Second round of France's 2022 presidential election
Analyse

Frankreich-Wahl: Warum wählen sogar Linke Marine Le Pen?

Emmanuel Macron bleibt Frankreichs Staatspräsident, doch der Stimmenanteil von Marine Le Pen steigt von Wahl zu Wahl.

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Ja, Frankreich hat gewählt, Emmanuel Macron bleibt für eine zweite Amtszeit Staatspräsident. „Wer Nägel hat, der kaue“ hatte ich in einem profil-Kommentar für den Sonntag empfohlen. Das Ergebnis fiel dann doch sehr klar aus.

Nun ist die Gefahr gebannt, dass Frankreich in der Europäischen Union zu einem Fremdkörper wird. Marine le Pen, Macrons Gegenkandidatin, hatte einen alarmierenden Plan gefasst, die französische Verfassung in wichtigen Punkten zu ändern, sodass diese auch dem EU-Recht widersprechen würde. Kurz erläutert: Schluss mit der „Égalité“, der Gleichheit; Nach Le Pens Wunsch hätten französische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gegenüber anderen – legal – in Frankreich lebenden Menschen per Gesetz den Vorzug am Wohnungs- und Arbeitsmarkt bekommen. Und das ist nur ein Punkt, der deutlich macht, weshalb Marine Le Pen und ihre Partei „Rassemblement National“ (Nationale Versammlung) als „rechtsradikal“ oder auch „rechtsextrem“ bezeichnet werden.

Eine Frage aber bleibt: Was bedeutet es, dass mehr als 40 Prozent der Stimmen in der Stichwahl am Sonntag auf Le Pen entfielen? Sind an die 13 Millionen Französinnen und Franzosen rechtsextrem? 2002 erreichte Marine Le Pens Vater und (deutlich rabiaterer) Vorgänger Jean-Marie Le Pen im zweiten Wahlgang gerade einmal 5,5 Millionen.

Die Koalition aus Liberalen, Konservativen und Linken, die sich gegen die Rechtsaußen-Gefahr zusammentun, gibt es kaum noch. „Warum wählen Linke nicht Macron?“ formulierte Peter Unfried in der „taz“ ungläubig. 

Auf diese gute Frage gibt es mehrere Antworten:

Tatsächlich vertritt Marine Le Pen neben rechts-nationaler Politik auch Forderungen, die üblicherweise von linken Parteien erhoben werden. Ein Beispiel: Während Emmanuel Macron das Pensionsantrittsalter schrittweise von 60 auf 65 Jahre anheben möchte, ist Le Pen – ebenso wie der Links-Kandidat Jean-Luc Mélenchon strikt dagegen.

Weiters plädiert Le Pen für die Aufhebung der Mehrwertsteuer auf die wichtigsten Güter des täglichen Bedarfs – ähnlich wie SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner dies in der ORF-„Pressestunde“ verlangte.

Wer also in diesen wirtschaftspolitischen Fragen Macrons Weg ablehnt, konnte im ersten Wahlgang links wählen. Im zweiten Wahlgang jedoch blieb als Widerpart zu dem von Linken und Rechten als „arrogant“ und „reichenfreundlich“ verschrienen Macron nur Le Pen als Alternative, um „linke“ Wirtschaftspolitik zu wählen. Paradox? Immerhin 16 Prozent der linken Mélenchon-Wähler gaben in Umfragen an, im zweiten Wahlgang Le Pen wählen zu wollen, und weitere 51 Prozent kündigten an, keine gültige Stimme abzugeben.

Vielleicht liegt darin eine Antwort auf die Frage, weshalb nicht nur Rechtsextreme und Rechts-Konservative für Le Pen stimmen. Die Angst vor EU-Feindlichkeit scheint starkes Wahlmotiv zu sein.

Eine weitere Antwort: Marine Le Pen gehört seit mittlerweile zwei Jahrzehnten zum fixen Inventar der französischen Innenpolitik. Die Punzierung als „Faschistin“ greift kaum noch. Sie hat geschickt einen Teil ihrer Positionen abgemildert, sodass die verbliebenen radikalen Forderungen nicht mehr so präsent sind. Zudem sind zwischendurch auch die traditionellen, konservativen „Republikaner“ weit nach rechts gedriftet und haben Le Pens Ideen harmloser erscheinen lassen.

Schließlich eine letzte Antwort: Nun, ein ordentliches Maß Verantwortungslosigkeit ist auch dabei. Mélenchon rief zwar dazu auf, „keine Stimme für Le Pen“ abzugeben, doch eine Wahlempfehlung für Macron kam ihm nicht über die Lippen. Er will Macron bei den bevorstehenden Parlamentswahlen im Juni erneut als neoliberales Übel brandmarken, und da passt eine Wahlempfehlung nicht so recht ins Konzept.

So sieht die Mélange aus, die Le Pen auf über 40 Prozent kommen ließ. Eine Niederlage bleibt es dennoch.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur