Diesen Sommer hätte Possard wieder einen Harvard-Gastaufenthalt geplant und hatte bereits Zusagen von Fachprofessoren vor Ort. Doch Possard hat erst gar nicht probiert, ein US-Visum zu bekommen. Ob er überhaupt eines kriegen würde, ist fraglich. Seine Publikationen zu Desinformation und Staatsverweigerern könnten von den aktuellen US-Behörden als zu aufwieglerisch klassifiziert werden, glaubt Possard; ebenso seine Social-Media-Kommentare zum Thema. Auch diese sollen künftig bei Akademikern, die in die USA einreisen wollen, vorab ins Visier genommen werden. Possard will deshalb auf die englische Spitzenuni Oxford ausweichen.
Ein Viertel sind Ausländer
Vergangenen Freitag schickte Alan Garber, Rektor der Harvard-Universität, ein E-Mail aus, in dem er seine Universität darüber informierte, was ohnehin schon über die Medien publik geworden war: Aufenthaltsvisa für Harvard-Studierende aus dem Ausland seien von der Trump-Regierung für das akademische Jahr 2025 und 2026 entzogen worden. Ein Schlag ins Gesicht für die älteste Uni der USA, die es länger gibt als die Vereinigten Staaten selbst: Ein Viertel der 25.000 Harvard-Studierenden sind Ausländer, darunter auch Österreicherinnen und Österreicher. Wie viele genau, vermag selbst der Harvard-Club in Österreich nicht zu sagen (in ihrem Klub in Wien sind rund 200 Alumni und ehemalige Gäste gemeldet). Harvard wehrte sich juristisch und bekam zumindest vorerst recht. Die Visa-Anordnung wurde vom US-Bundesgericht vorläufig per einstweiliger Verfügung ausgesetzt. Die Verunsicherung aber bleibt. Die Kaderschmiede Harvard ist plötzlich zu einem Ort geworden, an dem sich unter Studierenden aus dem Ausland Angst breitmacht. Und zuweilen auch schwarzer Humor, erzählt ein Österreicher vor Ort: Ausländische Studenten, die bei Rot über die Straße gehen, dürften sich nicht wundern, wenn sie verhaftet und abgeschoben werden, scherzt man untereinander.
In Europa jedenfalls stehen den akademischen Flüchtlingen die Türen offen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte für sie ein 500-Millionen-Euro schweres „Choose Europe for Science“-Paket an. Und auch Österreichs Wissenschaftsministerin Eva-Maria Holzleitner will ein Stipendienprogramm für 50 Studierende ermöglichen.
Eingeschränkte Meinungsfreiheit
Der Visa-Bann der US-Heimatschutzministerin Kristi Noem setzte eine Reihe von Maßnahmen gegen Eliteuniversitäten im Allgemeinen und die Harvard-Universität im Speziellen fort. Denn diese hatte sich – im Gegensatz zu anderen US-Universitäten wie etwa der Columbia – geweigert, Studierende zu melden, die sich vermeintlich „feindlich“ in Bezug auf „amerikanische Werte“ verhalten würden. Ebenso schlug die Privatuniversität Harvard aus, gegen staatliche Zuwendungen staatlichen Zugriff auf die Lehrinhalte zu gewähren.
Trumps Kampf gegen Eliteuniversitäten begann kurz nach seiner Angelobung. Propalästinensische Proteste auf den Campussen der Elite-Unis veranlassten Trump nicht nur dazu, diese als Hort des Antisemitismus zu brandmarken. Tatsächlich hatte es systematische Einschüchterung von Juden und Israelis gegeben, wie ein interner Bericht der Harvard zeigte. Die Ereignisse waren für Trump jedoch auch eine günstige Gelegenheit, gegen die Spitzenhochschulen vorzugehen. Als Hochburgen der Wokeness sind sie Trump und seinesgleichen zutiefst verhasst. Der Vorwurf: An den Eliteuniversitäten wären Minderheiten zur Mehrheit geworden, Ausländer würden gegenüber Amerikanern bevorzugt, die Meinungsfreiheit zugunsten der Prämisse politischer Korrektheit eingeschränkt. Tatsächlich sieht manches davon nicht nur Trump so.
Selbst Harvard-Rektor Garber räumt ein, dass konservative Studenten in Harvard zuweilen Hemmungen haben, ihre Meinung auszudrücken, ebenso so mancher Lehrender. Doch Trumps Hass richte sich gegen die Falschen, sagt Garber dieser Tage in Interviews. Was das Kalkül der Regierung sei, könne er nicht vollständig erfassen, doch er wisse, dass es Menschen gebe, die ihren Kulturkampf an Orten wie Harvard austragen wollen.
Angst vor Repressalien
Eine Person aus Österreich, die sich bereit erklärt hat, unter der Zusicherung der Anonymität mit profil zu sprechen, sagt: Viele haben Angst vor Unannehmlichkeiten. „Ich selbst habe keine starke politische Meinung, aber wenn man sieht, was alles möglich ist, wird einem anders.“ Vielen Studenten in den USA sei der Fall Rümeysa Öztürk (siehe ab Seite 26) eine Mahnung: Die türkische Studentin der Tufts-Universität in Massachusetts hatte in Uni-Medien ihren Protest gegen den Gazakrieg zum Ausdruck gebracht und Israels Vorgehen in Gaza als Genozid bezeichnet. Sie wurde von einem halben Dutzend Beamten verhaftet. Das Video ihrer Festnahme, die wie eine Entführung anmutete, ging viral.
Der Österreicher Florian Dirmayer jedenfalls hat keine Hemmungen, sich auch namentlich zu äußern. Der 26-jährige Salzburger hat die letzten zwei Jahre Public Policy an der Kennedy School in Harvard studiert, der internationalsten Harvard-Fakultät, an der nahezu 60 Prozent Ausländer sind; in Fächern wie Internationale Entwicklung sind es gar an die 90 Prozent. Dirmayr ging mit einem Fulbright-Stipendium nach Harvard, einem der prestigeträchtigsten Stipendienprogramme der Welt. Derzeit sind vier Österreicher mit diesem Stipendium an Harvard, kommendes Jahr waren weitere vier geplant. Dirmayer fürchtet auch deshalb keine Repressalien, weil sein Aufenthalt in den USA endet. Am Donnerstag hat er seine Abschlussfeier. Es ist keine gewöhnliche Sponsion, sondern die legendäre Harvard Commencement, bei der 30.000 Gäste erwartet werden – sie findet just am selben Tag statt, an dem das Gericht darüber entscheiden wird, wie es mit dem aufgehobenen Einreiseverbot weitergehen wird.