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Die Wut auf Macron steigt

Der Protest gegen die Pensionsreform in Frankreich wird immer mehr zu einem Protest gegen Präsident Macron.

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An den Tankstellen wird das Benzin knapp, auf den Gehsteigen von Paris stapeln sich die Müllsäcke. Nur knapp scheiterten  im Parlament zwei Misstrauensvoten, die den Sturz der  Regierung zum Ziel hatten. Die Demonstrierenden ärgert, dass am Ende nur er allein entscheidet: Präsident Emmanuel Macron. Und so wird der Protest für das Recht auf weniger Arbeit immer mehr zu einem Protest für mehr demokratische Mitbestimmung.

Was hat die Proteste ausgelöst?
Emmanuel Macron will das Pensionsalter anheben. Dieses soll schrittweise von 62 auf 64 Jahre steigen. Zwei Drittel der Französinnen und Franzosen sind Umfragen zufolge dagegen. Macron glaubt, die Reform sei unausweichlich. Als Gründe nennt er den demografischen Wandel. Es drohe eine Lücke in der Pensionskasse. Macron, seit 2017 Präsident, hat die Pensionsreform konservativen und liberalen Kreisen bereits vor Jahren versprochen. Und er ist fest entschlossen, sie mit allen Mitteln durchzusetzen. Wo wir beim zweiten Grund wären, warum die Proteste 
eskalieren. Macron hat die Reform mithilfe des umstrittenen Artikels 49.3 der französischen Verfassung durchgeboxt, eine Art Hintertürchen, durch das man die Nationalversammlung, also das Parlament, umgehen kann. Viele in Frankreich halten diese Klausel, die nach dem Zweiten Weltkrieg vom Staatsmann Charles de Gaulle eingeführt wurde, für undemokratisch, ja sogar autoritär. Und das, obwohl sie von unzähligen Präsidenten über die Jahre immer wieder eingesetzt wurde. 
Sind Proteste in Frankreich nicht ohnehin an der Tagesordnung?
Proteste sind in der Tat tief in der Kultur Frankreichs verwurzelt. 2006 protestierten die Franzosen so vehement gegen eine Pensionsreform, dass der damalige Premierminister Dominique de Villepin das Gesetz schlussendlich zurücknahm. Auch Macron hat schon klein beigegeben. Kurz nach seiner Wahl brandeten die Proteste der sogenannten Gelbwesten auf. Ihre Anhänger legten zwischen November 2018 und Frühjahr 2019 in regelmäßigen Abständen das Land lahm. Der Auslöser war damals eine Kraftstoffsteuer (Ökosteuer), die vor allem sozial schwache Schichten traf, die auf ihr Auto angewiesen sind. Damals gab Macron noch nach. Bei der Pensionsreform dürfte das anders sein. Macron hat in einem TV-Interview bereits angekündigt, nicht klein beigeben zu wollen. Viele fragen sich deswegen, ob die Gelbwesten auf die Straße zurückkehren werden. Noch gibt es keine Anzeichen dafür. Anders als 2018 handelt es sich bei den aktuellen Protesten um keine unorganisierte Graswurzelbewegung, sondern eine gezielte Aktion der Gewerkschaften. 
Wie groß ist der Protest?
Die Proteste flammen seit Monaten an unterschiedlichen Orten auf. Im Parlament sangen Abgeordnete so laut die Nationalhymne, dass niemand mehr die Rede der Premierministerin Élisabeth Borne verstand. Polizeibusse riegelten das Areal um den Amtssitz des Präsidenten ab. Selbst 
in den kleinen Seitenstraßen rund um den Eiffelturm stapelt sich der Müll. Am Gehsteig klaffen schwarze Flecken, weil Demonstrierende in regelmäßigen Abständen Tonnen anzünden. Streiks in Raffinerien führen zu Benzinknappheit und langen Schlangen vor Tankstellen. Menschen auf Bahngleisen 
legen den Nah- und Fernverkehr lahm. Die Gewalt richtet sich aber nicht nur gegen Mülltonnen. Abgeordnete stehen unter Polizeischutz, Demonstrierende verbrennen Puppen mit dem Gesicht des Präsidenten. In Lyon wurde in einem Bezirksrathaus Feuer gelegt. 
Fällt die Regierung?
Das ist nicht ausgeschlossen. Die französische Premierministerin Élisabeth Borne hätte wegen der Pensionsreform um ein Haar ihr Amt verloren. Ihre Regierung hat zuletzt zwei Misstrauensanträge der Opposition überstanden. Es fehlten nur neun Stimmen. Gut möglich, dass Élisabeth Borne auch von Macron ausgetauscht werden könnte. Der Präsident selbst sitzt aber fest im Sattel. Sein Amt sieht weitreichende Machtbefugnisse vor. Das Parlament kann Macron nicht einfach so abwählen. Er könnte nur dann seines Amtes enthoben werden, wenn er sich als unzurechnungsfähig erweist oder wenn er des Landesverrats überführt wird. 
Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.