"Lukaschenko ist zu allem bereit"

Der ehemalige Kulturminister von Belarus Pawel Latuschko über seine Angst, vom Regime entführt zu werden, und seine Forderungen an die EU.

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profil: Am Wochenende wurde ein Flugzeug, in dem der regimekritische Blogger Roman Protassewitsch saß, zur Landung in Minsk gezwungen. Protassewitsch lebte wie Sie im EU-Exil. Wie sicher fühlen Sie sich?

Latuschko: Kaum war Roman Protassewitsch verhaftet, schrieb ein Abgeordneter des belarussischen Parlaments über mich: "Latuschko wird der Nächste sein. Werft ihn in einen Kofferraum und bringt ihn nach Belarus." Dort laufen vier Strafverfahren gegen mich. Wie würden Sie sich fühlen? Wir wissen aber schon lange, dass Lukaschenko zu allem bereit ist, um an der Macht zu bleiben.

profil: Eine Flugzeugentführung gehörte aber nicht zu den Dingen, die man erwarten konnte.

Latuschko: Warum nicht? Erst im Februar hat der Vorsitzende des KGB (belarussischer Geheimdienst, Anm.) offen damit gedroht, alle Verräter im Ausland zu finden, egal, wo sie sind. Lukaschenko hat sich ähnlich geäußert. Leider haben uns die europäischen Politiker in den vergangenen Monaten nicht zugehört und nicht geglaubt, dass ein Diktator wie Lukaschenko so tickt.

profil: Sie haben die EU-Sanktionen als "Kosmetik" kritisiert. Was fordern Sie?

Latuschko: Dass Lukaschenko als internationaler Terrorist anerkannt wird und die härtesten Sanktionen verhängt werden. Ein Einreiseverbot für 200 Personen, die sich Verbrechen schuldig gemacht haben (bisher stehen 88 Personen auf der EU-Sanktionsliste, Anm.). Auch Staatsunternehmen müssen auf die Liste, darunter einer der größten Kaliproduzenten der Welt, Belaruskali. Dort werden Arbeiter gefeuert, erniedrigt, ihre Streikführer sind inhaftiert. Und die Welt handelt weiter mit diesem Unternehmen? Es ist furchtbar, dass erst beim Außenministertreffen am 21. Juni darüber entschieden wird. Bis dahin kann Lukaschenko weiter morden, foltern, entführen.

profil: Die EU hat den Luftverkehr mit Belarus eingestellt, die Fluglinie Belavia darf nicht mehr in der EU landen. Seit die Landesgrenzen geschlossen sind, gilt der Luftweg als einziger Fluchtweg. Leiden darunter nicht am meisten die Belarussen selbst?

Latuschko: Lukaschenko hat die Landesgrenzen geschlossen. Er ist der Diktator, der das Land abschottet, und nicht die EU-Sanktionen.

profil: Können ihn Sanktionen überhaupt zum Einlenken bringen?

Latuschko: Es ist ein historischer Test für die EU. Sie muss zeigen, dass sie solche Menschenrechtsverletzungen auf diesem Kontinent nicht duldet. Roman Protassewitsch ist nur ein Symbol. In den Gefängnissen sitzen Hunderte, wenn nicht Tausende politische Gefangene. Und es werden immer mehr. Ich will natürlich nicht der EU die Verantwortung zuschieben, unser Schicksal liegt in unseren Händen. Aber die Belarussen stehen einem brutalen Sicherheitsapparat gegenüber, schutzlos, ohne Waffen.

profil: Was erwarten Sie von Österreich, einem der größten Investoren im Land?

Latuschko: Voriges Jahr hat die Raiffeisen Bank International (RBI) die Emission einer Staatsanleihe mitorganisiert, als schon die ersten politischen Gefangenen in Haft waren. Gelder, die Lukaschenko für seinen repressiven Apparat braucht, für die Polizei und Granaten gegen friedliche Proteste. Dann noch die Telekom Austria-Tochter "A1 Belarus", die den Protestierenden das Internet abgeschaltet hat. Wir erwarten, dass diese Unternehmen die Taten des Staates verurteilen und ihre Investitionen stoppen, solange diese Massenrepressionen anhalten.


Pawel Latuschko, 48, war Diplomat und Kulturminister unter Alexander Lukaschenko. Als im Sommer 2020 die Proteste gegen Wahlfälschungen ausbrachen, wechselte er auf die Seite der Demokratiebewegung und wurde zu einer ihrer Führungsfiguren. Heute lebt er in Warschau, wohin 2019 auch der eben entführte Blogger Roman Protassewitsch floh. profil erreichte Latuschko per Telefon.