Interview

Christopher Samulski: „Kosovo ist erwachsen geworden“

Die jüngsten Spannungen im Kosovo haben die Rolle der Friedensmission „Kfor“ wieder in den Vordergrund gerückt. Aber was genau machen die Soldaten eigentlich? Ein Gespräch mit dem US-Kommandanten Christopher Samulski.

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In Bondsteel regnet es. Aber zu Fuß dürfen sich Besucher hier ohnehin nicht bewegen. Bondsteel ist der größte US-Stützpunkt auf dem Balkan. Die Militärbasis wurde im Sommer 1999 errichtet, nach dem Ende der NATO-Bombardements und dem Aufmarsch der Kosovo-Schutztruppe Kfor. Ursprünglich beteiligten sich an der Mission über 40 Staaten mit knapp 50.000 Soldaten. Aktuell wird die Kfor-Truppe von 27 Staaten gestellt, darunter auch neutrale Staaten wie Österreich. Über zwanzig Jahre nach dem Krieg befinden sich noch 4.000 Soldaten und Soldatinnen im Land. 

Zwei davon warten jetzt in einem Jeep auf die Journalistin und den Fotografen. Sie arbeiten für die Kommunikationsabteilung und legen jedes Wort auf die Waagschale. Kfor ist unparteiisch, steht also weder auf der serbischen noch auf der albanischen Seite. „Wir schaffen ein sicheres Umfeld und gewährleisten die Bewegungsfreiheit von allen Menschen im Kosovo, unabhängig von ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit“, betonten sie.

Auf die meisten Fragen, die man beiläufig stellt, bekommt man aus Sicherheitsgründen keine Antwort. Wie groß ist das Areal? Wie viele Soldaten leben hier? Wie viele lokale Mitarbeiter gibt es? Auch politische Entwicklungen, etwa mögliche Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Region Balkan, kommentiert hier niemand on-the-record.

Und so geht es am Weg zum Interview um Belangloses. Um den Golfplatz, der statt 18 nur neun Löcher hat. Um die Big-Band, die Soldaten gegründet haben, und um die Burger-King-Filiale, die hier aufgemacht hat.

Christopher Samulski ist seit sieben Monaten in Bondsteel stationiert. Er ist der ranghöchste US-Militär im Kosovo und befehligt das so genannte „Regional Command East“. Wenn jemand etwas über die aktuelle Situation sagen kann, dann er. Ein Versuch.

Christopher Samulski
Guten Morgen!
Sie sprechen Deutsch?
Samulski 
Ich habe Deutsch in der Schule gelernt.
Sprechen Sie es immer noch?
Samulski
Hier im Kosovo leiste ich meinen Dienst auch gemeinsam mit Deutschen, Österreichern und Schweizern ab. Leider fallen mir nicht immer alle Worte ein, aber ja, manchmal kann ich mein Deutsch ein wenig aufbessern. Und sei es mit Google Translate.

Seit 23 Jahren operiert die international aufgestellte KFOR (Kosovo Force) im Kosovo unter der Leitung der NATO. 

Ihr Name klingt polnisch. 
Samulski 
Mein Großvater war in der Tat ein Immigrant der ersten Generation aus Polen.
Sie haben also eine typische US-amerikanische Biografie.
Samulski
Die Mutter meines Vaters war Italienerin, sein Vater Pole. Meine Mutter hat schottische und britische Wurzeln.
Na dann: Willkommen zurück in Europa! Sie kamen am 25. Februar in den Kosovo, einen Tag nachdem der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann. Wie erinnern Sie sich daran?
Samulski
Am 24. Februar war ich in Deutschland und plante unsere Ankunft hier auf dem Balkan. Wir waren alle ein wenig besorgt darüber, was im östlichen Teil Europas passieren würde. Diejenigen von uns, die in den letzten 20 Jahren im Dienst waren, verstehen die Auswirkungen eines Krieges. Niemand wünscht sich, so etwas zu erleben.
Sie waren davor im Irak und auf Kuba stationiert. Was ist anders an dieser Mission im Kosovo?
Samulski
Ich glaube nicht, dass es so viele Unterschiede gibt. Am Ende stehen bei diesen Missionen immer die Menschen im Mittelpunkt, die in dem Gebiet, wo wir im Einsatz sind, leben. Wir wollen eine gute Beziehung zu ihnen aufbauenDas dürfte nicht allzu schwierig sein. Der Kosovo gilt als einer der pro-amerikanischsten Orte der Welt. Wenn Ex-US-Präsident Bill Clinton hier ist, jubelt die Bevölkerung wie auf einem Popkonzert. Im Irak unvorstellbar.
Das dürfte nicht allzu schwierig sein. Der Kosovo gilt als einer der pro-amerikanischsten Orte der Welt. Wenn Ex-US-Präsident Bill Clinton hier ist, jubelt die Bevölkerung wie auf einem Popkonzert. Im Irak unvorstellbar.
Samulski
Auf meiner Uniform mag eine US-Flagge prangen, aber ich bin im Kosovo, um die NATO zu repräsentieren. Mein Mandat wird von der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates getragen, die völkerrechtliche Grundlage für die Stationierung der Kfor. Ich bin hier, um die Mission von den Vereinten Nationen und der Nato umzusetzen, aber auch den EU-Dialog, der es zum Ziel hat, die Beziehungen auf dem Balkan zu normalisieren.
 Kfor hatte einst 50.000 Soldaten im Kosovo. Davon sind nur noch 4.000 übriggeblieben. Was tun diese Männer und Frauen genau?
Samulski
 Die Mission von Kfor besteht darin, ein sicheres Umfeld und die Bewegungsfreiheit  für alle im Kosovo aufrechtzuerhalten.
Das bedeutet?
Samulski
Unsere Mission hat sich im Laufe der Zeit geändert. Kfor ist seit 23 Jahren hier. Ganz am Anfang, im Jahr 1999, gab es die kosovarischen Sicherheitsorganisationen, zum Beispiel die Polizei, noch gar nicht. Jetzt, wo der Kosovo sozusagen erwachsen geworden ist und seine eigenen Polizeikräfte geschaffen hat, beobachten wir die Situation mehr. Unser Hauptziel bleibt, dass jeder und jede in einer sicheren Umgebung leben kann. Wir beobachten Entwicklungen, die im Zusammenhang mit zivilem Ungehorsam passiert sind, zum Beispiel die Schaffen von Straßensperren. Wir versuchen diese Form der Demonstration durch friedlichen Dialog zu beheben, damit die einfache Bevölkerung, die im Kosovo lebt, nicht davon beeinträchtigt wird.
 Diesen Sommer errichteten militante Aufständische im serbisch geprägten Norden Barrikaden. Es fielen Schüsse und heulten Sirenen. Was ist passiert?
 Samulski
Dass der kosovarische Premierminister Albin Kurti neue Grenzregulierungen einführte, wurde von den Serbinnen und Serben im Norden des Landes nicht gut aufgenommen und ich denke, es war für sie auch nicht klar verständlich.  Sie errichteten Straßensperren, und ich denke, diese dienten hauptsächlich dazu, die Politiker an einen Tisch zu bringen und eine weniger einseitige Vereinbarung zu finden. Unser Auftrag und unser Mandat ist es, die Bewegungsfreiheit für alle zu gewährleisten. Die Menschen im Kosovo haben, wie in anderen westlichen Ländern auch, das Recht zu protestieren. Aber eine Beeinträchtigung des Verkehrs behindert die Bewegungsfreiheit. Deswegen greifen wir ein, um sicherzustellen, dass zivile Proteste so ablaufen, dass sie die Gesetze nicht beeinträchtigen.

Unser Hauptziel bleibt, dass jeder und jede in einer sicheren Umgebung leben kann."

Christopher Samulski

In jener Nacht kursierten viele Falschnachrichten. Zum Beispiel, dass die serbische Armee die Grenze übertreten hätte. Hat sie das?

Samulski
Nein. Wir können keinerlei solche Fälle melden, und mir ist kein einziger solcher Fall bekannt. Tatsächlich trifft sich Kfor routinemäßig mit Vertretern der serbischen Armee, um sicherzustellen, dass unsere und ihre Aktivitäten in Übereinstimmung mit den vereinbarten Abkommen sind. Wenn die serbische Armee die „ABL“ überquert, dann nur im Rahmen des Dialogs.
Was ist eine „ABL“?
Samulski
„ABL“ steht für „Administrative Boundary Line“. Kfor ist im Konflikt unparteiisch, deswegen sagen wir nicht „Grenze“.

Jens Stoltenberg, der Generalsekretär der NATO, hat nach der Krise im Sommer versichert, dass die Kfor jederzeit einsatzbereit ist und im Falle einer Gefährdung der Stabilität alle notwendigen Schritte ergreifen wird. Auf welches Szenario bezieht er sich da eigentlich? 

Samulski
Wenn Sie sich den Kosovo im Vergleich zu 1999 anschauen, dann werden Sie sehen, dass sein Sicherheitsapparat heute in der Lage ist, Rechtsstaatlichkeit allein durchzusetzen. Der Kosovo hat heute, anders als früher, ein Justiz,- und ein Gerichtssystem, das in der Lage ist, sich selbst zu verwalten. Was Kfor tut, ist, sicherzustellen, dass Menschen ihren Frust nicht auf eine solche Weise auslassen, dass sie den politischen Dialog gefährden. Ganz egal, ob sie Waffen abfeuern oder Straßen blockieren. Wir versuchen alle Parteien zu verantwortungsbewusstem Handeln zu bewegen und ermutigen sie, im Rahmen des Dialogs miteinander zu sprechen. Wir bereiten auch Szenarien vor, die es uns ermöglichen, im Notfall mehr Kontrolle zu übernehmen. Aber noch einmal: das ist nicht unser erster Ansatz. Unser erster Ansatz besteht darin, Menschen mit Dialog und möglichst wenig Gewalt von einem unangemessenen Verhalten abzubringen.

Russland gilt als Serbiens traditioneller Verbündeter. Belgrad gehört zu den wenigen Hauptstädten in Europa, die keine Sanktionen gegen Putin erlassen wollten. Was ändert der Angriffskrieg auf die Ukraine an ihrer Mission im Kosovo?

Samulski
 Der Krieg in der Ukraine hat keinen Einfluss auf die Kfor-Mission im Kosovo. Er ändert nichts an unserem Mandat. Ja, wir sind Teil der NATO, und die NATO ist angesichts des Krieges in der Ukraine entschlossener als sonst. Aber wir fokussieren uns nur auf den Kosovo und wir versuchen, unsere Mission nicht von den Ereignissen in der Ukraine leiten zu lassen.

Seitdem sich die Amerikaner Hals über Kopf aus Afghanistan zurückgezogen haben, fragen sich viele Menschen im Kosovo: Ist die NATO gekommen, um zu bleiben?

Samulski
Ich bin nicht in der Position, über die langfristige Politik der Kfor zu sprechen. Aber was ich sagen kann: Angesichts des Engagements der NATO in den letzten 23 Jahren glaube ich nicht, dass wir uns zurückziehen würden. Stabilität und Frieden auf dem Balkan ist für viele Länder nach wie vor ein nationales Interesse. Ich sehe kein Ende unseres Engagements in absehbarer Zeit.
Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.

Ilir Tsouko

Ilir Tsouko

ist Fotograf und lebt zwischen Tirana und Berlin. Er hat Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover studiert, seine Bilder wurden unter anderem im ZEIT Magazin, der Washington Post und der NZZ veröffentlicht.