Die Krise der AfD: Rechtsbruch

Sieben Jahre nach ihrer Gründung steckt die AfD tief in der Krise. Die Eingemeindung von Extremisten hatte die Partei größer gemacht, als zu erwarten war - jetzt droht sie genau daran zu scheitern.

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Parteien am äußersten rechten Rand zeichnet eine Eigenschaft aus, die bei all ihren Gegnern für große Erleichterung sorgt: Sie üben sich gern in Selbstzerfleischung. Ideologische Differenzen - oder präziser: Richtungsstreitigkeiten zwischen immer (rechts-)extremeren und vergleichsweise moderaten Kräften -führen fast unausweichlich zu wüsten Grabenkämpfen und in weiterer Folge auch zu Spaltungen. So war das bei der FPÖ, beim französischen Front National (jetzt: Rassemblement National) und nun - nicht zum ersten Mal - bei der Alternative für Deutschland (AfD).

Dort ist jetzt ein innerparteilicher Zwist entbrannt, der die Partei zerbrechen lassen könnte. Der Anlassfall heißt Andreas Kalbitz: geboren in München, 47 Jahre alt, ehemaliger Fallschirmjäger, 2013 in die AfD eingetreten und bis vor wenigen Tagen Fraktionschef der Partei im Ost-Bundesland Brandenburg.

Kalbitz hat nie ein Hehl daraus gemacht, wo er ideologisch einzuordnen ist. Schon während seiner Zeit bei der Bundeswehr stand er wegen radikaler Tendenzen unter Beobachtung durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Er ist nicht nur Mitglied einer schlagenden Burschenschaft, sondern war das auch in der Partei "Die Republikaner", im Witikobund, in der "Jungen Landsmannschaft Ostpreußen" (JLO, inzwischen "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland) und im Verein "Kultur-und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit e.V.", die allesamt vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurden oder werden; die JLO ist auch der AfD so suspekt, dass sie inzwischen auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei steht.

Diese Liste dient der AfD als allerletzter Filter, um Personen ablehnen zu können, die dem unzweifelhaft rechtsextremen Milieu entstammen. Bei ihrem bislang letzten Parteitag Anfang Dezember des vergangenen Jahres in Braunschweig hatte ein angekündigter Antrag auf Abschaffung eben dieser Unvereinbarkeitsliste für Aufregung gesorgt. Er wurde jedoch in letzter Sekunde zurückgezogen. Zu zwei weiteren Gruppierungen aus dem ganz rechten Spektrum hat Kalbitz zumindest ein Naheverhältnis. 2007 marschierte er gemeinsam mit Führungsleuten der NPD bei einer Neonazi-Demo in Athen mit; im gleichen Jahr nahm er an einem Zeltlager der "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) teil. Die Verbindung von Kalbitz zur HDJ, die vom deutschen Bundes-Innenministerium wegen "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" verboten wurde und sich ebenfalls auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD findet, reicht offenbar Jahrzehnte zurück: bereits 1993 hatte Kalbitz wohl ein Sommercamp der Vereinigung besucht.

2017 prophezeite Kalbitz beim sogenannten Kyffhäuser-Treffen in Thüringen den "Deutschlandabschaffern" ein Ende auf der "politischen Sondermülldeponie der Geschichte" und kündigte an: "Wir werden auf den Gräbern tanzen." Damals stellte sich Parteichef Meuthen noch voll hinter den Landesparteichef. Er bestritt, "dass wir es hier mit einem Rechtsextremen zu tun haben". Kalbitz sei vielmehr "hochgebildeter, hochreflektierter Mensch", der "hervorragende Parteiarbeit" leiste.

Damit ist es jetzt vorbei. Am vorvergangenen Freitag, 15. Mai, setzte Meuthen im Vorstand der AfD die Aberkennung der Parteimitgliedschaft von Kalbitz durch: mit einer denkbar knappen Mehrheit von sieben zu fünf Stimmen. Seither geht es in der Partei so turbulent zu wie nie zuvor -und das will angesichts der Zerwürfnisse, für welche die AfD ohnehin bekannt ist, etwas heißen.

Altherrenprojekt
Dabei hatte alles geradezu spießbürgerlich begonnen. Gegründet im Jahr 2013, war die AfD anfangs ein Altherrenprojekt von EU-und Euro-Skeptikern mit wirtschaftspolitischem Fokus. Bald entwickelte sie sich allerdings zu einem Anziehungspunkt für all jene, denen die etablierten Parteien nicht rechts genug waren; darunter viele unzufriedene Staatsbedienstete, ein Gutteil davon aus dem Bereich der Polizei, der Justiz und dem Militär. Ein anderer, ebenso wichtiger Teil der Basis rekrutierte sich aus dem politischen Abseits der Nichtwähler: Man könnte der AfD zugutehalten, dass ihre Existenz dazu beigetragen hat, viele bereits politisch Abgemeldete wieder in den demokratischen Prozess zurückzuholen. Eine Abgrenzung zum Extremismus gelang dabei aber nicht. Vielmehr verschob sich die Mitte der Partei immer weiter nach rechts außen; und ihre Klientel in den Osten Deutschlands.

Zwei Mal haben AfD-Chefs bislang versucht, diese Entwicklung zu stoppen und das gänzliche Abdriften der Partei in die Radikalität zu verhindern: Bernd Lucke im Jahr 2015 und seine Nachfolgerin Frauke Petry 2017. Beide bezahlten das mit dem Verlust ihres Amts.

Alexander Gauland, Mitgründer und derzeitiger Ehrenvorsitzender der AfD, hat die Partei einmal einen "gärigen Haufen" genannt. Intern zerfallen ihre 33.000 Mitglieder in zahllose einzelne Seilschaften, Klüngel und Grüppchen, die einander befehden - wobei oft nicht klar ist, ob es bei den Konflikten um Ideologie oder bloß um Macht geht.

Eine große Bruchlinie lässt sich aber erkennen: Auf der einen Seite steht immer noch die Vision einer bürgerlich-konservativen Partei mit starker wirtschaftspolitscher Agenda, die etwa von der stellvertretenden AfD-Chefin Beatrix von Storch propagiert wird; auf der anderen jene eines völkischen "Sozialnationalismus" ("Die Welt") mit revolutionären Zügen, repräsentiert durch den sogenannten "Flügel" - einer informellen Fraktion innerhalb der Partei, der rund ein Drittel der Funktionäre zugerechnet wird und der vor allem in den ostdeutschen Bundesländern populär ist. Zu den Führungsfiguren des Flügels gehört neben Björn Höcke auch Andreas Kalbitz. Bislang ist der amtierende AfD-Chef Meuthen mit je einem Bein auf einer Seite der Bruchlinie gestanden, die immer weiter und tiefer aufriss. Jetzt hat er sich entschlossen, diesen Spagat zu beenden und gegen den Flügel in Person von Kalbitz vorzugehen.

Ermittlungen des Verfassungsschutzes
Das hat wohl nicht zuletzt mit den Ermittlungen des Verfassungsschutzes zu tun. In einem 436 Seiten umfassenden Bericht der Behörde wird vor allem Höcke und Kalbitz große Aufmerksamkeit gewidmet. Aufgrund weiterführender Ermittlungen hat die Behörde die Gesamtpartei zunächst als "Prüffall" eingestuft. Im Hinblick auf den "Flügel" wurde daraus bereits 2019 ein "Verdachtsfall", was Ermittlungen mit richterlicher Genehmigung erlaubt. Seit März dieses Jahres ist die Seilschaft von Höcke, Kalbitz und Co. ein "Beobachtungsfall". Das heißt: Sie können jederzeit mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln observiert werden -etwa mit V-Leuten und Lauschangriffen. Nach Druck von Meuthen und einigem Hin und Her kündigte der Flügel daraufhin seine Selbstauflösung an. Mit einer Einschränkung von Kalbitz: "Grundsätzlich kann nicht aufgelöst werden, was formal nicht existiert." Nach deutschen Medienberichten bezweifelt auch der Verfassungsschutz, dass die Völkischen innerhalb der AfD damit tatsächlich ihre Aktivitäten eingestellt haben. Und die Tausenden Flügel-Anhänger, die es in der Partei gibt, verschwinden damit ja auch nicht einfach. Sollte der Eindruck entstehen, dass ihr Gewicht in der Gesamtpartei weiter steigt, steht laut Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" die Möglichkeit im Raum, dass bald die AfD als Ganzes zum "Verdachtsfall" erklärt wird.

Und das könnte weitreichende Folgen haben. Meuthen befürchtet offenbar, dass sich in diesem Fall viele Getreue abwenden -vor allem jene, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind und es sich daher nicht leisten können, Mitglied in einer Partei zu sein, die hochoffiziell ein Fall für den Verfassungsschutz ist. Mit Kalbitz versucht AfD-Chef Meuthen nun offenbar auch, den Verfassungsschutz ein bisschen loszuwerden. Sein Problem dabei: Das könnte die Partei auch den Osten kosten; und Meuthen selbst das Amt.

Wer den Machtkampf gewinnt, ist derzeit noch nicht abzusehen. Denn die Begründung für den Parteiausschluss von Kalbitz wurde offenkundig mit einiger Mühe konstruiert. Jahr und Tag hatte Meuthen kein Problem mit dem rechten Gedankengut des Brandenburger Landesparteichefs gehabt. Jetzt sieht er plötzlich eines darin, dass Kalbitz bei seinem Eintritt in die AfD 2013 eine frühere Mitgliedschaft bei den "Republikanern" und in der "Heimattreuen Deutschen Jugend" verschwiegen habe.

Dummerweise lässt sich offenbar nicht nachweisen, dass Kalbitz abseits seiner Teilnahme an Zeltund Sommerlagern der rechtsextremen Vereinigung auch formell angehört hat. Der Aufnahmeantrag an die AfD, der Auskunft darüber geben könnte, ob tatsächlich Angaben fehlen, war vorerst nämlich nicht mehr aufzufinden.

Entsprechend groß ist der Widerstand, auf den Meuthen nun trifft. Sein Vize-Parteichef Tino Chrupalla erklärte, den Rauswurf von Kalbitz abzulehnen. Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel und Ehrenvorsitzender Gauland schlossen sich an.

Viel wird vom Ausgang des juristischen Einspruchs abhängen, den Kalbitz gegen seinen Rauswurf angekündigt hat, weil ihm kein ordentliches Parteiausschlussverfahren zugrunde liegt, sondern nur eine Annullierung der Mitgliedschaft durch Mehrheitsbeschluss im AfD-Vorstand. Juristen sind sich uneinig darüber, was davon zu erwarten ist.

Gauland hat aber bereits eine Einschätzung, was passieren wird, wenn Kalbitz am Ende recht bekommen und die Annullierung annulliert werden sollte: "Dann wird es für diejenigen, die das losgetreten haben, schwierig", so der Ehrenvorsitzende im "Spiegel".

Gleichzeitig scheint die Fangemeinde von Kalbitz auch nicht gerade groß zu sein. Zwar nahm ihn die AfD-Fraktion Brandenburg nach seinem Ausschluss umgehend ohne Parteibuch wieder auf. Als Fraktionsvorsitzenden neu bestätigen wollte sie ihn dann aber auch wieder nicht.

Und eine am 16. Mai gestartete Online-Petition, die für "Solidarität mit Andreas Kalbitz!" warb, hatte bis Mitte vergangener Woche nicht einmal 600 Unterschriften gesammelt - das sind weniger als sechs Prozent der erhofften 10.000 Signaturen. AfD-Prominenz findet sich auf der Liste überhaupt nicht.

Darüber, dass die AfD am Streit um Kalbitz zu zerbrechen droht, sind sich die meisten Beobachter einig. Die Kernfrage für die Partei, schreibt die "Süddeutsche Zeitung", sei: "Braucht sie die besonders im Osten starken ganz Rechten um Höcke und Kalbitz, oder muss sie diese Leute so schnell wie möglich loswerden, um zu überleben?" Es scheine, dass sich "das Schicksal einer Partei mit 33.000 Mitgliedern tatsächlich an einem Rechtsextremen entscheide", analysiert die "Welt". Eine "gemeinsame Zukunft der verfeindeten Lager ist kaum vorstellbar", konstatiert die "taz".

Damit scheint die Strategie gescheitert, auf die die Führung die Partei beim Parteitag in Braunschweig eingeschworen hatte. Mit der Doppelspitze Meuthen-Chrupalla sollten der Westen und der Osten gleichermaßen versöhnt werden wie die moderaten Kräfte und der extreme Flügel. Dieser sollte offiziell nicht mehr in Erscheinung treten, aber informell weiterbestehen. So sah sich die Parlamentspartei des Deutschen Bundestags ernsthaft auf dem Weg zur "einzigen authentischen bürgerlich-konservativen Volkspartei" (Zitat: Höcke) Deutschlands. Der Fantasie waren kaum Grenzen gesetzt: Der nächste Schritt sollte eine Regierungsbeteiligung der AfD im Bund sein.

Die Wahlergebnisse des Jahres 2019 befeuerten solche Träume. 27,5 Prozent bei den Landtagswahlen in Sachsen, 23,5 Prozent in Brandenburg, 23,4 Prozent in Thüringen -alles Länder im Osten, gewiss. Doch auch auf Bundesebene, wo die AfD 2017 auf 12,6 Prozent gekommen war, lag sie in den Umfragen stabil im zweitstelligen Bereich - zwischendurch gleichauf mit der schwächelnden SPD. Mittlerweile sind die Werte erstmals seit drei Jahren einstellig. Eine Meinungsbefragung des Instituts Insa sieht sie nur noch bei 9,5 Prozent.

Der deutsche Verfassungsschutz hat sich durch die vermeintliche Auflösung des "Flügels" nicht täuschen und nicht abschütteln lassen. Das hat die Partei in permanente Bedrängnis gebracht. Man kann Meuthen zugutehalten, dass er "wie ein kleiner Schlepper im Hafen versucht, das Schiff aus dem Schlammig-Völkischen ins Konservativ-Bürgerliche zu ziehen", wie es Christoph Schwennicke, der Chefredakteur des Magazins "Cicero" formuliert. Wie es aussieht, wird sich das, was er da hinter sich herzieht, als morscher Seelenverkäufer entpuppen, mehr nicht. Wenn Meuthen nicht gar demnächst als Erster von Bord gehen muss.

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Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur