Abtreibungsgegner und Abtreibungsbefürworter demonstrieren vor dem Supreme Court.

Abtreibung: Mein Körper gehört – nicht mehr? – mir

In den USA steht das Abtreibungsrecht auf der Kippe. Entscheidet der Supreme Court im Sinne konservativer Kräfte, könnten Abbrüche bald im halben Land abgeschafft sein. [E-Paper]

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Ihr zehnter Geburtstag hat sich in Michele Goodwins Gedächtnis eingebrannt. In den frühen Morgenstunden kommt der Vater in ihr Zimmer. Es ist das erste Mal, dass er sie vergewaltigt, und es wird nicht das einzige Mal bleiben. Das Trauma ist dermaßen groß, dass der Körper des Mädchens rebelliert. Sie verliert temporär ihr Augenlicht, hat Haarausfall, bekommt Migräneanfälle. Der Vater schickt sie zu einer Reihe von Ärzten, doch die finden nichts; aus medizinischer Sicht ist alles in Ordnung.

„Mein Körper“, schreibt Michele Goodwin über ihre einsetzende Pubertät, „wurde zu einem Gefäß, das mir nicht mehr gehörte.“ In einem viel beachteten Artikel für die „New York Times“ hat die Professorin für Recht an der University of California in Irvine vor Kurzem vom Missbrauch in ihrer Kindheit erzählt. Anlass war der Streit um ein restriktives Abtreibungsgesetz im US-Bundesstaat Mississippi, das, weil unvereinbar mit einem fast 50 Jahre alten Grundsatzurteil, nun beim Supreme Court liegt. Entscheidet der Oberste Gerichtshof zugunsten Mississippis, könnte das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche bald im halben Land abgeschafft oder stark eingeschränkt werden. Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Abtreibungsrechte in den USA.

Also griff Goodwin zur Feder. Sie ist dieses Jahr 51 geworden, eine attraktive, wortgewandte Frau, die eine beachtliche Karriere hingelegt hat. Seit 2014 ist sie Professorin an einer der renommiertesten staatlichen Universitäten der USA, Schwerpunkt Bioethik, Verfassungsrecht und Gesundheit. Sie leitet das Zentrum für Biotechnologie und weltweite Gesundheitspolitik und befasst sich seit Jahren mit Reproduktionsrechten.

In „I Was Raped by my Father. An Abortion Saved My Life“, dem Artikel in der „New York Times“, beschreibt Goodwin die Jahre nach ihrem zehnten Geburtstag; die nächtliche Angst, eine vermeintlich wohlbehütete Kindheit zwischen Eliteschule und Ballettunterricht. Ihre Eltern hatten sich getrennt, Goodwin wuchs beim Vater auf, einem wohlhabenden Unternehmer, der seine Verbrechen gut zu verstecken wusste.

Als Michele Goodwin zwölf Jahre alt ist, wird sie von ihm schwanger. Er bringt sie zum Arzt, macht seine Tochter älter, als sie ist, behauptet, dass sie mit ihrem Freund unvorsichtig war. Der Arzt glaubt es, Goodwin kann abtreiben. „Ich kann mich glücklich schätzen, dass meinem Körper ein zusätzliches Trauma durch meinen Vater erspart geblieben ist – ein Trauma, das heute von einigen staatlichen Gesetzgebern und Gerichten erzwungen werden würde“, schreibt Goodwin 39 Jahre später.

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Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.