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Menschen des Jahres: Angela Merkel hielt den deutschen Haushalt sauber

Menschen des Jahres 2013. Angela Merkel hielt den deutschen Haushalt sauber

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Am 22. September dieses Jahres, es war ein Sonntag, tanzte Angela Merkel zu dem Lied "An Tagen wie diesen“, vorgetragen von Volker Kauder, dem Generalsekretär der CDU, in einer Krautrock-Version. Wobei "tanzen“ vielleicht ein etwas zu großes Wort ist; eher stieg Merkel von einem Fuß auf den anderen und klatschte im Takt. Das Ausmaß an Ausgelassenheit lag unwesentlich über jenem einer Adventfeier. Der Anlass: Merkel hatte an diesem Tag ihre dritte Bundestagswahl gewonnen, und das mit 41,5 Prozent und fast 16 Prozentpunkten vor der SPD. Aber warum hätte die deutsche Kanzlerin aus sich herausgehen sollen?

Angela Merkel hat viel zu viele gute Gründe, überhaupt nie aus sich herauszugehen. Im Fall des Wahlsiegs der gewichtigste: Wer hätte denn sonst gewinnen sollen? Peer "Stinkefinger“ Steinbrück? Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik war vor einer Wahl so eindeutig festgestanden, dass dieselbe Person im Kanzleramt bleiben würde. Außerdem geht Merkel nicht aus sich heraus, weil es nicht ihrem Naturell entspricht, und dieses wiederum garantiert ihren Sieg. Die Deutschen wollen die besonnene, unaufgeregte, bescheidene, arbeitsame Merkel und nennen sie deshalb liebevoll "Mutti“.

Deutschland mühte sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit heiklen Debatten ab, und es hat seine Sache am Ende nicht schlecht gemacht. Die Schuld des Dritten Reiches lastete auf dem Land und seiner Bevölkerung, und es dauerte Generationen, bis die Deutschen dank untadeligen Verhaltens wieder normal sein durften - stolz auf die Fußballnationalmannschaft zum Beispiel. Jetzt aber wollen sie eine ideologische Verschnaufpause, und die nehmen sie sich.

Niemand bestärkt sie darin so wie die 59-jährige promovierte Physikerin aus dem Osten. Sie erhebt nicht den Anspruch, die Welt und die Menschen zu verbessern. Ihre Vision ist eine andere: Jeder Deutsche, jeder Europäer hat das unverbrüchliche Recht auf einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Das ist unsagbar banal und ebenso unsagbar mühsam zu erreichen. Und damit nervt Merkel überschuldete Griechen, keynesianische Franzosen und überhaupt alle, die sich von Politik mehr erwarten: irgendetwas Großes, Erhabenes.

Doch die Deutschen finden das derzeit mehrheitlich gut (während sich eine Minderheit für den Kleingeist schämt). Sie freuen sich über das demnächst ins Haus stehende Nulldefizit, über Exportüberschüsse und darüber, dass ihre Angie alles so gut im Griff hat. Europas Telefonnummer, nach der Henry Kissinger einst spöttisch fragte, ist heute ohne Zweifel jene von Merkel, schreibt "New York Times“-Kolumnist Roger Cohen. Doch wäre die Eurokrise nicht über Europa und die deutsche Kanzlerin hereingebrochen, welches große Reformprojekt wäre mit dem Namen Angela Merkel untrennbar verbunden? Keines.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur