Illustration Slavik auf einem Thron
Felix Slavik vollbringt das Kunststück, trotz mangelnder Vertrauensbasis in der Bevölkerung ruhig und ungefährdet auf dem neuerrungenen Thron zu schweben.

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Der ehemalige Handballer aus Leidenschaft („Ich spielte Verteidiger, der Otto Probst war Stürmer“), Belgrader Volksschüler und evangelische Privatschüler in Wien hatte Grund zur Freude: „Aus fünf Kontinenten kamen Glückwunschtelegramme“ für Wiens neuen Bürgermeister Felix Slavik, der die Stadt weiterhin „modern gestalten und liebenswert erhalten“ möchte.

Er selbst war stets eher fuichterregend als liebenswert. Zunächst machte er die Gegend rund um die elterlichen Wohnungen in der Trostkaserne, dem Viktor-Adler-Hof und dem Washingion-Gemeindebau in Favoriten unsicher, dann verunsicherte er hohe Rathausbeamte („Wenn S’ mit dem z’tuan ham, kriegn S’ Minderwertigkeitskomplexe“). Gab es damals noch einen Vater (Korrespondent), der auf Felix’ radikalsozialistische Beschimpfungen wegen „Feigheit und Versöhnlerei“ gegenüber den Christlichsozialen mit „Tachteln‘“ (Slavik) reagierte, traut sich heute niemand mehr das größte politische Talent, das Wiens Sozialisten in den letzten zwanzig Jahren hervorgebracht haben, im Zaum zu halten.

Der Jiu-Jitsu-gewandte Saalschutztruppenmann verstand es meisterhaft, durch: das Werfen von Kupferdrähten über Straßenbahn-Oberleitungen Kurzschlüsse und damit den Stillstand des städtischen Massenbeförderungsmittels zu verursachen. „Natürlich war das kein Mittel, um das Regime zustürzen“, sagt der RSler (Revolutionärer Sozialist) von damals heute. „Wir wollten nur zeigen, daß es nicht nur eine Vaterländische Front gibt.“

Mit dem Gefängnisinsassen des: Jahres 1971, Franz Olah, dem Bundespräsidenten Franz Jonas und der APA-Redakteurin Maria Thury gab sich Felix damals politisch radikal. Mit. dem Wiener Stadtplaner Victor Gruen (damals: Grün) – er war der „Hausdichter“, dem Leiter der Musikschule Wien, Erwin Weiss – er war der Komponist, und dem Grafiker Professor Walter Harnisch (er war zeitweise an der Modeschule tätig), machte Felix politisches Kabarett in den Wiener Bezirken. Er spielte mit Vorliebe den Ignaz Seipel (‚Singen kann ich heute noch nicht“).

Dann hat der politische Revolutionär – sportlich und kulturell gleichermaßen vorgebildet –  Karriere gemacht: Felix Siavik regiert heute als Landeshauptmann und Bürgermeister 709.100 Wiener und 911.100 Wienerinnen, ist Herr über ein Drittel der Wiener Grundfläche (143 Quadratkilometern von 414), beschäftigt 53.000 Menschen und verteilt 23 Milliarden Schilling pro Jahr.

Obwohl der Nachfolger Bruno Maxeks (zensuriert) der freilich nie erhärtet werden konnte, (zensuriert) von Wiens Gazetten überschwänglich als erster „Manager“ nach den „Stadtvätern“ auf dem neugotischen Bürgermeistersessel gerühmt, (zensuriert).

Alle Wiener, insbesondere aber die Parteifreunde Slaviks, wußten, was die. „Kleine Zeitung“ aus Graz am Tag der Wiener Angelobung schrieb: Wien „ist die Stadt der halben Lösungen, der verspäteten Einsichten.“ Aber auch die Bürger der „Quasi-Weltstadt trotz verheerender Politik“, denen die Gemeinde nicht allein mit dem mehrmaligen Umbau des Matzleinsdorfer-Platzes Anlaß zu ständigem Raunzen gegeben hat, die sich vor sommerlichem Wassermangel und dem verspäteten U-Bahn-Bau ebenso fürchten wie vor der nutzlosen, aber sündteuren Donauinsel, nahmen Slaviks Wahl widerspruchslos zur Kenntnis. Widerspruch wäre nutzlos gewesen: Felix Slavik ist unumschränkter Herrscher in der Wiener SPÖ, und er verstand es durch geschicktes Taktieren, sogar VPler zu Slavik-Fans umzufunktionieren.

Obwohl gewiß kein Bürgermeister nach dem Geschmack und Wunsch aller Wiener, sicherte sich Slavik auch die Stimmen der beiden kleinen Oppositionsparteien im Wiener Rathaus. Vom FP-Klubobmann Schmidt ließ er sich als „bester Mann der SPÖ loben, Franz Olahs DFPler schätzen ihn als „Demokrat der Tat“. Das Weihrauchfaß schwenken nicht nur Linksorientierte, sondern auch parteipolitisch Unabhängige und VP-Kontrahenten: Der promovierte evangelische Theologe und spätere „Neue Zeitung“-Redakteur Dr. Junker rechnet Siavik „zu jenen Menschen, die mehr sind, als sie scheinen“. Der Direktor des. Österreichischen Bauzentrums, Dr. Jirasko, wertet als Fortschritt daß nach dem „eigentumsfeindlichen Jonas“ der „dynamische Pragmatiker Slavik“ kam, dem ‚‚ideologische Fragen egal sind“ und der – zum Unterschied vom walroßbärtigen Marek – „das rein Repräsentative stark in den Hintergrund drängen wird“.

Der Bürgermeister behauptet hingegen von sich: „Ich bin ideologisch sehr stark gebunden.“ Während sich Slavik im „‚Wiener Wochenblatt“ für „Teamarbeit‘ mit möglichst kritikfreudigen Mitarbeitern ausgesprochen hatte, glaubt Jirasko das nicht recht. Er schätzt an Slavik vor allem, daß er „autoritäre Entscheidungen liebt, was bei dieser Rathaushierarchie eher positiv zu werten“ sei.

Slaviks politischer Gegner, bis zuletzt VP-Gemeinderat und neuerdings Verlobter der sozialistischen Slavik-Gegnerin Vizebürgermeister Gertrude Sandner, der Wiener Kommerzialrat Fröhlich, sieht im Wiener Stadtvater zwar einen „eiskalten, hemdärmeligen Politiker mit viel Ellbogen und zahlreichen emotionellen Entschlüssen“, fügt aber sofort hinzu: „Er ist grundehrlich und einer der saubersten Politiker Österreichs.“

Auch Slavik selbst betont, eingedenk seines Image, bei jeder Gelegenheit: bei allen Mitarbeitern sei er sicher nicht beliebt, „weil ich verhältnismäßig streng bin, was die Sauberkeit der Verwaltung anlangt“. Wegen parteiinterner Vorbehalte (so ein Slavik-Genosse) hat „der Felix die direkte Jonas-Nachfolge damals nicht geschafft“. Umso energischer betrieb der wahre Herrscher im Wiener Rathaus dann die Ablöse Bürgermeister Mareks: Noch in der Wahlnacht vom 27. April 1969 hatte Marek vom Fernsehschirm her versprochen, er werde „sicher fünf Jahre lang Bürgermeister bleiben“. Als SPÖ-Parteivorsitzender Bruno Kreisky begann, für die Hinführung eines Altersparagraphen in das sozialistische Parteistatut (Lex Pittermann) zu werben, unterstützte ihn Felix Slavik nach außen hin zwar nicht, konnte sich aber darauf verlassen, daß seine niederösterreichischen und Salzburger Genossen marschieren würden. Pittermann, 65, blieb Kreisky noch ein Jahr erhalten, Bruno Marek, 70, mußte gehen.

Der Weg für Felix Slavik war damit frei. Dennoch war er seiner Sache nicht ganz sicher. Slavik bekämpfte seine einzige Konkurrentin, die durch einen Hundertwasser-Striptease bekanntgewordene Vizebürgermeisterin Sandner, diffizil und brutal zugleich. In einer Sitzung des SP-Gemeinderatsklubs berichtete Slayik seinen überraschten Genossen in Abwesenheit seiner Konkurrentin um den Bürgermeisterstuhl als erster von deren Liaison mit dem VP-Gemeinderat Fröhlich. Damit war auch die letzte Entscheidung gegen Sandner und für Slavik gefallen.

Der Geheimnis-Ausplauderer erhielt zwar die wenigsten Stimmen, die je ein Kandidat bei einer Bürgermeisterwahl auf sich vereinigen konnte, aber mit 88 von 100 doch so viele, daß Frau Sandner (5 Stimmen) langsam an ihren Abschied vom Rathaus – so nehmen Freunde des Brautpaars an – zu denken beginnt.

Das Minderheits-Mißtrauensvotum hat der ehemalige Feinmechanikerlehrling aus der Seidenweberei Eisenmann in Atzgersdorf allerdings rasch verdaut. Zuviel hat er in seinen 58 Lebensjahren schon erlebt, als daß ihm das nahegehen könnte. Der „hochintelligente“ (VP-Stadtrat Maria Schaumayer), kaum mußte sich alle seine politischen Erfolge härter als jeder andere erarbeiten. Zunächst glaubte er noch, daß er durch Gewalt Karriere machen könnte. Der verstorbene ehemalige Kulturredakteur des sozialistischen Zentralorgans „Arbeiter-Zeitung“, Professor Felix Hubalek, wie Felix Slavik in der Vorkriegszeit revolutionärer Jungsozialist, wußte zu berichten, wie die beiden Felixe in Versammlungen. Krach gegen die Alten schlugen. Ihnen war die gegenüber den Christlichsozialen eingeschlagene Linie zu weich. Heute ist der Choleriker Slavik („Ich bin jähzornig, das dauert fünf Minufen“‘) zumindest politisch ruhiger geworden. Dazu mag auch sein Schicksal während des Ständestaates und des NS-Regimes beigetragen haben. Es trägt typisch österreichische Züge.

Silvester 1935 hat der Ex-Favoritner noch in guter Erinnerung. Damals war es den Sozialisten gelungen, über einem Wienerberger Ziegelteich auf Starkstrommasten ein Transparent (,„Prosit 35, wir kommen wieder“) aufzuziehen, das von der Feuerwehr tagelang nicht entfernt werden konnte. Noch im selben Jahr wurde Felix Slavik wegen Hochverrats angeklagt und zu vier Wochen Polizeiarrest sowie zu drei Monaten Wöllersdorf („Dort wurde ich auch geschlagen“) verurteilt.

Knapp vier Jahre später – das Regime hatte bereits gewechselt – wurde der Ständestaat-Häftling erneut wegen Hochverrats, diesmal zu 49 Monaten, verurteilt. Während der Haft hatte Felix Slavik als ausgebildeter Werkmeister einem wenig talentierten Aufseher Ratschläge gegeben, wie eine Mauer am besten zu durchbrechen sei. Erhielt den Meißel, der Aufseher schlug mit dem Hammer zu, ein Meißel-Splitter drang bis hinter Slaviks rechten Augapfel. Professor Lindner, der in einem Gutachten die akute Gefahr vollständiger Erblindung diagnostizierte, konnte den Splitter mit einem Riesenmagnet entfernen, das Auge blieb jedoch blind.

Mit einer schwarzen Binde über dem Auge traf Slavik nach der Haftentlassung den ehemaligen sozialdemokratischen Ex-Parteianwalt Dr. Adolf Schärf. Gemeinsam prozessierten nach kurzer Beratung („Soll ma des Deutsche Reich klagen?“) der nachmalige Bundespräsident und der nachmalige Bürgermeister dem Hitler-Staat eine Invalidenrente ab.

War Slavik während der Schuschnigg-Zeit bei Siemens-Schuckert, wo der spätere E-Werk-Direktor Ruisz sein Chef war, so überdauerte er die Nazizeit als „Wehrunwürdiger“ nicht im Konzentrationslager (Slavik: „Obwohl der Figl das immer von mir behauptet hat“), sondern in Wien, Märzstraße, wo er für die Firma R. u. A. Rost Richtaufsätze für Hitlers Artillerie produzieren half. Disponent dieser Firma war der spätere SP-Zentralsekretär Alois Piperger. Unmittelbar nach Kriegsbeginn hatte Slavik Kontakt zum Widerstand aufgenommen, er war Verbindungsmann zur Widerstandsgruppe in der Deutschen Wehrmacht: An der letzten Besprechung nahmen auch die einen Tag später hingerichteten Wehrmachtsangehörigen Huth, Biedermann und Raschke sowie Käs teil, der die Verbindung zu dem russischen Marschall Tolbuchin aufnahm, um eine Zerstörung Wiens durch die Rote Armee hintanzuhalten.

Im Wiener Erzbischöflichen Palais fanden nach 1938 unter dem Vorsitz von Prälat Jakob Fried gemeinsame Beratungen von Sozialdemokraten und Christlichsozialen statt. Sie sollten verhindern, daß Heimwehrler und Christlichsoziale die ihnen bekannten Sozialdemokraten bei den Nazis anzeigen und umgekehrt. Treffpunkt der sozialdemokratischen Illegalen war die Schneidermeisterei des späteren SP-Nationalratsabgeordneten Kostroun in der Josefstädter Straße, unweit davon befand sich Schärfs Wohnung, wo dieser Seitz und Körner empfing. 

Während manche Informanten, die ungenannt bleiben wollen, berichten, Slavik sei am Tag nach Hitlers Einmarsch in SA-Uniform gesehen worden, andere wieder, er sei wegen monarchistischer Umtriebe verhaftet worden, klärt ein Slavik-Freund aus dieser Zeit, der jetzige VP-Gemeinderatsabgeordnete Hans Leinkauf, auf: „Slavik war ein echter Mann des Widerstandes.“ Nur ehemalige Gestapo-Angehörige wollen ihn heute als Anhänger Otto von Habsburgs ausweisen, weil die Geheime Staatspolizei wenig Unterschiede kannte. Leinkauf: „Was damals links war, war kommunistisch, was rechts. war, war monarchistisch.“ – Im übrigen ist eine Verwechslung mit einem damals durch Wien geisternden SS-Mann namens Slavik möglich.

Nach Kriegsende drängte Felix Slavik auf eine Zusammenarbeit aller Sozialisten, in der SPÖ gilt er heute als „Sozialist der ersten Stunde“. Der Erfolgsmensch, Bewohner einer Dreizimmerwohnung in der Albertgasse in Wien-Josefstadt, wird nicht in die von Marek zu einer Jagdtrophäensammlung adaptierte Bürgermeisterwohnung im Rathaus einziehen. („Die war nur für Jonas wirklich geeignet“, beschreibt ein Jonas-Mitarbeiter die kellerartigen Räume, „weil der Jonas geht ja in den Keller lachen.“)

Seine Arbeitswut – mindestens 12, maximal 20 Stunden – in der Bundeshauptstadt und ein Gehalt von 28.727 Schilling (noch steuerfrei, Spesen zusätzlich) erreicht hat. Der genügsame Esser (Slavik: „Ich bin ein guter Futterverwerter“), Lieblingsspeise Eiernockerln mit Salat, und Kaum-Trinker – nur zu Gulasch und Krautfleisch Bier –, den man bei offiziellen Empfängen noch nie beschwipst sah, hat nach Ansicht seiner Parteifreunde einen persönlichen Fehler und zwei Laster: Auf Kleidung legt er zu wenig Wert. Beim Blutspenden ließ er sich in Hosenträgern von TV-Kameras filmen. Slaviks Image-Polierer hoffen, daß er wenigstens als Bürgermeister Maßschneider aufsucht und nicht weiterhin jahrelang in Anzügen von der Stange herumläuft. Daß er, wie sein Vorgänger Marek, irgendwann einmal versehentlich als Dressman in ein Männer-Modejournal gelangt, halten sie jedenfalls für unmöglich.

Läßt sich dieser äußere Fehler vielleicht doch noch mildern, sind Slaviks Laster offenbar unausrottbar: Trotz ärztlichen Zuspruchs raucht Slavik mindestens 25 HB pro Tag. Seine Bronchien und die für Politiker berufsnotwendigen Stimmbänder sind seit Jahren angegriffen. Die Rauchlust einzudämmen, gelang ihm bisher nicht. Wesentlich reduzieren konnte er lediglich seinen Kaffeekonsum, jetzt trinkt er Tee. 

Reduktionen sind beim zweiten Laster unmöglich, meint ein Parteifreund: „Felix ist Zeit seines Lebens ein großer Frauenfreund gewesen.“ Obwohl mit einer jüngeren, grazilen, hübschen Blondine verheiratet, die ihn meist nur zu Repräsentationsveranstaltungen begleitet, hat er – so ein Slavik-Intimus – „nebenbei sicher noch ein paar Pantscherln“. Und ein Stadtrat präzisiert: „Eines im 16. Bezirk und eines in Grinzing.“ Slavik hat einen 16-jährigen Sohn, Albert, den er jetzt als Nachkommen anerkannt hat.

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Wiens Straßen werden von zwei Slavik-Autos befahren. Mit dem Mercedes 280 (W 2.442), jenem ohne Chauffeur, kutschiert der Stadtvater selbst durch verstopfte Straßen. Der andere Wagen – mit Chauffeur – ist manchmal mit der Slavik-Ex-Freundin (zensuriert) unterwegs.

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Slavik-Förderer Schärf hatte seinen Günstling immer davor gewarnt, seines Nächsten Weib zu begehren (,,In fremde Betten schaut man nicht“) und fürchtete in diesem Zusammenhang um die politische Karriere Schützlings. Allerdings hat man es innerhalb seiner doch eher konservativen Partei nie echt zum Anlaß genommen, Slaviks Karriere zu bremsen, obwohl er mehrmals gegen Schärfs Verhaltensregeln verstoßen hat, wobei Dichtung und Wahrheit nicht immer zu trennen sind. 

Slavik-Kenner flüstern beispielsweise, die Stadthallen-Film-Gründung sei auch aus erotischen Motiven erfolgt. Auf einer Autofahrt nach Klagenfurt hätten der verstorbene Stadthallen-Manager Eder und Felix Slavik vereinbart, eine eigene Filmproduktion auf die Beine zu stellen und dabei auch an karrieresüchtige Starlets gedacht. Auch als Bürgermeister – zuletzt beim Oberösterreicher-Ball am 16. Jänner – legt sich Slavik wenig Zurückhaltung auf, wenn es ihn drängt, einem Mädchen seine Zuneigung zu demonstrieren. Wie charmant sich ein echter Wiener auch im Ausland Damen gegenüber zu verhalten weiß, hat Wiens Bürgermeister früher mehrmals bewiesen. Anläßlich eines Erstfluges nach Saloniki (zensuriert). Und aus Thailand brachten Österreicher die keineswegs sensationelle Mitteilung heim, Slavik habe sich auch dort an einer schönen Frau erfreut.

„Böse Unterstellung“ (Slavik-Freunde) sei hingegen der Verdacht, Slavik nütze die samstägliche Ruhe im Wiener Rathaus zu vormittäglichen Schäferstündchen im Büro. Tatsächlich ist Slavik peinlich bemüht, Damenbesuche im Rathaus zu vermeiden. Daß Slavik Bürgermeister werden konnte, verdankt er freilich nicht nur der Großzügigkeit seiner Parteifreunde in bezug auf Frauenbekanntschaften, sondern vielmehr deren Nachsicht in bezug auf seine finanzpolitischen Mißgriffe. Nach Meinung von VP-Stadtrat Maria Schaumayer können auch alle Public-relations-Anzeigen in den Wiener Zeitungen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Slavik seinen Verpflichtungen als Finanzstadtrat „wie ein kleiner Greißler“ nachgekommen sei. Größter Stolz seiner städtischen Sparstrumpfpolitik war bisher die auf der hohen Kante liegende Rathaus-Milliarde, die die Wiener mit dem Verzicht auf wichtige Investitionen und Vorfinanzierungen bezahlen mußten. Slavik zu diesem Vorwurf: Das Geld sei erstens nicht schlecht angelegt und zweitens benötige ein riesenhafter Wirtschaftskörper wie Wien entsprechende Betriebsreserven: „Schau’n Sie sich die deutschen Städte nur an, die dann plötzlich so verschuldet dastehen, daß sie nicht mehr weiterwissen.“

Wien verfügt heute über einen gigantischen Nachholbedarf. Während in anderen Großstädten längst großzügige U-Bahnen rollen, wird hier erst gebaut. Durch einen gewaltigen Rückstand an Krankenhausbauten, Altersheimen und Pensionistenbauten ist die Tiefbauwirtschaft jetzt überfordert. Die schlechte Verkehrssituation ist seit Jahren notorisch. Die Sanierung (Schaumayer: „Anführungszeichen notwendig“) der Wiener Verkehrsbetriebe „war im wesentlichen eine bilanzkosmetische Operation, durch die der Betrieb nicht liquider wurde“ Als Kaufpreis für den finanziellen Aufputz der politischen Machtübernahme in diesem alten VP-Ressort nahm Slavik mehrere hundert Millionen Schilling Fremdkapitäl auf. Slavik dennoch: „Die Rationalisierung bei den Verkehrsbetrieben ist nicht gelungen.“ Auch die qualitative Wohnungsnot ließ sich in den Jahren, in denen Slavik die Geschicke der Stadt als ihr Finanzminister wesentlich mitbestimmte, nicht beseitigen. Gab es vor zehn Jahren noch 27.000 Gemeindewohnungswerber, sank die Zahl nach der Computerisierung und dem Ausstoß von Karteileichen bloß auf 22.000. Noch immer gibt es keine neue Bauordnung. Die derzeit gültige weist noch Grundelemente der Josefinischen Feuerordnung auf.

Im Gespräch gibt sich Slavik als Bauordnungsreformer: „Keiner drängt so sehr auf die neue Bauordnung wie ich.“ Seit Jahren geistert durch das Rathaus ein Altstadterhaltungsgesetzentwurf, mit dem die Überalterung der Wiener Innenbezirke und das Entstehen von Slums gebannt werden könnte; doch er wird nicht beschlossen. Am 8. Februar 1964 ziel Vizebürgermeister Slavik in der „Arbeiter-Zeitung” zur „größten Wassersuche in der Geschichte der Menschheit“ auf. Vier Jahre später, am 13. Juli 1968, konnte Staberl in der „Kronen-Zeitung‘‘ mit gutem Grund schreiben: „Der Slavik sollte einmal einen anderen auf die Wassersuche gehen lassen.“ 

Im Sommer 1971 wird die vollständige Wasserversorgung Wiens noch immer nicht gesichert sein. Trinkwasserengpässe gibt es nicht nur, wenn die Pumpen während einer Überschwemmung eingestellt werden müssen oder bei langanhaltender Trockenheit. Slavik gelang es nicht, den – von der ÖVP kräftig geförderten – zwölfjährigen Streit mit dem Landwirtschaftsministerium um Quellengebiete beizulegen. Rinnende Klosette und undichte Wasserhähne bedrohen daher weiterhin die Wasserversorgung der Weltstadt. 

Dafür wird es heuer – so der „Kurier“ – „mehr als nur die üblichen Gebührenerhöhungen“ geben. VP-Gemeinderat Neusser konnte unwidersprochen „Fehlplanungen“ und „ungenügende Planungen wie beim Karlsplatz kritisieren. VP-Gemeinderat Ebeit rügte die städtische Bäderpolitik: „Hätte die Gemeinde früher: dafür gesorgt, daß private Bäder nicht zugrunde gehen, hätte sich die Stadtkassa große Beträge erspart.“ Derzeit plant man für den 13. Bezirk ein neues Bad, nachdem das private Speisinger Bad vor einigen Jahren zugesperrt werden mußte. „Die Zeitspanne zwischen Grund noch immer zu lang“, monierte Gemeinderat Blaschka. Die neue Satellitenstadt auf den 1962 angekauften Drasche-Gründen wird laut „Arbeiter-Zeitung“ erst nach 1990 fertig. VP-Gemeinderat Hahn beschwerte sich wiederum darüber, daß ein VP-Stadtplanungskonzept aus dem Jahre 1961 erst jetzt verwirklicht werde. Das Defizit der Wiener Verkehrsbetriebe werde auch nach Übernahme aller Stadtwerke-Pensionslasten von der Gemeinde 706 Millionen Schilling betragen.

Stadtrat Dkfm. Dr. Schaumayer ging in der letzten Budgetdebatte auf den Gründ SIavikscher Wirtschaftspolitik. In den vierzig gemeindeeigenen gemischtwirtschaftlichen Unternehmen der Stadt Wien stecken beträchtliche Kapitalien Wiener Steuerzahler. Sie sind freilich der Kontrolle durch den Gemeinderat entzogen. Das gleiche gilt für die Rücklagen der Stadt.

Laut Anfrage der Gemeinderäte Wöber und Hoffmann beliefen sich die Einlagen bei Geldinstituten im Jahresdurchschnitt 1969 auf 2,41 Milliarden Schilling und brachten Zinsen von nur 74 Millionen. 1969 galt jedoch ein Zinssatz von fünf Prozent für Einlagen, die drei bis sechs Monate gebunden waren, als untere Markterwartung: Demnach wäre für 2,41 Milliarden mit Zinserträgnissen von mindestens 120 Millionen zu rechnen gewesen. Auf die insistenten Schaumayer-Fragen „Wo ist die Differenz geblieben?“, reagierte die SPÖ mit Schweigen. Schaumayer: „Es ist mit einem demokratischen Gemeinwesen unvereinbar, daß der städtische Finanzreferent keinem gewählten Gremium, keinem gewählten Mandatar Einblick gewähren will, ob die Steuergelder optimal veranlagt sind und ob die Erträgnisse korrekt verwendet werden.“ Auch das städtische Kontrollamt ist in solchen Fällen gegen Slavik machtlos. Wird der Bund vom Organ des Nationalrats, dem Rechnungshof, überwacht, ist das Kontrollamt in den anderen Bundesländern Organ des Landtags, so ist es in Wien von Weisungen des Bürgermeisters abhängig.

Slavik versichert neuerdings überraschend, er würde einer Änderung der Bundesverfassung durch den Nationalrat zustimmen, die das Kontrollamt wie in anderen Städten zum Organ des Landtags macht. Schaumayer hingegen hat resigniert: „ÖVP-Anträge zur Kontrollamtsreform sind Legion, sie hatten nur Papierwert.“ Obwohl die immerhin 63 Wiener Kontrollore rückwirkend überprüfen dürfen, „unterliegen sie doch der Zensur“ Slaviks. Schaumayer: „Die Bewachten sind weisungsberechtigt gegenüber dem Wächter. Deshalb läßt sich auch die Langweiligkeit des Kontrollamtsberichts nur mit der des amtlichen Wiener Telefonbuchs vergleichen.“ 1965 sah die VP Chancen, bei Parteienverhandlungen Abhilfe zu schaffen. Slavik lehnte jedoch alle Reformpläne ab. „Es liegt der Verdacht nahe, daß Gründe dafür vorhanden sind“, betont VP-Stadtrat Maria Schaumayer. 

Gründe gibt es:

  • Im April, Juni, September und Dezember wird für das Wiener Jugendhilfswerk, für Tbc-Erkrankte, das Wiener Sozialwerk und die Wiener Armenlotterie gesammelt. Laut Rechnungsabschluß der Stadt Wien (Sommer 1968) haben die Wiener insgesamt 2,057.221,13 Schilling für diese Zwecke gespendet. Die „Kronen-Zeitung“ wies damals nach, daß davon 858.462,98 Schilling „nach dem schier unerforschlichen Ratschluß des Vizebürgermeisters und Finanzgenies Slavik“ auf den Rechnungsposten „Fremde Rücklagen“ überwiesen worden waren. Auf Seite. 103 des Rechnungsabschlusses hieß es dann, daß die Gemeinde Wien insgesamt schon 2,686.237,66 Schilling aus den Spenden ihrer Bürger zurückgehalten hatte. Die „Kronen-Zeitung“-Frage: „Wenn ein Privatmann eine ihm treuhändig für einen bestimmten Zweck übergebene Geldsumme nicht sofort widmungsgemäß verwendet: Wie nennt man ein solches Vorgehen eigentlich?“ blieb unbeantwortet.
  • Vor zwei Jahren konnte die SPÖ-Organisation „Kinderfreunde“ der Gemeinde Wien in Kaisermühlen ein Grundstück zum Preis von 750 Schilling pro Quadratmeter verkaufen, obwohl der damals zuständige Stadtrat Sigmund die Bezahlung von 800 Schilling bei einem anderen nahegelegenen Grundstück abgelehnt hatte. Sigmund erklärte damals, daß 400 Schilling das absolute Maximum seien.
  • Die Planung des Wiener Schlachthofes St. Marx hatte die zum Teil im Gemeindebesitz befindliche Interkonstrukt (Teil des Bauringes) durchgeführt und Gesamtkosten von 830 Millionen errechnet, VP-Stadtrat Prutscher hatte zwei Jahre lang eine Wirtschaftlichkeitsrechnung gefordert, die nicht beigebracht werden konnte. Nach zwei Jahren gestand auch Slavik ein, daß diese Planung zu aufwendig betrieben worden war – jetzt ließ sich das Schlachthof-Projekt um rund 400 Millionen verwirklichen.
  • Auch bei einem zweiten gemischtwirtschaftlichen Betrieb der Gemeinde Wien blieb der Erfolg aus. Für den Handel mit Entwicklungsländern wurde die Interkommerz als Tochterbetrieb der Vereinigten Baustoff- und Betonwerke gegründet. VP-Stadtrat Prutscher und SP-Witzmann, die als Mandatare im Aufsichtsrat der Vereinigten Baustoff- und Betonwerke saßen, sahen die Berechtigung dieser Neugründung nicht ein. Daraufhin machte Slavik kurzen Prozeß: Witzmann und Prutscher mußten aus dem Aufsichtsrat ausscheiden, ihnen folgten weisungsgebunde Beamte des Wiener Rathauses nach, die die Wünsche Felix Slaviks bedingungslos zu erfüllen hatten. Mit der Entwicklungshilfe wurde es dennoch nichts, heute beliefert die Interkommerz Kagraner Gemeindewohnungen mit Einbaukästen (Prutscher: „Auch eine Art der Slavikschen Entwicklungshilfe‘).
  • Ein wesentlich größerer Brocken war die Stadthalle, bei deren feierlicher Eröffnung der damalige Wiener Vizebürgermeister Hans Mandl am 21. Juni 1958 noch erklärt hatte: „Die Wiener haben mit diesem Bau, der in Europa nicht seinesgleichen hat, sich selbst ein Geschenk gemacht.“ Jahre später gab es Felix Slavik billiger. Nach dem Auffliegen des Stadthallen-Filmskandals schob er seinen Parteigenossen Stadtrat Glaser vor und sagte jedem: „Da bin i eineglegt wordn.“ 

Mit dem Filmtitel „Eins, zwei, drei, aus“ und Einspielergebnissen von 866.000 Schilling hatte es verheißungsvoll begonnen. Die Wiener Gemeinde übernahm am 6. November 1947 die Sieben-Millionen-Haftung an der Pabst-Kiba-Filmproduktionsges.m.b.H. Im Februar 1962 kam es dann zu einem Abkommen mit der Wiener Stadthalle und der Gewerkschaft Kunst und freie Berufe, in dem sich die Stadthalle verpflichtete, kein branchenfremdes Personal bei Filmproduktionen zu verwenden. Auch weitere Voraussetzungen sollte nicht im eigenen Haus, sondern in verwaisten Wiener Filmateliers drehen. Die Halle stand also leer, während die Ateliers 25 Millionen Schilling Miete kassierten. Der neunte Film („Sing, aber spiel’ nicht mit mir“ mit Lou var Burg) brachte die erste Pleite: 6,2 Millionen Kosten standen 1,75 Millionen. Einnahmen gegenüber. Da stockten die Wiener Finanzgewaltigen kurzerhand das Stadthallenkapital auf, zuerst von 2 auf 10, dann von 10 auf 20 Millionen Schilling.

Als Slavik 1965 neuerlich auf 45 Millionen aufstockte, versicherte er dem VP-Gemeinderat Mühlhauser am 6. Juli 1965, das Geld werde nicht für Filme, sondern für Hallen-Anlagen verwendet. Die Bilanzen der Jahre 1963/64, 1964/65 und 1965/66 fehlen bis heute. Das städtische Kontrollamt mühte sich deshalb mit drei uralten Berichten ab. Der Rechnungshof verfaßte einen Rahmenbericht, bemängelte aber bloß die „Bilanz-Taktik“ der Stadthalle. 1963 verband sich die Stadthalle mit der Constantin-Film und dem Nora-Filmverleih. 

Doch auch die bundesdeutsche Hilfe (Gewinne und Verluste sollten zu je 50 Prozent geteilt werden) versagte. Drei Jahre später war das wirtschaftliche Desaster komplett: 120 Millionen Defizit. Auch ein letzter Rettungsversuch durch den Sohn des BAWAG-Generaldirektors Klenner (er war Prokurist der Stadthallen-Film Ges.m.b.H.) schlug fehl: sein in letzter Minute aufgenommener 40-Millionen-Kredit machte Slaviks Filmkraut nicht mehr fett.

  • Im Februar 1962 forderte SP-Gemeinderät Stroh den Ankauf des Stadttheater-Grundstücks durch die Gemeinde Wien. Baudirektion und ÖVP lehnten ab. Das Grundstück war im September 1960 von einer Bürogesellschaft um 4,8 Millionen gekauft worden, die Baudirektion schätzte seinen Wert auf 3,5 Millionen, Slavik-Schwager Josef Machek bot es um 8,5 Millionen der Gemeinde zum Kauf an. Sechs Monate später kam das Geschäft doch zustande. Machek verzichtete auf 500.000 Schilling (Stadttheater-Kaufpreis 8 Millionen), legte aber auf das Grundstück Praterstraße 46 wert, das ihm die Gemeinde überließ. Der Quadratmeterpreis belief sich für die Gemeinde Wien dann unter Aufrechnung der Nebenkosten (Abbruch des Theaters, Fundus Abbezahlung) auf 4.400 Schilling, der Gesamtpreis auf 9,085.000 Schilling.
  • Ein noch schlechteres Geschäft machte die Gemeinde Wien beim Ankauf der Wienerberger Gründe. Sie zahlte 1967 sieben Millionen Schilling, nahm aber in Kauf, daß die Wienerberger-Werke bis 1995 dort noch Ziegel abbauen. Wasser-, Kanal-, Strom- und Gasleitungen muß die Stadt Wien bauen. Über die juristische Abwicklung dieses Geschäftes meint VP-Gemeinderat Rechtsanwalt Dr. Krasser: „Ich verstehe ein wenig vom Vertragsrecht, aber so etwas habe ich noch nie gesehen.“

Der „Kronen-Zeitung“-Staberl zog im Juni 1968 als einziger Wiener Jourmalist Vergleiche: „Es steht auf Grund unbestritten vorliegenden Zahlenmaterials unumstößlich fest, daß Herr Slavik mit seinem Stadthallen-Filmskandal den Wienern einen ganz wesentlich größeren Schaden zugefügt hat als Müllner mit seinem Newag-Skandal den Niederösterreichern. Rein sachlich steht fest: Hier hat der wahrscheinlich schuldhafte Müllner 47 Millionen Schilling Schaden gemacht; dort der juristisch schuldlose Slavik an die 300 Millionen.“

Unübersehbar ist Slaviks Fehleinschätzung bei der Lösung des innerstädtischen Massenverkehrsproblems. Die Behauptung, er habe deshalb bis zuletzt mit. dem Beginn des U-Bahn-Baues gezögert, weil er sonst einer VP-Forderung nachgekommen wäre, stimmt. VP-Stadtrat Dkfm. DDr. Pius Prutscher, der am 28. Jänner 1971 Abschied vom Stadtratsposten nahm, bestätigt: „Wir haben schon 1955 bewußt nicht mehr von der U-Bahn, sondern von der zweiten Verkehrsebene geredet.“ 1961 hatte er selbst so erinnert sich Prutscher – in der Budgetdebatte noch gefordert, daß zumindest die Baufluchtlinien so festzulegen sind, daß sie einen späteren U-Bahn-Bau nicht behindern. Nichts geschah. Im Gegenteil: Der heutige Wiener Vizebürgermeister Bock hatte zwei Jahre vor dem U-Bahn-Beschluß des Wiener Gemeinderates noch öffentlich erklärt, daß erst „künftige Generationen die U-Bahn bauen können und sollen“. Eine „derartige Erklärung“ sei – so Prutscher „nicht ohne Einverständnis Felix Slaviks denkbar und möglich“ gewesen. Slavik rechtfertigt sich: „Von 1945-1955 war keine Planungsmöglichkeit wegen russischer Besatzung. Später konnte ich nicht ein Drittel der Gesamtinvestitionen allein für die U-Bahn verwenden.“ Innerhalb der SPÖ ist Slavik heute unbestritten. Selbst Otto Probst lobt ihn: „Er ist ein echtes politisches Naturtalent, das auch in der Wirtschaft Karriere gemacht hätte.“

Bei Personalvertretungswahlen unter Wiens Gemeindebediensteten erreicht Slaviks SPÖ immer märchenhafte Siege und eine 86-prozentige Mehrheit. Nach dem Sieg bei den Wiener Landtagswahlen (1969) gelang der Wiener SP auch bei den Nationalratswahlen vom 1. März 1970. der große Durchbruch: Ohne Slaviks Gewinne hätte Bruno Kreisky weder die Mehrheit noch die Möglichkeit zur Bildung einer Regierung gehabt. Solch eine Mitgift, die der neue Wiener Bürgermeister damals auf den Tisch der Bundes-SPÖ legen konnte, verpflichtet SP-Vorsitzenden Kreisky. Jeder von beiden weiß, er braucht den anderen. Slavik hat zu Selbstbewußtsein gegenüber seinem Kanzler Anlaß wie kaum ein anderer Länderchef. Gemeinsam mit seinem alten Freund Bruno Pittermann hätte Slavik sich selbst ohne große Schwierigkeiten auf den Sessel des Finanzministers katapultieren können. Er tat es nicht. Zu Freunden sagte er damals: „Lieber der erste in Mailand als der vierte in Rom.“ 

Eine weitere Ursache für Slaviks unaufhaltsamen Aufstieg zum Ersten in Wien: Er versteht es nicht nur, innerparleilichen
Kritikern den Mund zu stopfen, er vermochte auch Hindernisse der politischen Gegner durch enge persönliche Beziehungen mit manchem VP-Mändatar aus dem Weg zu räumen. Beispiel: Obwohl die städtische Ekazent schon bisher Sanierungsaufgaben übernommen hatte, soll jetzt noch ein zweites Unternehmen, die gemeinnützige Wohnbau-, : Planungs- und Betreuungsgesellschaft als Altstadtsanierungsverein gegründet: werden. Für den nach seiner Verlobung aus dem Gemeinderat ausgeschiedenen VPler Fröhlich fand Slavik hier rasch einen dreimal so gut bezahlten Posten. Er wird sich gemeinsam mit dem sozialistischen Heimatkundler und Elektroinstallateur Prof. Ludwig Sackmauer zunächst einmal um ein Sanierungsgebiet (von. insgesamt rund 100) kümmern, das ihm selbst am Herzen liegt: das Spittelbergviertel hinter dem Volkstheater.

VP-Stadtrat Maria: Schaumayer bestreitet energisch, daß solche Postenvergaben die politische Haltung der Wiener VP beeinflußt hätten: ,,Wir packeln nicht mit Slavik.“ Sie gibt freilich zu, daß dieser Eindruck entstehen könnte, weil „unsere Aktivitäten in der Presse zu wenig berücksichtigt werden“. Als. SP-Bezirksfunktionäre dagegen protestierten, daß VP-Stadtrat Prutscher im 15. Bezirk ohne Baugenehmigung eine Fabrik bauen durfte, kalmierte Slavik die Stimmung seiner Genossen. Prutscher durfte und lieferte als Stadtrat für Wirtschaftsangelegenheiten und Inhaber einer Labor- und Krankenhauseinrichtungsfirma an das Städtische Wiener Allgemeine Krankenhaus. „Deshalb konnte Prutscher gegen Slavik auch nie aufschreien“, berichtet ein sozialistischer Journalist über den VP-Stadtrat, der die Stadtratsfunktion nur aus familiären Gründen zurücklegte. Prutscher bestätigt, daß er einem Wiener Grundstück, das seiner Familie seit 1916 gehört (Wien 15, Dieffenbachgasse 35-39) einen „Nervenkrieg um die Genehmigung durchfechten mußte, weil die örtlichen Funktionäre dagegen waren. Nicht dagegen war der damalige Stadtplaner Prof. Rainer, der dieses Gebiet sogar bewusst mit einer Firma bebaut wissen wollte, weil es für Wohnungen (Stadtbahn, Stadtautobahn) sowieso zu laut gewesen wäre. Prutscher beschäftigt 40 Leute, exportiert rund 25-30 Prozent seiner Laboratoriums-Produkte, vom Rest gehen weitere 25 Prozent an städtische Einrichtungen. Er beteiligte sich bisher wiederholt an städtischen Ausschreibungen und lieferte, „weil ich um 20 Prozent billiger war als die anderen“. Die Aufträge, die ohne sein Zutun gegeben wurden, waren von Slavik und dem zuständigen Magistratsdirektor aus Prutschers Stadtrats-Ressort für Wirtschaftsangelegenheiten unterschrieben.

Auch Prutscher wird freilich von Schaumayer verteidigt: „Er war Bestbieter bei einer Ausschreibung, er hat nur an einem Wettbewerb teilgenommen und gewonnen. Von Unvereinbarkeit könne keins Rede sein. 

Aus Slaviks Umgebung hört man unaufgefordert auch, daß etwa Bundeskammerpräsident Ing: Rudölf Sallinger mit Slavik befreundet sei und diesen einmal zu einer Kenia-Safari eingeladen habe. Nicht zu Safaris, aber immerhin zu Stadtbesichtigungen im Ausland lädt Slavik Wiens Journalisten regelmäßig ein. Pro Teilnehmer und pro Fahrt kostet das rund 10.000 Schilling: aus dem Wiener Stadtsäckel. Wiens Kommunalberichterstatter sahen bisher dank des Wiener Finanzstadtrates München, Kopenhagen, Budapest, Zürich, Helsinki, Stockholm und Warschau. Im Frühlinge 1971 will man sich in der rumänischen Hauptstadt Bukarest wiedersehen. Erst in Warschau wurden Sparmaßnahmen verkündet, vorher durften so ein mitreisender Journalist vom TV-Kameramann Bordellrechnungen zur Rückerstattung der Kosten eingereicht werden. Das und die frühere emeindewohnungsvergabe an Journalisten (Slavik zu einem widerwilligen Stadtrat: „Geben wir ihnen lieber Wohnungen, dann schreibens’ net so kritisch“) machte Slavik beliebt.-Alle Wiener Tageszeitungen, mit Ausnahme der „Kronen-Zeitung“ und fallweise der „Wochenpresse“, nehmen daran teil.

Schon vorher hatte Slavik die kritischen Rathaus- Berichterstatter von „Presse“ und „Kurier“ zu sich geholt (Schaumayer: „Darin sehe ich System“). Prutscher: „Die zwei wichtigsten hat er zu sich geholt und damit die zwei stärksten Organe („Kurier“ und „Presse“) mit der ausgiebigsten Information auf einige Zeit stillgelegt.“

Der ehemalige „Presse“-Redakteur Günther Templ verfügt heute neben Stadtrat Schaumayer über ein eigenes Zimmer im Rathaus, über einen Brutto-Monatsbezug von 16.000 Schilling und verdient damit mehr als der Leiter des städtischen Presse- und Informationsdienstes Wilhelm Adametz. Templ betreut den U-Bahn-Bau publizistisch. Noch besser schnitt der Ex-„Kurier“-Mann Helmuth Korzendörfer ab, der von Slavik als Generalsekretär des Stadtforschungsinstitutes sofort pensionsberechtigt gemacht wurde und auf 25.000 Schilling pro Monat kommt. 

Es gibt auch externe Mitarbeiter. Hans Mann, früher „Neues Österreich“, jetzt bei der „Arbeiter-Zeitung‘“, macht im Auftrag der Gemeinde die Zeitschrift „Schwester Claudia“ viermal jährlich. Sein AZ-Kollege Alois Brunnthaler hilft ebenfalls dem Rathaus. Das sind die namentlich bekannten aktiven oder ehemaligen Journalisten, die im Auftrag der Gemeinde Wien Dienste verrichten und Honorare kassieren. Offenbar gibt es aber noch eine größere Anzahl namentlich nicht bekannter Redakteure, die ihre journalistischen Fähigkeiten in den Dienst der Bundeshauptstadt stellen. In einer Beantwortung einer Anfrage der VP-Gemeinderäte Dr. Glatzl und Dr. Bauer erklärte Slavik-Vorgänger-Marek: „Der Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien strebt die Mitarbeit auch solcher Journalisten an, die bei unabhängigen Zeitungen beschäftigt sind. Diese Personen sind aber nur dann zur Mitarbeit bereit, wenn sie sicher sein können, daß ihre Tätigkeit bei der Stadt Wien ihrer Zeitung nicht bekannt wird. Aus diesem Grund darf von einer Nennung der in Betracht kommenden Namen Abstand genommen werden.“

Mit „Presse- und Informationsdienst“ meinte Wiens Ex-Bürgermeister jene Rathausabteilung im Komplex des Wiener Forum-Kinos, in der 50 Leute über 40-Informations-Millionen verfügen können (so viel kostet der Bundespressedienst der Bundesregierung einschließlich Attachés insgesamt, 98 Mann).

Felix Siavik hat sich inzwischen auch mit Staberl ausgesöhnt. SP-Versammlungsteilnehmer hatten damals, als Staberl sich immer wieder über das Finanzgenie Slavik lustig gemacht hatte, gedroht: „Den fang ma uns amol in der Nacht ab und verdreschen eam.“ Doch Slavik beschwichtigte: „Des mach i auf a ganz andere Tour.“

Slavik selbst hat mit Richard Nimmerrichter „noch nie geredet“, Kronen-Zeitung-Mitbesitzer Kurt Falk hatte knapp vor den letzten Wiener Landtagswahlen im Jahre 1969 dem Slavik-Anwalt Dr. Fiebich versichert: „Wir wollen den Krieg nicht weiterführen“ und seither schwieg Staberl.

Ebenso gebefreudig wie bei der städtischen Propaganda und Information zeigte sich Slavik, als er die „Neue Zeitung“ gebar. Dennoch hatten sich zum Zeitpunkt der Einstellung Ende: 1970 Kosten von 60 Millionen angesammelt. Obwohl sich der Wiener Finanzmanager nie in Geschäftsangelegenheiten eingemischt hatte, übte er doch am redaktionellen Teil „oft schreiend“ (ein „Neue“-Redakteur) Kritik. Chefredakteur Herzog, der später zum Fernsehen überwechselte, versuchte dem Slavik-Ärger zu entgehen und befahl seinem Blattmacher: „Gib no a Büldl vom Slavik eine.“

Durch Sonderbeilagen („50 Jahre sozialer Wohnbau“, „70 Jahre Marek“) und durch Gefälligkeitsinserate konnte das 1967 gegründete Blatt dem prophezeiten Ende nach einem halben Jahr entgehen. Als die „Kleine Zeitung“ Graz die Einnahmen aus der Marek-Geburtstags-Story mit 180.000 Schilling berechnete, „lachten wir alle darüber“ (ein ,,Neue“-Redakteur), „weil der Gewinn in Wirklichkeit weit, weit höher war“. Allein im September 1970 kassierte die Zeitung Inseratengebühren für acht Seiten von Zentralsparkasse, Verlag für Jugend und Volk, Gewista, Stadt Wien, Stafa (je zwei), Wiener Städtische Versicherung (eineinhalb), Konsum, Wien-Kredit und Projektbau (je eine).

Dennoch scheiterte dieses Slavik-Geschäft mit einem Streik der Redakteure. Doch auch das tat Felix Slaviks Macht keinerlei Abbruch. Die Bundeshauptstadt erhielt den Bürgermeister, den sich Felix Slavik seit Jahren wünschte. Ein Sechstel seiner Arbeitszeit benützt Wiens neuer Bürgermeister für Repräsentation (Slavik: „Das ist erheblich weniger als Marek“). Sein Arbeitstag dauert oft bis nach Mitternacht, einmal weckte ihn ein Gemeindewachebeamter im Büro, weil er am Schreibtisch eingeschlafen war.

Seine. wichtigsten Ratgeber (Slavik: „Ich liebe Diskussionen und hasse Ja-Sager“) sind Magistratsdirektor Dr. Eril, Kontrollamtsdirektor Dr. Delabro und sein Vorzimmeradjutant Präsidialchef Dr. Vorrath, der ihm auch mit juristischem
Rat beisteht. Von seinem langjährigen Sekretär, dem Theaterstücke schreibenden Oberamtsrat Gebak, hatte er sich wegen Spannungen im Büro getrennt. Gebak, der jetzt städtische Informationskontakte zum ORF herstellt, sei, so Slavik, mehr am Kulturschaffen interessiert: „Es war ihm sicher fad bei mir.“

Politisch beraten läßt sich Slavik von seinen Stadträten und dem Wiener Präsidium der SPÖ. Kommt ihm, persönlich eine Idee, kann er sie freilich nicht sofort durchsetzen. „Erst muß alles rechtlich geprüft werden“, und die zuständige Rathausabteilung muß ihm schriftlich Bericht erstatten: „Auf mündliche Auskünfte verlasse ich mich nicht.“ Ist für die Realisierung einer Slavik-Idee ein Gesetz notwendig, vergeht mindestens ein halbes Jahr, bis sein Wunsch erfüllt wird.

Der 58-jährige Bürgermeister versucht, einen halben Tag pro Woche für Privatzwecke zu retten. „Bis zu meinen 65. Lebensjahr möchte ich Bürgermeister bleiben“, wünscht sich Felix Siavik. Eine anschließende Kandidatur als Bundespräsident hält er „für ausgeschlossen“. Jetzt fühlt er sich („Ich bin ein Arbeitsmagnet“) noch für alles verantwortlich. Er trägt es mit Gleichmut, daß er für Fehler seiner Stadträte öffentlich zur Verantwortung gezogen wird, gibt aber zu, daß auch manche Leistung eines anderen Rathauspolitikes ihm gutgeschrieben wird. Nach seiner eigenen Einschätzung hat er als Finanzstadtrat „keine echten Fehler gemacht“.

Slavik hat als einer von wenigen Spitzenpolitikern den Kontakt mit den kleinen Leuten nicht abreißen lassen. Er beantwortet täglich rund 20 Briefe selbst, in denen sich Wiener über unfreundliche Schaffner, schmutzige Gemeindebauten und die Lautstärke spielender Kinder beschweren. Diese Arbeit überläßt er nicht einmal seinem Presseberater, dem ÖVP-gebürtigen Robert Prosel und er bedient sich bei seinen Antworten eines gutmütigen „Zuredesystems“. 

Sein Arbeitstäg beginnt um 6:45 Uhr in der Albertgasse. Um 8 Uhr trifft er mit seinem Mercedes im Rathaus ein. Für die Fahrt benützt er kleinere Gassen um dem städtischen Verkehrsgewühl auszuweichen.

Aus dem Archiv (profil 2b/1971)

Peter Michael Lingens

war von 1970 bis 1974 Chefredakteur und bis 1987 Herausgeber von profil.