Bill Cash über den Brexit: "Wir beugen uns niemandem"

Der konservative britische Abgeordnete Bill Cash über seine Fundamentalopposition gegen Theresa May und ihren Brexit-Deal.

Drucken

Schriftgröße

Die Rebellion der EU-Feinde ist erst einmal abgesagt - oder besser: vertagt. Statt ein Misstrauensvotum gegen die eigene Parteichefin anzustrengen, wollen die konservativen Abgeordneten der European Research Group Theresa May nun auf andere Art loswerden. Sie haben vor, im Dezember im House of Commons, dem Unterhaus des britischen Parlaments, gegen deren Brexit-Deal zu stimmen. Denn sie halten den Scheidungsvertrag und die politische Erklärung über die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU für eine Unterwerfung. Sir Bill Cash, 78, gehört schon seit dem Maastricht-Vertrag 1992 zu den schärfsten EU-Kritikern innerhalb der konservativen Tory-Partei. Er hat die European Research Group im Parlament 1993 mitgegründet, um den Austritt Großbritanniens aus der EU zu betreiben. Die kleine Gruppe von EU-Feinden auf den Hinterbänken der Tories vereint heute rund 80 Abgeordnete.

Nachdem ERG-Anführer Jacob Rees-Mogg vergangene Woche vollmundig angekündigt hatte, gemeinsam mit anderen 47 Abgeordneten einen Misstrauensantrag gegen die eigene Premierministerin anstrengen zu wollen, ist allerdings nichts passiert. Sir Bill war vorige Woche wegen einer Konferenz der Europaausschüsse der EU-Parlamente in Wien. Beim Fototermin mit profil-Fotograf Michael Rausch-Schott im Austria Center wollte der hochgewachsene Engländer sich partout nicht mit EU-Fahne ablichten lassen - mit der österreichischen aber sehr wohl. Im profil-Interview gibt Cash einen Einblick in das Denken der konservativen Tory-Hinterbänkler, denen der chaotische Brexit-Prozess unerwartet viel Aufmerksamkeit beschert hat.

profil: Fühlen Sie sich wohl in Wien auf der EU-Konferenz? Cash: Ja, ganz wunderbar, danke. Ich habe nie geglaubt, dass wir nicht mit Europa assoziiert sein sollten. Ich bin nur gegen ein föderales Europa. Ich habe schon die Rebellion gegen den Maastricht-Vertrag 1992 geleitet. Man sagt, ich sei der Architekt des Brexit.

profil: Sie sind stolz auf diese Zuschreibung? Cash: Total. Ich habe mich gerade mit der italienischen Delegation unterhalten, wo man sich die Haare rauft. Italien steckt in einem deutschen Gefängnis. Am Ende geht es um die Frage, welchen Preis man zahlt, wenn man seine Demokratie aufgibt. Ihr Kanzler kämpft auch mit dieser Frage. Er sagt, er ist europhil und liebt die EU. Trotzdem will er die Kontrolle über die Zuwanderung haben. Das aber ist eine der vier Freiheiten der EU, das wird nicht gehen.

Wir Briten lassen uns nicht gerne von einer übergeordneten Autorität regieren.

profil: Glauben Sie, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz Ihnen beim EU-Austritt folgen möchte? Cash: Nein, das glaube ich nicht. Doch seit dem Maastricht-Vertrag habe ich beobachtet, wie mit jedem Vertrag die Souveränität der Nationalstaaten eingeschränkt wurde. Heute werden die meisten Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen. Wir Briten lassen uns nicht gerne von einer übergeordneten Autorität regieren. 2016 haben wir das EU-Referendum aus diesem Grund gewonnen: Wir beugen uns niemandem. Wichtig dabei war der deutsche Faktor - auch wenn das nicht so offen ausgesprochen wurde, weil die Menschen nicht gerne über den Krieg reden.

profil: Gauben Sie auch, dass die Deutschen durch die EU über Sie herrschen? Cash: Es ist ein Faktor von einigem Gewicht.

profil: Der Gründer von UKIP, Alan Sked, stellte vor Kurzem auf Twitter einen Nazi-Soldaten neben einen Soldaten mit EU-Fahne und den Worten: "Wir werden wieder siegen!" Cash: Ich war vor drei Wochen mit ihm abendessen. Aber damit bin ich nicht einverstanden, das hätte ich nicht gemacht.

profil: Wurde die EU nicht deshalb gegründet, um die deutsche Dominanz durch die Kooperation aller Nationalstaaten auf Augenhöhe auszubalancieren? Cash: Haben Sie bemerkt, wie viele Deutsche EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in wichtige Positionen befördert hat? Viele.

profil: Juncker ist doch Luxemburger. Bisher hat die EU jedenfalls geeint verhandelt, die Briten dagegen bieten ein Bild des Brexit-Chaos. Wollen Sie immer noch Ihre eigene Regierungschefin stürzen? Haben Sie den Brief, in dem Sie ihr das Misstrauen aussprechen, abgeschickt? Cash: Ja, das habe ich. Theresa May hat am Parlament und an den eigenen Ministern vorbeiverhandelt. Ihr Versprechen "Brexit heißt Brexit" hat sie mit dem nun vorgelegten Deal gebrochen. Wir bleiben an die EU gebunden. Manche zögern mit dem Misstrauensvotum. Denn verlieren wir die Abstimmung, kann es erst wieder in einem Jahr dazu kommen.

profil: Sie warten also jetzt lieber ab, dass Theresa May mit ihrem Scheidungsabkommen im Parlament scheitert, und stürzen sie dann? Cash: Warum nicht? Sie wird diesen Deal niemals durch das House of Commons bekommen.

profil: Vielleicht stimmen sogar die ERG-Mitglieder am Ende mit, um das Land vor Chaos zu bewahren. Sind Ihre Drohungen nicht vor allem Theaterdonner, jetzt, wo es ernst wird? Cash: Keineswegs. Wirklich spannend wird es, wenn wir in die Lobby des Parlaments gehen. Dort entscheidet sich alles. Ich werde Stimmung gegen diesen EU-Deal machen. Leute, die mich kennen, wissen, dass ich 49 Mal gegen John Majors Parteilinie gestimmt habe.

Man kann den Deal nicht loswerden, ohne auch sie zu stürzen.

profil: Das erinnert an Jeremy Corbyn, der sogar 428 Mal gegen Labour-Vorgaben gestimmt hat. Cash: Oh nein, es ist umgekehrt, Jeremy ist wie ich! Er hat mit mir gegen den Maastricht-Vertrag gestimmt. Damit hören sich die Ähnlichkeiten aber auf, ich bin schließlich ein Konservativer. Mir geht es nicht um persönliche Feindschaften. Aber es ist so: Theresa May und dieses Scheidungsabkommen sind untrennbar miteinander verbunden. Man kann den Deal nicht loswerden, ohne auch sie zu stürzen.

profil: Wer soll sie ersetzen? Ex-Außenminister Boris Johnson? Cash: Nicht unbedingt. Wir brauchen ein neues Regierungsteam. Dominic Raab hat gezeigt, dass er genug Courage hat, als Brexit-Minister zurückzutreten, als er merkte, dass der Deal hoffnungslos danebengeht. Boris und David Davis taten dies auch. Das ist mein Team.

profil: Und wenn Sie ein neues Team von harten Brexiteers in der Regierung haben, was wollen Sie dann unternehmen? Cash: Wenn die EU erkennt, dass sie es mit anderen Leuten zu tun hat, dann wird sie sich bewegen müssen. Bisher haben wir nach den Vorgaben der EU verhandelt, das wird sich ändern.

profil: Für Neuverhandlungen bleibt bis zum 29. März kaum noch Zeit. Befürchten Sie nicht, dass Großbritannien die EU ohne Abkommen verlässt? Cash: Ich habe weniger Angst davor als andere. Es gäbe natürlich Unwägbarkeiten. Aber die Welt besteht aus Unwägbarkeiten.

profil: Mays Deal wird deshalb von der Geschäftswelt begrüßt, weil er zumindest für den 30. März 2019 Stabilität verspricht. Cash: Das No-Deal-Szenario wäre wirklich keine Katastrophe. Große Teile der Welt handeln auf der Basis der Regeln der Welthandelsorganisation WTO.

profil: Ein harter Brexit wäre unweigerlich mit Chaos verbunden. Ohne neue Sicherheitsabkommen könnten beispielsweise keine Flugzeuge in Heathrow abheben. Haben Sie keine Sorge, dass auch der fragile Frieden in Nordirland gefährdet wäre? Cash: Ich weiß seit langer Zeit, dass der Süden sich eine geeinte irische Republik wünscht. Die EU unterstützt Irland. Deshalb schlägt man jetzt vor, den Nordiren einen anderen Status als dem Rest des Vereinigten Königreichs zu geben.

profil: Sie meinen, es sind die Iren und die EU, die das Karfreitagsabkommen von 1998 gefährden, und nicht die Briten durch ihren Austritt aus der EU? Cash: Ich glaube, der EU würde ein geeintes Irland gefallen. Niemand hat an Nordirland gedacht, bis die EU auf Betreiben Irlands damit angefangen hat. Es ist seit Jahrhunderten das gleiche Problem mit Irland.

profil: Warum setzen Sie Artikel 50 nicht einfach aus, bis Sie wissen, was Sie eigentlich wollen? Cash: Ah, am Ende des Gesprächs kommen Sie doch noch damit! Ich sage Ihnen: Es wird keine Verlängerung des Austrittsprozesses geben.

Tessa   Szyszkowitz

Tessa Szyszkowitz