M. sein Wissen tatsächlich Felix Slavik verdankte, er ging auch im Büro des zuständigen Wohnbaustadtrates aus und ein, und manches spricht dafür, dass das Leck eher dort gelegen ist – aber der Bürgermeister hätte es schließen müssen.

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Es war ausschließlich Herzogs Material, das Felix Slavik schließlich derart in die Enge trieb, dass er einen gravierenden Fehler machte: Statt sich auf die Untätigkeit der Staatsanwaltschaft in den aufgezeigten dubiosen Grundstücksgeschäften zu verlassen, fiel er auf gefälschte Unterlagen herein: Zwei Ganoven verkauften ihm Fotokopien, die angeblich bewiesen, dass profil-Herausgeber Oscar Bronner von der ÖVP Geld erhalten hätte. Günter Traxler (heute im „Standard“ für die Kritik an unseriösem Journalismus zuständig) veröffentlichte diese Fälschungen ohne Rückfrage bei Bronner oder mir in der „Arbeiter-Zeitung“, und für einen Tag waren wir hilflos und geschockt. Die ÖVP dementierte die Zahlung zwar, aber das nutzte nichts, denn sie war Partei.

Sehr viel mehr nutzte, dass Bronners angebliche Unterschrift auf der Empfangsbestätigung für angebliche drei Millionen Schilling so exakt mit seiner Unterschrift im Firmenbuch übereinstimmte, dass es abseits der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Bestätigung nur eine Erklärung dafür gab: Sie war von dort kopiert.

Ein paar Tage später konnte profil das Geständnis des einen der beiden Ganoven abdrucken, die die Fälschung hergestellt hatten. profil-Co-Chefredakteur Gerd Leitgeb, von der eingegangenen roten „Neuen Zeitung“ zu uns gestoßen und mit entsprechend guten Beziehungen zum roten Wien ausgestattet, hatte ihn dort ausfindig gemacht, in die Redaktion mitgebracht und das Protokoll mit ihm aufgenommen.

Wenig später trat Felix Slavik zurück. Nicht wegen der Berichterstattung des profil – denn dann hätte die Staatsanwaltschaft die von uns aufgezeigten Geschäfte der Gemeinde Wien vielleicht doch näher untersuchen müssen –, sondern weil er zugelassen hatte, im Sternwartepark Bäume zu fällen und die „Kronen Zeitung“ ihn dafür gerügt hatte.

Die profil-Redaktion feierte dennoch im „Marchfelderhof“, dass ihre Berichterstattung nicht völlig wirkungslos gewesen war.

Josef M. und seine Frau emigrierten und machten in einem anderen Land mit großem Erfolg neuerlich hervorragende Grundstücksgeschäfte – „wir müssten geradezu dankbar sein“, ließen sie meine über die ganze Entwicklung zutiefst unglückliche, aber standhafte Schwiegermutter wissen. Auch ich bin für dieses Ende dankbar, denn ich hätte gerade Frau M. sehr ungern nachhaltig geschadet.

Es war dies die wahrscheinlich größte Härte meines Jobs: profil-Chefredakteur zu sein, zwang fast ununterbrochen dazu, Leuten Verletzungen zuzufügen. Und leider nicht selten auch solchen, die man gekannt und eigentlich geschätzt hat.

Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens zählt zur Gründergeneration des profil, war von 1971 bis zum Jahr 1987 dessen Chefredakteur und ab 1972 auch Herausgeber.