Ampel-Koalition für Deutschland?

Deutschland: Volle Fahrt – wohin?

Die aus jetziger Sicht wahrscheinlichste Regierungskoalition in Deutschland ist die sogenannte „Ampel“ – SPD, FDP und Grüne. Kann das klappen?

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Vergangene Woche konnte man dabei zusehen, wie mit Instagram Politik gemacht wird. In der Nacht auf Mittwoch, drei Tage nach der Wahl, luden die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner dasselbe Selfie auf ihre Social-Media-Accounts. Jeweils begleitet vom selben Satz: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“

Auf dem Foto stehen sie eng beisammen, jeweils ein Co-Chef ihrer Partei an ihrer Seite, doch politisch liegen Meilen zwischen ihren Positionen. In Deutschland wird sondiert. Beziehungsweise: vorsondiert. Grüne und Liberale wissen, dass es ohne sie nicht gehen wird. Sie haben, ebenso wie die SPD, als einzige Parteien dazugewonnen und gelten jetzt als Königsmacher. Die wahrscheinlichste Koalitionsvariante ist jetzt eine „Ampel“ aus Grün, Rot und Gelb. Was das ungleiche Bündnis antreibt? Eine Abkehr vom „Status quo“ und das Positivimage, eine neue, fortschrittliche Wende zu wagen. So fordert die SPD etwa eine „Koalition auf Augenhöhe“ mit einem „Best-of“ aus allen Welten. Ein Überblick aus Schnittmengen und Hürden. 

Steuern und Staatshaushalt

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans kann mit dem Wirtschaftsprogramm der Liberalen wenig anfangen. Schwarze Null einhalten, Vermögende entlasten und gleichzeitig investieren? Das geht sich laut dem Sozialdemokraten nicht aus. Auch FDP-Chef Lindner ist skeptisch und nennt den Brückenschlag eine "theoretische Konstruktion". In der Finanzpolitik trennen die Parteien Welten. Grüne und SPD wollen Geringverdiener bei der Einkommenssteuer entlasten, Sozialdemokraten sprechen sich für eine Vermögenssteuer aus. Die FDP lehnt sowohl das eine als auch das andere ab. Auch bei der Schuldenfrage gehen die Meinungen auseinander. Die FDP hat klargestellt: Eine Lockerung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse wird es mit ihr nicht geben. Die Grünen könnten sich eine Reform im Sinne von Klimainvestitionen vorstellen. Mit SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz gibt es da mehr Überschneidungen: Er will die wegen der Corona-Pandemie vorübergehend ausgesetzte Schuldenbremse ab 2023 wieder einhalten.

Migration & Integration

Alle drei Parteien wollen Einbürgerungen erleichtern und sehen Deutschland als Einwanderungsland. Sprach-und Integrationskurse sollen kostenlos und für jeden und jede verfügbar sein. Dasselbe gilt für Schulen und Kitas. Mehrere Staatsbürgerschaften besitzen? Für alle drei Parteien kein Problem. Auf EU-Ebene gibt es hingegen unterschiedliche Schwerpunkte. Die SPD fordert eine Reform des europäischen Asylsystems, die Grünen wollen die Grenzschutzagentur Frontex unter parlamentarische Kontrolle stellen. Einschränkungen beim Familiennachzug und Arbeitsverbote für subsidiär Schutzberechtigte wollen Rote wie Grüne aufheben. Die FDP fordert eine "Blue Card" für Fachkräfte mit Jobangebot.

Bildung & Digitales

Hier gibt es Überschneidungen zwischen den Parteien. Die Offensichtlichste: die Digitalisierung der Schulen. Alle wünschen sich, dass Schulen mit Tablets und Laptops ausgestattet werden. SPD und Grüne gehen noch einen Schritt weiter. Die Roten setzen sich für ein "Recht auf digitale Bildung für alle Generationen" ein, die Grünen fordern einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet. Ein Digitalministerium fordert allerdings lediglich die FDP. Dafür sind sich alle drei einig, Verwaltung und Behördengänge digitalisieren zu wollen. Dass Rechner und Datenzentren mit erneuerbarer Energie betrieben werden, ist den Grünen wichtig. In den Parteiprogrammen von Sozialdemokraten und Grünen steht gleichermaßen der Ausbau von Kitas sowie Ganztagsschulen.

Klimawandel

Erderwärmung bekämpfen - ja, aber wie? Hier gehen die Meinungen auseinander. Beim Thema Klimaneutralität setzt sich die FDP 2050, die SPD 2045 und die Grünen 2041 als Ziel.

Die FDP will den Kohleausstieg erst 2038, die Grünen schon 2030. Sozialdemokraten und Grüne setzen beim Klimaschutz auf staatliche Förderungen, die Liberalen vertrauen auf den Markt. So fordern die Grünen ein Enddatum für den Verbrennungsmotor - für die FDP wohl ein schwerer Kompromiss. Während die FDP ein Tempolimit von 130 km/h auf der Autobahn und ein Verbot von Kurzstreckenflügen ablehnt, sprechen sich Grüne und SPD dafür aus. Überschneidungspunkte gibt es beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs, wobei der Vorschlag der FDP, den Bahnverkehr zu privatisieren, der SPD missfallen könnte.

Familie

Hier gibt es die meisten Überschneidungspunkte. Alle drei Parteien wollen vielfältige Familienmodelle rechtlich absichern, also auch homosexuelle Paare. Alle setzen sich für ein modernes Sorge-und Adoptionsrecht ein. Geht es nach der FDP, soll es analog zum Mutterschutz auch einen "Partnerschutz" geben, von dem gleichgeschlechtliche Paare profitieren würden. Sozialdemokraten fordern kostenfreie Kitas, Ganztagsangebote für Schulkinder und ein Kindergeld gestaffelt nach dem Einkommen der Familie. Hier gibt es vor allem mit den Grünen Überschneidungen. Beim Thema Abtreibung sind sich alle drei Parteien einig: Die Barrieren sollen für Frauen so niedrig wie möglich sein. Liberale wollen das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche streichen, die SPD möchte sicherstellen, dass öffentliche Krankenhäuser die Eingriffe anbieten.

Wohnen/Soziales

Grüne sowie SPD stehen tendenziell Mietern, die FDP Immobilieneigentümern nahe. Grüne wollen einen Mietendeckel, die FDP nicht. Die Jungsozialisten (Jusos), der SPD-Nachwuchs sowie die Grüne Jugend haben sich für eine Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen. FDP-Chef Christian Lindner hat gefordert, genau das per Verfassungsänderung unmöglich zu machen. Im Bund stellen sich sowohl Sozialdemokraten wie Grüne gegen Enteignungen. Das vor allem in Großstädten emotional diskutierte Thema Miete zeigt aber, dass Konflikte mit insbesondere der jungen Parteibasis von Rot und Grün vorprogrammiert sind. Immerhin: Bei dem zentralen Wahlversprechen von Olaf Scholz, einer Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, würden am Ende aber wohl alle mitgehen.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.