Reportage

Serben im Nordkosovo: Krieg der Kennzeichen

Nummerntafeln sind im Kosovo politisch. An ihnen lässt sich erklären, warum der Konflikt mit Serbien bis heute ungelöst ist.

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Wie lässt sich ein Konflikt begreifen, der seit 23 Jahren schwelt, in dem Diplomaten aus aller Welt vermittelt haben und in dem dennoch keine Lösung gefunden wurde?

Vielleicht am besten an der Tankstelle von Leposavić, einer Kleinstadt mit 18.000 Einwohnern im Nordkosovo. Die Zapfsäulen stammen noch aus der Zeit Jugoslawiens. Leposavić ist der einzige Ort in Europa, wo Autokennzeichen zensuriert werden müssen. Die Autolenker, überwiegend Serben, müssen weiße Streifen über die Nummerntafeln kleben, um die Flagge und die Kürzel ihrer Gemeinde zu verdecken. So schreibt es die Regierung des Kosovo vor, ein Land so groß wie Kärnten, in dem Albaner und Albanerinnen die Bevölkerungsmehrheit stellen.

Die Überklebung ist ein tägliches Ärgernis. In der Waschstraße gehen die Sticker wieder ab, dann braucht es Ersatz. „Was für eine Verschwendung“, murren die Leute, „warum kam niemand auf die Idee, uns Magneten zu geben?“

Ein roter Peugeot hält an, der Besitzer wird gesprächig, sobald man erwähnt, dass man aus Pećs ist. So nennen die Serben die österreichische Hauptstadt Wien, „nach Belgrad und Chicago die Stadt mit den meisten Serben“, sagt der Mann stolz. Mit seinem Auto, erklärt er, könne er heute bis nach China fahren, aber nicht in die 70 Kilometer entfernte Hauptstadt seines Landes, nach Prishtina. Denn dort wird sein Kennzeichen nicht anerkannt.

Autos sind im Nordkosovo ein Politikum. Schlimmer noch: Sie haben das Potenzial, eine militärische Krise zu provozieren. Der US-Diplomat Christopher Hill, derzeit Botschafter in Belgrad, beschrieb das kürzlich mit einem gewissen Sarkasmus: „Die Menschheit hat Kriege wegen Land, Geld oder schönen Frauen angezettelt. Das wäre der erste Krieg, der wegen Nummerntafeln beginnt.“

 

Wer verstehen will, worum es im Kosovokonflikt heute geht, der muss sich einfach nur an eine Tankstelle stellen und warten. Die Menschen sprechen über ihren Kleinwagen und sind in wenigen Minuten bei der großen Politik angelangt. Bei der Frage, was ein Staat ist und was nicht, bei Wladimir Putin, den viele hier als ihren Schutzpatron sehen und bei der NATO, die Serbien in den Neunzigerjahren bombardiert hat. „Damals war die ganze Welt gegen uns“, sagt der Mann an der Zapfsäule, „Kosovo wurde uns gestohlen".

Leposavić ist eine von vier Gemeinden im Nordkosovo, die mehrheitlich von Serbinnen und Serben bewohnt ist. Rund 50.000 Serben und Serbinnen leben im Norden, verteilt auf einen Landstreifen, in dem bis heute Soldaten der NATO-Schutztruppe Kfor stationiert sind, um Sicherheit und Stabilität zwischen den Volksgruppen zu wahren.

Trotz internationaler Präsenz schreibt der Norden seine eigenen Regeln. Er gilt als Hort des Drogenschmuggels, des illegalen Bitcoin-Mining und der politischen Auftragsmorde. Die eng mit Belgrad verbundene Partei „Sprska Lista“ gewinnt jede Wahl, echte Opposition gibt es keine. „Es ist wie in Nordkorea, nur mit internationalen Beobachtern“, witzeln die Studenten in den Bars. Seit Ende des Kosovokrieges 1999 mussten die Bewohner nie für Strom bezahlen. Der Großteil der Menschen erkennt die Regierung in Prishtina nicht an und damit auch nicht die blau-goldene Fahne, die auf den Autokennzeichen des Kosovo prangt.

Der Mann, der auf Gesetz und Ordnung pocht, ist im Norden ein Feindbild: Albin Kurti, seit 20 Monaten Premierminister des Kosovo, Europas jüngstem Staat. Aber Halt, wer das im Norden allzu laut sagt, der erntet spöttische Blicke. „Kurti ist nicht mein Premierminister“, ist ein Satz, den man unter jungen Leuten im Norden häufig hört.

Streit um Einreiseregeln

Weil Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo und damit auch seine Grenzen nicht anerkennt, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen in technischen Detailfragen. Zuletzt eskalierte der Streit aufgrund von Personaldokumenten und Autokennzeichen. Bis zuletzt galt: Kosovarische Bürger, die nach Serbien einreisen, bekommen ein provisorisches Ausweispapier ausgestellt, weil die serbische Behörden ihre Dokumente nicht anerkennen. Zudem mussten sie ihr Kennzeichen abmontieren. Albin Kurti, seit März 2021 Premierminister des Kosovo, ließ daraufhin das Prinzip der Reziprozität (Gegenseitigkeit) walten. Fortan wandte Prishtina dieselben Regeln auch gegen Serben an, ganz nach dem Motto: So wie du mir, so ich dir. Das führte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen im Norden des Kosovo. Auf Drängen der US-Amerikaner ließ Kurti die Einreiseregelung aufschieben.

Seit 2011 vermittelt die Europäische Union im Konflikt. Das Ziel: Eine Normalisierung der Beziehungen. Kleine Fortschritte werden erzielt – diesen Sommer erkannte die serbische Regierung erstmals kosovarische Einreisedokumente an der Grenze an – aber vom Hauptziel ist man weit entfernt. Um eines Tages der EU beitreten zu können, muss Serbien den Kosovo anerkennen. In der Öffentlichkeit nutzt der serbische Präsident Aleksandar Vučić jede sich bietende Möglichkeit, genau das auszuschließen. Hinter den Kulissen soll er andere Töne anschlagen. „Man merkt, dass die Regierung in Belgrad will“, sagt jemand, der sehr nahe an den Gesprächen beteiligt ist, „aber er hat die Gesellschaft noch nicht davon überzeugt und will sie nicht aufschrecken.

Der Norden des Kosovo bleibt einer der größten Hürden im Dialog. Die vier nördlichen Gemeinden sind nicht zur Gänze in den Gesamtstaat integriert und ein „potenzieller Krisenherd für Gewalt“, schreibt die „International Crisis Group“ in einem Paper.

Ende Juli errichten militante Serben Barrikaden und blockierten Grenzübergänge mit Baumaschinen und LKWs. Sirenen heulten, es fielen Schüsse. Der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg meldete sich zu Wort, der EU-Außenbeauftrage Borrell hielt ein Krisentreffen ab.

Der Norden des Kosovo ist strukturschwach. Die Eisenbahnlinie wurde stillgelegt, die alten Fabrikhallen aus der Zeit Jugoslawiens rosten dahin. Manchmal fährt man minutenlang nur an kahlen Felsen und bewaldeten Hügeln vorbei. Und dennoch haben kleine Dinge, die hier passieren, globale Auswirkungen.

Wie ist es, an so einem Ort zu leben? Wie stellt sich die serbische Bevölkerung ihre Zukunft vor? Wollen sie überhaupt Teil des Staates sein, in dem sie leben? 

Mitrovica: Die Brücke

„Diese Brücke ist einzigartig“, sagt Aleksandar Arsenijević, 28, „sie ist mit keiner Brücke auf der Welt vergleichbar.“

Mitrovica, das Zentrum des Nordkosovo, ist seit dem Krieg in einen albanischen Süden und einen serbischen Norden geteilt. Eine Brücke verbindet die beiden Hälften miteinander, bewacht von italienischen Carabinieri, renoviert mit EU-Geldern. Arsenijević hat hier als kleiner Junge Steine auf Soldaten geworfen. Heute ist Ruhe eingekehrt. Fußgänger können auf das andere Ufer hinüberflanieren, zum Beispiel, um in den Shoppingcentern im Süden einzukaufen. Im Alltag sind es aber vor allem die Beamten und die Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, die sich zwischen den Welten bewegen. Der überwiegende Großteil der Menschen bleibt auf seiner Seite des Flusses.

Aleksandar Arsenijević parkt seinen roten VW beim Kreisverkehr am nördlichen Ende der Brücke. Er trägt eine Sonnenbrille, hat trainierte Oberarme und eine E-Zigarette in der Tasche. Früher betrieb er die einzige Disco der Stadt, jetzt, nach dem Abriss, eine Bierkneipe. Arsenijević, den hier alle „Aco“ rufen, hat eine Bürgerinitiative namens „Srpski Opstanak“ ( Serbisches Überleben) gegründet. Er besitzt zwei Pferde und bietet Reitunterricht für Kinder an. Bereits als Siebenjähriger stieg er auf die Barrikaden, die Serben zum Schutz vor den Albanern an der Brücke errichteten. Wenn man ihm zuhört, realisiert man, wie viel sich in seiner Stadt zum Besseren gewandt hat.

„Als ich zur Schule ging, hatte ich immer eine schusssichere Weste und Gasmaske dabei“, erzählt Arsenijević, „Meine Mutter und ich hatten immer einen Rucksack mit den nötigsten Sachen bereit: Dokumente, Familienfotos, Bargeld.“ Als junger Bursche wollte er „seine“ Stadt von den Albanern im Süden verteidigen, wie er es sagt.

Heute steht am serbischen Ende der Brücke ein Denkmal, das an die Opfer der NATO-Bombardements von 1999 erinnert. Die ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates erfolgte Intervention ist für die Serben ein kollektives Trauma.

Für die Albaner südlich der Brücke waren die Bomben ein Befreiungsschlag. Der Krieg beginnt für sie viel früher, nämlich Ende der Achtzigerjahre, als das Regime von Slobodan Milošević die Rechte der Albaner systematisch beschneiden ließ. Sie erzählen von ethnischen Massakern, von Hunderttausenden Albanern, die im Krieg vertrieben wurden und von der Aufbruchsstimmung, als sie unter dem Schutz der Kfor wieder zurückkehren konnten. Zum Beispiel Mevlude Skuroshi, 29, eine Albanerin, die im Süden der Stadt lebt und ein Kulturzentrum nahe der Brücke betreibt. Sie war ein kleines Baby, als ihre Eltern mit ihr nach Deutschland flohen. Den Krieg hat die Familie über die Abendnachrichten mitbekommen.

Am 17. Februar 2008 erklärte der Kosovo einseitig seine Unabhängigkeit von Serbien. Nördlich und südlich der Brücke blickt man konträr auf diesen Tag.

Arsenijević, der Serbe, erinnert sich an den Schock, den er damals verspürte. Skuroshi weiß noch, wie sich vor Freude alle in die Arme fielen. 

Gazivode: Wem gehört der See?

Serbien und Kosovo streiten nicht nur über Nummerntafeln, sondern auch um einen See: Ein zwölf Quadratkilometer großes Reservat, das sich dies- und jenseits der Grenze erstreckt. Die Serben nennen ihn Gazivode, die Albaner Ujëmani. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump wollte den Konflikt lösen, indem er vorschlug, den See nach sich selbst zu benennen. Auch das half nicht. Bis heute ist umstritten, wem der vom Staukraftwerk produzierte Strom zusteht.

Auf einer Brücke am Ufer ist ein Kleinwagen gestrandet, der Besitzer, ein 73-Jähriger mit wucherndem Bart, füllt den Tank mit Benzin aus einer Coca-Cola-Flasche nach. Albin Kurti hat den Menschen im Norden eine Frist gesetzt: Bis zum 31. Oktober müssen sie ein kosovarisches Kennzeichen montieren. Wer sich daran hält, der spart sich die Anmeldegebühr und die Steuer. „Wir werden unser Kennzeichen niemals aufgeben“, sagt der 73-Jährige. Man merkt, es geht ihm eigentlich um etwas anderes: „Die Republik Serbien wird Kosovo niemals anerkennen. Kosovo kann niemals ein Staat sein.“

Früher, zur Zeit Jugoslawiens, hat er zehn Jahre lang am Bau des Stauwerkes mitgearbeitet. Damals war der Kosovo eine autonome Provinz Serbiens. In den großen Staatsbetrieben arbeiteten Serben wie Albaner, auch die Fußballteams waren gemischt. Heute gibt es denselben Sportclub zweimal und die alten Fabrikhallen liegen brach. Der ethnische Konflikt hat die Wirtschaft zum Erliegen gebracht.

Amselfeld: Der Mythos lebt weiter

Der hunderte Meter hohe Schornstein der Fabrik ist geblieben. Ihre rostigen Fabrikhallen liegen nördlich des Flusses Ibar, also in der serbischen Hälfte. Die Gemeinde heißt Zvečan, die Familie des berühmten Tennisspielers Novak Djokovic stammt von hier. Vergangenes Jahr errichteten Bewohner zwei Wochen lang Straßenbarrikaden, um gegen die neue Kfz-Verordnung von Albin Kurti zu protestieren.

Djordje, 32 Jahre alt,  sitzt im Gastgarten eines Burger-Lokals. Er hat Geschichte in Mitrovica studiert, erzählt er, aber danach keinen Job gefunden. Heute arbeitet er als Übersetzer für das griechische Kontingent der Kfor. Eine kritische Distanz hat er sich bewahrt. Er bezeichnet die NATO auch trotz Anstellung als einen „Besatzer“: „Es ist der Westen, der diesen Krieg gewonnen hat. Und wir Serben waren die größten Verlierer des 20. Jahrhunderts.“

Warum fällt es Belgrad so schwer, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen? „Weil der Kosovo nicht einfach nur ein Stück Land ist, sondern die Seele Serbiens. Wir können ohne den Kosovo nicht als Nation existieren“, sagt Djordje mit ernster Miene. Er macht das einer Zahl fest: 1389.

Im 14. Jahrhundert siegten die Osmanen im Kosovo gegen ein Heer des serbischen Fürsten Lazar. Seit dieser „Schlacht auf dem Amselfeld“ ist der Kosovo für die Serben eine Art mythischer Boden, der ihre Opferbereitschaft symbolisiert. „Der Kosovo ist unser Jerusalem“, sagt Djordje.

Die Frage ist: Lässt sich so im 21. Jahrhundert Politik machen? Mit einer Schlacht, die über 600 Jahre zurück liegt, als es noch nicht einmal moderne Nationalstaaten gab?

Kfor: Gekommen, um zu bleiben?

Das historische Amselfeld gibt es noch. Dort steht heute ein Kohlekraftwerk und verpestet die Umwelt. Es gilt als dreckigstes seiner Art in Europa. Im Kosovo kämpft man nicht mehr gegen die Osmanen, sondern gegen die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.

Franz Sitzwohl schiebt die Vorhänge zur Seite und schaut in die Weite hinaus. Er ist der nationale Kontingentskommandant der österreichischen Kfor-Truppe im Kosovo, derzeit 290 Soldatinnen und Soldaten. Sie leben, gemeinsam mit Truppen aus ganz Europa, in einem Camp namens „Film City“ am Rand von Prishtina. Der Name, erklärt Sitzwohl, komme daher, dass hier zur Zeit Jugoslawiens Westernfilme gedreht wurden.

Es ist ein ruhiger Sonntag im August. Kommandant Sitzwohl steht in der Küche, kocht eine Gemüsepfanne und setzt sich dann hinaus auf die Veranda. 1999 war er schon einmal im Kosovo stationiert, er weiß, wie die Dinge hier einzuordnen sind und wann grundlos Panik verbreitet wird. Diesen Sommer, sagt er, hat die Kfor vor allem gegen Fake-News im Internet gekämpft.

Die Barrikaden Ende Juli waren von Falschinformationen auf Twitter begleitet. Für einige Stunden wirkte es so, als wäre im Kosovo ein Krieg ausgebrochen. Kommandant Sitzwohl betont die Fakten: „Die serbische Armee hat die Grenze seit 1999 nie überschritten. Im Gegenteil: Sie steht im regelmäßigen Austausch mit der Kfor und hat sich immer an alle Abkommen gehalten“

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Seit die russischen Streitkräfte  am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert sind, herrscht im Kosovo die Angst, Serbien könnte mit seinem historischen Verbündeten Russland ebenfalls das Nachbarland überfallen. Kommandant Sitzwohl sieht keine Parallele zwischen dem Krieg in der Ukraine und seinem Einsatzgebiet Kosovo. Die NATO ist mit 4.000 Soldaten im Kosovo stationiert, die USA unterhalten mit „Bondsteel“ sogar eine eigene Militärbasis im Land. Seit dem 15. August 2021, als sich die USA und ihre Alliierten Hals über Kopf aus Afghanistan zurückzogen, fragen sich die Menschen im Kosovo: Bleibt die NATO für immer?

 

Albin Kurti: „Nicht mein Premierminister“

Reist man nach Prishtina und stellt Albin Kurti diese Frage, dann bekommt man eine sehr konkrete Antwort: „Die NATO ist hier, um im Kosovo zu bleiben, weil der Kosovo der NATO beitreten will.“ Sein Land lasse sich überhaupt nicht mit Afghanistan vergleichen. „Die NATO und der Kosovo sind Teil der jeweils anderen Geschichte“, sagt Kurti. Der Kosovo bekommt seit der russischen Invasion mehr Aufmerksamkeit als vorher und Kurti nutzt das, um lange Reden darüber zu halten, warum sein Land auf der Seite des Westens stehe. Er bezeichnet den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić als einen „kleinen Putin“ und Serbien als Verbündeten des Kreml. „70 Prozent der Serben haben heute eine positive Meinung über Putin“, sagt Kurti, „Das zeigt sich auch in der serbischen Bevölkerung im Kosovo, insbesondere im Norden. Die radikalen Kräfte sind viel sichtbarer geworden.“

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Was Kurti meint, steht in Mitrovica an Hauswänden. In regelmäßigen Abständen prangt da ein „Z“, das Symbol von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Daneben hängen Plakate, auf denen „Keine Kapitulation!“ steht, darunter ein durchgestrichenes Kfz-Kennzeichen mit kosovarischer Flagge. Der ganze Norden ist damit vollgepflastert.

Selbst bei moderaten Menschen kommen die Plakate gut an. Einer davon ist Stefan Veljković, 31 Jahre alt, ein junger Familienvater, der in einem gemischten Viertel mit albanischen Nachbarn lebt und als Übersetzer für ein Online-Magazin in Prishtina arbeitet.

An einem Mittwochabend geht er zum Wahrzeichen seiner Stadt hinauf:

Zwei Betonsäulen, die eine Art Schale halten. Jede Säule steht für je eine Volksgruppe: Serben und Albaner. Es ist ein Relikt aus einer längst vergangen Zeit.

„Ich wurde 1991 geboren, also in einer Zeit, als die Zerfallskriege ihren Anfang nahmen“, stellt sich Veljković vor. Zur Zeit des Sozialismus konnten sich die Menschen frei im Vielvölkerstaat bewegen. „Heute kann ich mit meinem Auto nicht einmal in den Süden meiner Stadt fahren, weil ich ein von Serbien ausgestelltes Kennzeichen habe“, so Veljković. Wenn er nach Prishtina fahren will, nimmt er den Bus oder das Taxi. Warum nicht einfach das tun, was Kurti  sagt? „Weil das vermutlich das letzte staatliche Symbol Serbiens im Kosovo ist. Wenn wir das verlieren, dann war’s das.“  

In den Augen von Veljković ist Albin Kurti ein radikaler Nationalist. „Das sage nicht nur ich“, meint er, „sondern viele Menschen hier.“ Viele Serben fühlen sich stigmatisiert und diskriminiert. Er nennt ein paar Beispiele: Die Gesetze im Kosovo seien fehlerhaft ins Serbische übersetzt, die kosovarische Spezialpolizei durchsuche in Kampfmontur Autos und jage den Kindern Angst ein, Serben bekämen ihre Häuser und Grundstücke aus der Zeit vor dem Krieg nicht zurück.

Fragt man ihn nach „der Lösung“, lacht er.

„Ich weiß nicht, was die Lösung ist. Eine Autonomie im Norden, Reisefreiheit, durchlässige Grenzen auf dem gesamten Balkan und ein wirtschaftlicher Aufschwung vielleicht. Wenn die Menschen bessere Jobs hätten, würden sie weniger über ethnische Fragen nachdenken.“

Und wohl auch nicht mehr über Autokennzeichen.

Europäische Lösung?

Die EU vermittelt seit 2011 im Konflikt zwischen Kosovo und Serbien. Von einer Normalisierung der Beziehungen ist man dennoch weit entfernt. In technischen Fragen wurden einige Ziele erreicht: Die Integration des Nordens in das Justiz,- und Polizeiwesen des Kosovo, der Abbau von Parallelstrukturen, das Abhalten von Regionalwahlen unter OSZE-Aufsicht etc. Der eigentliche Streitpunkt, die Statusfrage des Kosovo, bleibt weiter ungelöst. Dabei ist eine Lösung entscheidend, denn ohne eine Einigung können weder Serbien noch der Kosovo der EU beitreten. Kurzzeitig stand die Option eines Landtauschs im Raum. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Streit nicht territorial, sondern durch Minderheitenrechte gelöst wird, beispielsweise durch weitreichende Autonomierechte in serbischen Gemeinden im Kosovo.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.

Ilir Tsouko

Ilir Tsouko

ist Fotograf und lebt zwischen Tirana und Berlin. Er hat Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover studiert, seine Bilder wurden unter anderem im ZEIT Magazin, der Washington Post und der NZZ veröffentlicht.