Bundespräsident Van der Bellen
Politik

Alexander Van der Bellens 80. Geburtstag: Unrasierte Lässigkeit

Der „alte weiße Mann“ hat keine gute Nachrede. Van der Bellen tut viel für dessen Ehrenrettung. Eine Würdigung zum 80. Geburtstag.

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Joe Biden ist 81 Jahre alt und kann mit einem Telefonat einen Flugzeugträger-Verband in den Einsatz schicken. Alexander Van der Bellen ist Oberbefehlshaber des Bundesheeres und Ranghöchster in der Regierungsloge bei der Opernball-Eröffnung. Am 18. Jänner wurde er 80 Jahre alt. Biden und Van der Bellen repräsentieren den Phänotyp des alten weißen Mannes, der seit einiger Zeit keine gute Nachrede hat. Was Österreich betrifft, trug Van der Bellen einiges zu dessen Ehrenrettung bei, etwa durch die Bewältigung diverser Regierungskrisen. In seiner bisherigen Amtszeit gelobte er beinahe mehr Kanzler und Minister an als seine Vorgänger zusammen. 

Der frühere Bundespräsident Heinz Fischer entwickelte fast allergische Reaktionen, wenn die Würde seines Amtes nicht gewahrt wurde. Das war aus Fischers Sicht bereits bei der unzulässig verkürzten Anrede „Herr Fischer“ der Fall. Mit Alexander Van der Bellen zog eine unrasierte Lässigkeit in die Hofburg ein. Im Begleittross des Bundespräsidenten kann man dessen entspannten Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern miterleben, etwa im Mai 2017 beim Festakt zum 60-Jahre-Jubiläum des Slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt. Zweiter Ehrengast neben Van der Bellen im Konzerthaus war der damalige slowenische Staatspräsident Borut Pahor. Kurz vor Beginn der Veranstaltung wollten, beziehungsweise mussten beide Präsidenten wie viele andere Besucher das gleiche: aufs Klo. (Auch ein profil-Reporter war vor Ort.) Für Borut Pahor wurde eine komplette Toilettenanlage im Konzerthaus geräumt. An der Tür wachten zwei Personenschützer darüber, dass niemand das Staatsgeschäft stört. Im überfüllten Männerklo daneben stand plötzlich der österreichische Bundespräsident und stellte sich höflich in die Reihe. Ein Vorbenützer hätte ihm vor Schreck fast die Hand geschüttelt.

Wie hält er es mit Kickl?

Van der Bellen genießt Ansehen quer über alle Parteigrenzen hinweg. Nur mit der FPÖ hat er es sich verscherzt, nicht nur, weil er seine freiheitlichen Gegenkandidaten (2016: Norbert Hofer; 2022: Walter Rosenkranz) bei der Bundespräsidentenwahl besiegte. Im Mai 2019 entließ Van der Bellen auf Vorschlag von Kanzler Sebastian Kurz Innenminister Herbert Kickl. Der heutige FPÖ-Chef hat ihm das nie verziehen. Sollte die FPÖ tatsächlich die kommende Nationalratswahl gewinnen, steht Van der Bellen vor einer Entscheidung, gegen die das Management der Ibiza-Krise eine leichte Übung war. Kann er einen Politiker, den er als Innenminister für ungeeignet hielt, mit der Bildung einer Bundesregierung beauftragen und in der Folge zum Bundeskanzler ernennen? Eher nicht. Van der Bellen wird aktiv versuchen, eine Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Grünen oder NEOS zu initiieren. Den FPÖ-Wählerinnen und -Wählern wird er diesen Move allerdings genau erklären müssen. Schafft es Kickl wie Wolfgang Schüssel im Februar 2000, am Bundespräsidenten vorbei einen Koalitionspartner und eine Mehrheit im Parlament zu gewinnen, wird Van der Bellen ihn allerdings zum Kanzler machen müssen. Es wäre eine Überwindung für ihn, aber ein Rücktritt in diesem Fall keine Option – Van der Bellen würde damit selbst eine politische Krise herbeiführen.

Da der Bundespräsident formal viel Macht besitzt, diese in der Praxis aber nicht einsetzt, nennen ihn Verfassungsexperten „einen schlafenden Riesen“. Van der Bellen ist der erste Bundespräsident der Zweiten Republik, der hellwach sein musste und weiterhin bleiben muss – auch wenn das oberflächlich betrachtet seinem Naturell widerspricht.

Anmerkung: Dieser Artikel ist die aktualisierte Version eines Kommentars aus dem Jahr 2021.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.