Joschka Fischer

Joschka Fischer: "Wer wird Herrn Strache pflegen?"

Joschka Fischer, ehemaliger deutscher Außenminister, über die Gründe, weshalb der Westen gegenüber China an Boden verliert, neue Nationalisten und Kritik an Österreichs Kanzler Sebastian Kurz.

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INTERVIEW: CHRISTIAN RAINER, ROBERT TREICHLER

profil: "Der Abstieg des Westens" klingt als Buchtitel schon recht dramatisch - aber dann warnen Sie auch noch vor einem "historischen Selbstmord des Westens" Sie waren doch immer ein Kämpfer. Hat Sie Hoffnungslosigkeit befallen? Fischer: Nein. Ich beschreibe einen historischen Prozess, der sich ganz offensichtlich vollzieht. Es ist keine Frage des Kampfes, sondern die Frage, welche Konsequenzen man daraus zieht.

profil: Sie entwerfen eine pessimistische Gegenthese zu Francis Fukuyamas These vom "Ende der Geschichte". Er meinte, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe der Westen endgültig gesiegt. Bei Ihnen kommt es ganz anders. Der Westen ist der große Verlierer. Fischer: Das hat nichts mit Pessimismus zu tun, es ist eine realistische Analyse. Der Ausgangspunkt war für mich der Brexit - den ich nicht für möglich gehalten hätte - und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten -die ich ebenso wenig für möglich gehalten hatte. Ich stellte mir die simple Frage: Was geht da eigentlich vor sich? Parallel dazu muss man feststellen, dass China in eine neue Phase seiner Entwicklung eintritt. Es hat seit der Finanzkrise 2008 eine sichtbare, globale Führungsrolle übernommen. Sehen Sie sich etwa am Balkan um, welche enormen Investitionen China in Griechenland, Serbien oder Montenegro tätigt. Wenn man diese großen globalen Trends zusammenfasst, stellt man unweigerlich fest, dass der Westen im Abstieg begriffen ist. Dass sich die beiden Gründungsnationen des transatlantischen Westens, Großbritannien und die USA, von ebendiesem verabschieden, ist keine Kleinigkeit.

profil: Könnte es nicht sein, dass es sich bei dieser Entwicklung nur um eine vorübergehende Phase handelt? Dass Trump nach einer Amtszeit Geschichte ist? Fischer: Kann sein, dass das bald vorbei ist. Aber die Basistrends, die diesen Phänomenen zugrunde liegen, werden deshalb nicht verschwinden. Wenn ich mir aus europäischer Perspektive die technologische Entwicklung ansehe, so wird die digitale Zukunft zwischen den USA und China ausgemacht. Europa spielt da kaum mit. Es hat zudem keine politische Vision, kein strategisches Bewusstsein über seine Rolle und seine Interessen. Stattdessen grassiert ein neuer Nationalismus, der uns ins 20. oder gar ins 19. Jahrhundert zurückwirft.

profil: Würde der Abstieg des Westens also auch ohne Brexit und Trump passieren? Fischer: Der Brexit und Trump sind Beschleunigungsfaktoren. Aber dahinter stecken globale, historische Trends, also: Ja, der Abstieg des Westens vollzieht sich unausweichlich. Ich sage ja nicht, dass das nicht sein darf. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren Indien und China die größten Volkswirtschaften. Man kann das also auch als Rückkehr zu einer Normalität betrachten. Was ich aber befürchte, ist, dass wir Europäer aufgrund von Unachtsamkeit, Rückwärtsgewandtheit und Illusionen unnötigerweise unter die Räder kommen könnten.

Ich bin überzeugter Anhänger der repräsentativen Demokratie, also gewählter Eliten.

profil: Warum ist es so gekommen? Fischer: Der Schlüssel liegt in der Zeit nach 1989. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA und Großbritannien gemeinsam die Kraft, eine neue Weltordnung zu entwerfen. Die bestand nicht nur in einer militärischen Sicherheitsgarantie, sondern vor allem auch in neuen internationalen Institutionen, an oberster Stelle die Vereinten Nationen, dazu ein globales Finanzsystem mit dem Dollar als globaler Reservewährung, die Weltbank, der Internationale Währungsfonds -allesamt Institutionen, auf denen unser System bis heute ruht. Nach 1989 hingegen hatte der Westen diese Kraft nicht mehr. Die Europäer waren nach zwei Weltkriegen, vielen Diktaturen, dem Holocaust und fünf Jahrzehnten im Zentrum des Kalten Krieges erschöpft. Sie sehnten sich nur noch nach Ruhe. Die Osteuropäer wollten den Sowjetstaat hinter sich lassen und zum Westen gehören.

profil: Durchaus nachvollziehbare Motive. Fischer: Klar, all das war völlig legitim. In den USA wiederum gaben sich die Neocons dem Triumphalismus hin, was schließlich zum Krieg im Irak führte. So verschieden sie auch waren, in einem Punkt waren die Reaktionen Europas und der USA identisch: Beiden fehlte die intellektuelle und politische Kraft, eine Ordnung für die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges zu erdenken. Die große Illusion von Fukuyama war zu meinen, der Westen habe gewonnen, der Rest ergebe sich von selbst.

profil: Sie betreiben in Ihrem Buch dennoch keine Elitenschelte. Fischer: Ich bin überzeugter Anhänger der repräsentativen Demokratie, also gewählter Eliten. Ich will sie nicht delegitimieren. Von direkter Demokratie, wie sie von autoritärer Seite propagiert wird, halte ich nicht viel. Ich muss nur die Zeit von 1949 bis zur Gegenwart mit der Zeit vorher vergleichen, um zu sehen, was besser ist.

profil: Trump kam durch eine ganz normale Wahl an die Macht. Was hat den Boden für seinen Sieg bereitet? Fischer: Erstens der Irakkrieg: Es wurde in Europa unterschätzt, wie sehr dieser Krieg die Glaubwürdigkeit Washingtons intern unterminiert hat. Die amerikanische Provinz hatte einen hohen Blutzoll zu bezahlen - viele Tote und Verwundete. Zweitens die Finanzkrise: Deren Auswirkungen haben in den USA auf die Bevölkerung viel härter durchgeschlagen, weil der Sozialstaat in den USA nicht so ausgebildet ist wie in Europa. Ähnliches gilt für Großbritannien - in Bezug auf den Irakkrieg und auch auf die Finanzkrise. Diese beiden Faktoren haben das Vertrauen in das System erschüttert.

profil: In Österreich haben wir für rechte Populisten ein simpleres Erklärungsmuster: Fremdenfeindlichkeit. Spielten nicht auch bei Trump und dem Brexit jeweils die Ausländer als Feindbild eine große Rolle? Fischer: Ich warne davor, alles über einen Kamm zu scheren. Die USA sind eine Einwanderungsgesellschaft, sie waren es immer und sie werden es wieder werden. Eine größere Rolle als die illegale Zuwanderung spielte dort der radikale Jobexport nach Asien, der über Jahrzehnte hinweg vonstatten ging.

Es ist ein großes Defizit, dass wir nicht begreifen, dass wir Zuwanderung brauchen.

profil: War der neue Nationalismus eine Reaktion auf reale Probleme? Fischer: Die Jobverluste in den USA waren jedenfalls real. Als ich noch als Außenminister in New York war, haben mir einige Republikaner mal vorgerechnet, wie sehr sich das Abwandern rentiert. Und ich habe damals gefragt: Aber was ist mit den Jobs, mit den Leuten?

profil: Die Antwort von Trump und anderen lautet Protektionismus ... Fischer: Damit sägen wir ab, wovon wir leben. Das wird nicht funktionieren.

profil: ... und geschlossene Grenzen. Fischer: Es ist ein großes Defizit, dass wir nicht begreifen, dass wir Zuwanderung brauchen. Wer wird Herrn Strache pflegen, falls er mal ein Pflegefall sein wird? Das Leben ist lang. Angesichts der demografischen Entwicklung brauchen wir Zuwanderung. Allerdings sage ich gleichzeitig meinen linken Freunden: Eine Zuwanderungsgesellschaft ist kein Gesangsverein Harmonie. Aber was Deutschland betrifft , bin ich da gar nicht so pessimistisch. Wir können die Geschichte der Bundesrepublik auch als ganz anderes Narrativ beschreiben: Meine Familie, die Fischers, lebten 200 Jahre lang in Ungarn. Rein vom kulturellen Background ist mir Österreich viel näher, ich bin mit österreichisch-ungarischer Küche groß geworden. Meine Mutter war klassische, traditionelle Hausfrau. Mariazell ist mir ein Begriff. 1946 wurden die Fischers vertrieben, obwohl mein Großvater am Balkan für Kaiser und König gestorben ist. Zwölf bis 14 Millionen Heimatvertriebene in einem völlig zerstörten Land haben damals wesentlich dazu beigetragen, dass nicht nur sie selbst, sondern auch das Land wieder den Kopf aus dem Wasser kriegten. Dann, 1956, kamen die Flüchtlinge aus Ungarn, da muss ich immer an Orbán denken; 1968 kamen die Tschechen und Slowaken, dazu die vielen Ostdeutschen vor 1961, immer wieder tauchten damals an meiner Schule neue Schüler auf und sprachen für uns im Schwäbischen merkwürdige Dialekte Schließlich folgten die Gastarbeiter, auch die wurden integriert, die vielen Osteuropäer nach 1989. Eigentlich eine stolze Erfolgsgeschichte.

profil: Die Politik weist derzeit in eine andere Richtung. Mit Österreich und der aktuellen Bundesregierung gehen Sie deshalb in Ihrem Buch hart ins Gericht. Durch die "teilweise Übernahme des xenophoben und völkischen Programms würden hier die neuen Nationalisten "bündnis- und machtfähig gemacht". Das ist scharfe Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz. Fischer: Nun ja, erfreut bin ich darüber gewiss nicht. Aber erwähne ich ihn da?

profil: Indirekt. Die Bündnis- und Machtfähigkeit der FPÖ hat er hergestellt, indem er sie in eine Koalition geholt hat. Fischer: Meine Beschreibung dieses Opportunismus der Mitte bezieht sich auf diejenigen, die diesen Strömungen hinterherlaufen, wer immer das auch ist. Es war kein Versäumnis meinerseits, dass ich keine Namen genannt habe. Reden wir doch nicht drum herum, auch bei der SPÖ gab es die Überlegung, mit der FPÖ zusammenzuarbeiten.

profil: Ist es aus Ihrer Sicht der falsche Weg? Fischer: Eindeutig ja, Ich glaube nicht, dass daraus was Gutes wird.

profil: Es kommen derzeit so viele Gewissheiten in unserer Gesellschaft abhanden: Extreme, radikale Parteien kamen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bei uns nicht an die Macht, die Presse wurde als etwas Gutes und Richtiges angesehen, die Institutionen wurden respektiert - warum bröckelt jetzt all das? Fischer: Durch das Eindringen des Internets in die mediale Welt ist jeder sein eigener Journalist. Die Demokratisierung durch das Internet hat sich als Illusion erwiesen. Es hat zu einer Transformation von Information in Propaganda geführt. Man muss die liberale, repräsentative Demokratie verteidigen, wenn man sie für richtig hält. Das kann jetzt auch eine richtige Chance für die Medien sein, eine Art Wiedergeburt.

Ich glaube nicht, dass Europa nur aus der technokratischen Bürokratie heraus erneuerbar ist. Es braucht auch ein strategisches Bewusstsein und einen politischen Willen.

profil: Die Gegenbewegungen sind stark. Sie beschreiben sie als Nationalismus der Alten, die nur noch Ruhe haben wollen und sich nach der Vergangenheit sehnen. Tatsächlich wählen auch viele Junge die Rechten. Viele meinen eine neue, reaktionäre 68er-Bewegung auszumachen. Fischer: Vielleicht liegt es daran, dass ich als Alt-68er etwas gelassen bin. Ich sage: Was die wollen, kann nicht mehr funktionieren. Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert! Die Europäer sind nicht mehr im Zenit ihrer Vorherrschaft. Das ist vorbei. Da mögen die Identitären über ihre Identität philosophieren. Wenn bloß nicht sofort ein Carl Schmitt oder andere, die aufs Engste mit den Nazis verbunden waren, in ihrer Ideologie auftauchen würden. Das zeigt, wes Geistes Kinder die sind.

profil: Um Europa in Ihrem Sinne zu dynamisieren, wünschen Sie sich eine Bürgerbewegung von unten. Wie kann die aussehen? In der Art von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, der die Bürger motiviert hat, eine Bewegung zu gründen? Fischer: Ich glaube nicht, dass Europa nur aus der technokratischen Bürokratie heraus erneuerbar ist. Es braucht auch ein strategisches Bewusstsein und einen politischen Willen. Wie soll unsere Zukunft aussehen? Bleibt uns nur noch die Entscheidung zwischen den Hightech-Zentren Shenzhen in China und Silicon Valley in den USA? Das halte ich für keine gute Idee.

profil: Ihr Buch könnte auch "Der Aufstieg Chinas" heißen. Wenn China die geplante Verfassungsänderung vollzieht und Xi Jinping auf unbestimmte Zeit Staatschef bleiben kann, wird das System dann autoritärer werden? Fischer: Es wird China verändern. Aber mich besorgt mehr der digitale Leninismus, wie ich das nenne - die Verbindung von modernster digitaler Technologie und der Einparteien-Herrschaft in leninistischer Tradition. Am Ende ist die entscheidende Frage für die Kommunistische Partei, ob sie den "Vertrag mit dem Himmel" erfüllen kann, das heißt, ob sie einen Fortschritt für China gewährleisten kann; ob sie das Reich zusammenhalten kann; ob sie eine Aufstiegsperspektive für die 700 Millionen Chinesen schafft, die noch in Armut leben; ob die Mittelklasse glaubt, dass sie weiter gewinnen kann; ob sie die ökologischen Katastrophen in den Griff bekommt; und ob sie die internationale Rolle Chinas weiter erfolgreich ausbauen kann. Wenn das der Fall ist, wird das System stabil bleiben. Das weiß man in der KP-Führung. Ich sehe keine Gefahr eines Absturzes in die Irrationalität.

profil: Kann das chinesische Modell exportfähig werden? Fischer: Schwellenländer im armen Süden beobachten das natürlich. China hatte 1970 einen Anteil am globalen BIP von 0,8 Prozent, es war also faktisch irrelevant. Heute ist es dabei, die Nummer 1 der Welt zu werden, oder es ist es schon, je nachdem, wie man es berechnet. Innerhalb einer Generation stürmte das Land von null an die Spitze! Das ist eine Ansage, die auch wahrgenommen wird. Den großen chinesischen Handels- und Bezahlplattformen ist Unglaubliches gelungen: Die Armen auf dem Lande wurden zu Konsumenten transformiert, und das geht auch in Indien, in Südamerika, in Afrika. Das ist ein gewaltiger Schritt, etwas, das die westliche Entwicklungshilfe nicht geschafft hat. So werden gewaltige Ressourcen mobilisiert. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir ein Bewusstsein dafür haben, wie die Welt von morgen aussehen wird.

profil: Was folgt daraus für uns? Fischer: Meine Frage ist: Wollen wir diese Entwicklungen erleiden, oder wollen wir versuchen, sie zu gestalten? Wenn wir sie gestalten wollen, können wir das nur als Europäer. Wir werden zwar Deutsche, Österreicher, Ungarn oder Franzosen und so weiter bleiben, aber unsere Nationalstaaten, wie wir sie kennen, werden wirtschaftlich und politisch nicht mehr in der Lage sein, unsere Interessen zu sichern. Unsere Identität wird da bleiben, wo sie ist, aber machtpolitisch, wirtschaftlich und technologisch haben wir nur noch gemeinsam eine Chance oder gar nicht. Punkt.

profil: Wer kann das den Leuten glaubhaft sagen? Fischer: Diejenigen, die gewählt sind.

Die EU kann sich nicht noch einmal zehn Jahre vom Gang der Weltgeschichte verabschieden, wie wir das in den vergangenen zehn Jahren gemacht haben.

profil: Die versuchen es ja immer wieder mal. Fischer: Na ja. Man muss als Politiker von etwas überzeugt sein, um andere überzeugen zu können. Allein die chinesische Initiative One Belt, One Road (ein Infrastrukturnetz zwischen China, anderen asiatischen Ländern, Europa und Teilen Afrikas, genannt "Neue Seidenstraße", Anm.) wird Europa unter Druck setzen. Wir brauchen davor keine Angst zu haben, wenn wir stark, handlungsfähig und geschlossen sind. Sind wir das aber nicht, wird diese Initiative zu Abhängigkeiten führen, die ich uns nicht wünsche.

profil: Wird Europa da mitziehen? Die 27 ohne Großbritannien? Fischer: Moment! Im Prozess des Brexit werden solche Fragen verstärkt ins Zentrum rücken. Nur weil Großbritannien nicht mehr in der EU ist, heißt das nicht, das es nicht zu Europa gehört.

profil: Und Osteuropa? Derzeit hat Bulgarien den Vorsitz, dann das zweifelhafte Österreich .... Fischer: Wieso zweifelhaft?

profil: Europa wird eine von der FPÖ nominierte Außenministerin kennenlernen. Fischer: Die österreichischen Wähler wollten es so. Sie werden ihre Erfahrungen machen und es danach bewerten.

profil: Was passiert mit dem störrischen Osteuropa? Fischer: Ich empfehle Geduld. Es ist offensichtlich, dass da eine Nachholentwicklung am Laufen ist. Wir im Westen haben auch Zeit gebraucht. Aber ich plädiere auch dafür, voranzugehen. Jetzt muss gehandelt werden. Die EU kann sich nicht noch einmal zehn Jahre vom Gang der Weltgeschichte verabschieden, wie wir das in den vergangenen zehn Jahren gemacht haben. Also bin ich für die zweitbeste Lösung, und das ist ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Die Eurozone soll vorangehen.

profil: Was können Sie mit Ex-SPD-Chef Martin Schulz' Forderung nach einer föderalen EU-Verfassung bis 2025 anfangen? Fischer: Ich glaube, es macht keinen Sinn, konkrete Daten zu setzen. Entscheidende Fragen müssen noch diskutiert werden. Was heißt überhaupt Bundesstaat? Es ist ja seltsam: Wir nennen uns "Europäische Union", die USA hingegen nennen sich "Vereinigte Staaten". Dabei sind doch die USA in Wahrheit eine Union und wir maximal Vereinigte Staaten.

profil: Die Worte verraten doch einiges. Sebastian Kurz betont immer die Bedeutung der Subsidiarität - das geht in eine andere Richtung als das Streben nach einem Bundesstaat. Fischer: Das mag ja sein. Bloß, warum funktioniert die Subsidiarität nicht? Ich meine: Solange das Prinzip der Marktintegration das alleinige Integrationsprinzip ist, wird die Subsidiarität nicht greifen. Die funktioniert erst, wenn es eine politische Integration gibt. Insofern sehe ich keinen allzu großen Widerspruch. Im Übrigen, wenn es ein Land gibt, das auf seine nationale Tradition Wert legt, dann ist es Frankreich. Die übertreffen euch Österreicher darin sogar noch.

profil: Ist Staatspräsident Macron die große Hoffnung? Seine Mischung aus Realitätssinn und Erklärungskraft? Fischer: Ja. Er ist eine Riesenchance für Europa. Wenn man diese Dynamik nicht mit allen Kräften unterstützt, dann ist es vorbei. Ich glaube, eine weitere Chance wird Europa nicht bekommen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur