Friedensaktivistin: „Das Militär wird die Klimakrise nicht bekämpfen“
Österreich ist seit 1955 neutral – trotzdem werden Waffen exportiert. Auch in den Sozialen Medien werden Rufe laut, vor allem Israel keine Waffen zu liefern.
Laëtitia Sédou
Viele Länder verkaufen weiterhin Waffen, oder wichtige militärische Güter, an Israel, auch Frankreich. Selbst wenn gesagt wird, dass keine weiteren Exportlizenzen für Waffen ausgestellt werden, bedeutet das nicht, dass bestehende Aufträge nicht erfüllt werden. Aktivistinnen und Aktivisten blockieren deshalb in Frankreich zum Beispiel Häfen. Dort werden kleine Teile hergestellt, ohne die Waffen nicht funktionieren würden. Gewisse Entwicklungen stoppen nur, wenn die Zivilgesellschaft aktiv wird.
Pazifismus wird in Österreich stark von rechts und linksaußen besetzt. Sehen Sie Ähnliches auf EU-Ebene?
Sédou
Es gibt Stimmen, die pauschal alle EU-Militärhilfe ablehnen, aber das heißt nicht, dass sie alle Pazifisten sind. Bei denen gibt es auch kaum Diskussion über gewaltfreie Alternativen, wie die Souveränität der Ukraine so geschützt werden kann.
Gibt es für Sie eine ethisch vertretbare militärische Aufrüstung?
Sédou
So wie es aktuell betrieben wird, nein. Die Ukraine ist ein rechtlich legitimer Sonderfall, eine Ausnahme für Waffentransfers. Trotzdem braucht es in jedem Fall Diplomatie, also Gespräche. Es ist unmöglich, die Ukraine 20 Jahre so zu unterstützen. Und wollen wir ein Szenario, wie Palästina und Israel, wo es diese Auseinandersetzung seit 40 oder 50 Jahren gibt?
Wer profitiert vom Aufrüsten?
Sédou
Die Rüstungsindustrie. Die Militarisierung Europas hat vor dem Krieg in der Ukraine begonnen, so um 2016 herum. Damals wurde eine Studie veröffentlicht, verfasst von angeblichen Expertinnen und Experten, die enge Verbindungen zur Rüstungsindustrie hatten. Ihr Argument: Europa hinke technologisch hinterher, deshalb müsse die EU in autonome Waffensysteme, KI und andere „disruptive“ Technologien investieren – auf eigenes Risiko, weil private Unternehmen es nicht wollten.
Was sind die Folgen?
Sédou
Rüstungsfirmen werden die Ressourcen, die für Innovation im zivilen Bereich gebraucht werden, aufsaugen. Auch Fachkräfte, Ingenieure und Rohstoffe werden dann fehlen. Es gibt nicht genug für massives Aufrüsten und für eine zivile, grüne Wende, den Kampf gegen die Klimakrise. Es ist gefährlich zu sagen, dass das Militär die Priorität sein muss, es wird den Wohlstand nicht erhalten und die Klimakrise nicht bekämpfen. Sogenannte zivil-militärische Synergien, wie das Entstehen des Internets, sind überwiegend Mythen, und nicht so geradlinig auf das Militär zurückzuführen, wie oft es behauptet wird.
Wird es durch neue Firmenmodelle wie Joint Ventures oder Investitionen durch intransparente Fonds schwieriger, nachzuverfolgen, was die Waffenindustrie treibt?
Sédou
Definitiv und das ist kein neues Phänomen. Ein Beispiel: Sobald Rheinmetall ein Joint Venture in Südafrika hat, exportieren sie mit südafrikanischen Regeln. In der Datenbank von SIPRI (Anmk. Stockholm International Peace Research Institute) können diese Exporte aufscheinen, aber es gibt natürlich Limits. Viele Länder sind noch intransparenter als die EU-Staaten. Joint-Ventures oder Produktion außerhalb der EU ermöglichen ein Umgehen von EU-Regeln und verschiebt die Wahrnehmung von Verantwortung. Die Profite fließen weiter in die Firmenzentralen oder sogar an Staaten, wie zum Beispiel bei dem wallonischen (Anmk. Region in Belgien) Firma FN Herstal, die ihre Waffen in den USA produziert.
Bei der Datenmeldung ist auch entscheidend, wie die Güter deklariert werden. Verschwindet Ihrer Beobachtung nach die Trennung von zivilen und militärischen Technologien?
Sédou
Ja. Heute gibt einen verstärkten Fokus aus Dual-Use-Technologien – mit zivilen und militärischen Anwendungen. Mit dem neuen EU-Budget verschwimmen da so einige Grenzen. Die EU-Kommission erlaubt nun, dass der Kohäsionsfond und der Fond für regionale Entwicklung für die Waffenindustrie geöffnet werden (Anmk. die Fonds sind zum Beispiel Investionen in die Infrastruktur oder die Umwelt gedacht). Weil diese Gelder dann national oder regional vergeben werden, wird es noch schwieriger nachzuverfolgen, was an den Rüstungssektor geht.
Was wird mit dem Überschuss an Waffen passieren?
Sédou
Der europäische Markt ist zu klein, um diese signifikanten Anstieg an militärischen Gütern aufzunehmen, auch, weil viele europäische Staaten ihre Waffen nicht in der EU kaufen, sondern teilweise aus den USA. Dieser Überschuss wird zumindest teilweise exportiert werden, sonst kann die europäische Waffenindustrie nicht überleben.
In den Sozialen Medien werden Boykott-Aufrufe laut, etwa gegen den Musikstreamingdienst Spotify. Einer der Gründer hält Anteile an der Münchner KI-Drohnenfirma Helsing. In den Sozialen Medien wird suggeriert, dass durch ein Spotify-Abo Krieg unterstützt wird. Sehen Sie darin ein sinnvolles Zeichen?
Sédou
Ja. Symbolische Boykotte zeigen, dass Konsumenten und Konsumentinnen auch aktiv sein können. Offizielle Stimmen und Medien bilden nur das Narrativ zur Notwendigkeit des Aufrüstens ab, und es ist nicht einfach, andere Stimmen zu hören oder zu sehen. Selbst wer nicht pazifistisch denkt, muss sich fragen, ob das aktuelle Aufrüsten wirklich unserer Sicherheit, oder vielmehr der Verteidigung anderer Interessen dient.
Über ENAAT
ENAAT ist das ‘European Network Against Arms Trade’. Das Netzwerk wurde 1984 gegründet und versucht, internationalen Waffenhandel mit Recherche, Publikationen und Kampagnen einzudämmen. Das Projekt ‘Disarming the European Project’ verfolgt Entwicklungen auf EU-Ebene, allen voran die Finanzierung der Waffenindustrie mit EU-Geldern.