Nordkoreas Staatschef und Alleinherrscher Kim Jong Un hat sich in den letzten Jahren bei unzähligen Raketentests ablichten lassen. Im vergangenen Herbst etwa, als eine ballistische Rakete neuen Typs mit einem 4,5 Tonnen schweren Sprengkopf gezündet wurde. In einem anderen Video sieht man Kim Jong Un in Zeitlupe mit Lederjacke und Sonnenbrille durch eine Lagerhalle schlendern. Hinter ihm eine neuartige Interkontinentalrakete. Es läuft dramatische Musik. Dann blickt Kim Jong Un auf die Armbanduhr, nimmt die Brille ab und gibt mit einem Kopfnicken den Befehl, die Rakete zu zünden.
Das sind Propagandabilder, die der Westen bisher von dem isolierten, diktatorisch geführten Land zu sehen bekommt. Es sind inszenierte und kalkulierte Machtdemonstrationen, um der Welt und insbesondere dem Erzfeind USA mit modernen Waffen zu drohen. Nordkoreas Nukleartests haben dem Land Sanktionen der Vereinten Nationen eingebracht. Pjöngjang zeigt sich unbeeindruckt und baut sein Atom- und Raketenprogramm weiter aus.
Wirtschaftlich gesehen haben die Sanktionen Nordkorea geschadet. Die Exporte von Kohle, Fisch oder Textilien brachen ein. Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen und Devisen will das Regime jetzt verstärkt Touristen aus Russland anlocken. Vor einigen Jahren machten noch chinesische Gruppenreisen 90 Prozent der Besucher des Landes aus. Durch die Coronapandemie sind die Zahlen eingebrochen.
Machthaber Kim Jong Un bei der Einweihung einer Wasserrutsche.
Jetzt sollen sie wieder steigen. Auch mithilfe der russischen Führung, die Kim Jong Un bei seinen Tourismusplänen unter die Arme greift. Auch aus eigenem Interesse. Denn Moskau ist auf die militärische Unterstützung Nordkoreas im Ukrainekrieg angewiesen.
Die Bilder von Kim Jong Un, die Ende Juni um die Welt gingen, wirkten im Vergleich zu den Raketenvideos geradezu harmlos. Man sieht, wie der Diktator ein rotes Band durchtrennt und eine Art nordkoreanisches Disneyland einweiht – ein gigantisches Ferienresort für 20.000 Gäste. „Eine Welle des Glücks“ werde Nordkorea mit diesem Badeort überschwemmen, kündigte der Machthaber an. Gemeinsam mit seiner Tochter lief Kim Jong Un über den Strand, begutachtete bunte Wasserrutschen und vergewisserte sich ihrer Funktionsfähigkeit. Bei dem Test der Rutschen war – als einer der wenigen ausländischen Gäste – auch der russische Botschafter anwesend. Das ist kein Zufall, denn Nordkorea hofft, mit dem Resort vor allem Gäste aus Russland anzulocken. Es ist der jüngste Höhepunkt einer immer enger werdenden Kooperation der beiden Verbündeten.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gehört Pjöngjang zu den wichtigsten Verbündeten Moskaus.
Nordkorea und Russland: Eine immer engere Beziehung
Nordkorea und Russland teilen sich eine gerade einmal 17 Kilometer lange Landgrenze. Es ist die kürzeste internationale Grenze, die Russland hat. Eine rostige, eingleisige Eisenbahnbrücke aus Sowjetzeiten spannt sich über den Grenzfluss Tumen – nicht die beste Voraussetzung für Massentourismus. Das soll sich jetzt ändern. Im Juni 2024 besuchte Russlands Präsident Wladimir Putin Nordkorea erstmals wieder seit 24 Jahren. Das liegt auch am Krieg in der Ukraine, der den Kreml international weitgehend isoliert hat. Moskau ist auf jeden Verbündeten angewiesen.
Nordkorea liefert seit Jahren Waffen an Russland und schickt seit vergangenem Herbst auch Soldaten in die Ukraine. Als Dank kündigte Putin den Bau einer Autobrücke über den Grenzfluss an, um den Tourismus zu fördern. Knapp 3000 Menschen könnten dadurch pro Tag den Grenzfluss überqueren. Hinter dem Projekt stecken aber auch militärische Interessen. Die Brücke wird zwar Gäste für Kim Jong Uns neues Urlaubsresort anlocken, aber sie wird auch eine Transportroute für Granaten und Raketen sein, die in der Ukraine zum Einsatz kommen. Der ukrainische Geheimdienstchef sagte zuletzt, dass Nordkorea mittlerweile für 40 Prozent der von Russland eingesetzten Munition verantwortlich sei.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gehört Pjöngjang zu den wichtigsten Verbündeten Moskaus. Beide Seiten profitieren von der Kooperation. Russland gewährt dem von Sanktionen angeschlagenen Nordkorea wirtschaftliche Unterstützung sowie Technologie
für sein Atomprogramm. Nordkorea stellt dafür Soldaten für Russlands Krieg in der Ukraine. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Mit 1,2 Millionen Soldaten hat Nordkorea eine der größten Armeen der Welt. Wie viele davon Kim Jong Un in die Ukraine geschickt hat, ist unklar. Schätzungen gehen von bereits 15.000 Soldaten aus. Der Großteil von ihnen kam nach Kursk, jener umkämpften russischen Grenzregion, die ukrainische Streitkräfte im Sommer 2024 überraschend eroberten. Kiew wollte das in Russland liegende Gebiet als Druckmittel bei Verhandlungen nutzen, um im Gegenzug von Russland eroberte Gebiete im Donezbecken (Donbass) freizupressen. Mittlerweile haben in Kursk wieder die Russen die Oberhand gewonnen. Moskau brüstet sich damit, den Oblast mithilfe der Truppen aus Nordkorea „komplett befreit“ zu haben. Putin dankte dem Partner mit den Worten: „Wir werden die koreanischen Helden nie vergessen, die ihr Leben für Russland und unsere Freiheit gegeben haben, auf Augenhöhe mit ihren russischen Brüdern.“
Damit hat Putin reichlich übertrieben. Vielmehr häufen sich die Berichte, dass nordkoreanische Infanteristen an der Front als „Kanonenfutter“ eingesetzt werden und hohe Verluste verzeichnen. Die „New York Times“ zitiert etwa einen ukrainischen Kommandanten mit den Worten: „Es wirkt so, als wüssten sie, dass sie zum Sterben hierhergekommen sind.“
Nordkorea schickt nicht nur Soldaten, sondern auch Arbeitskräfte, die in der Ukraine Straßen errichten, das Stromnetz reparieren und beschädigte Gebäude wieder aufbauen. Im Gegenzug liefert Russland Drohnen, Satellitentechnologie sowie Flugabwehrraketen nach Nordkorea. Moskau hat außerdem geholfen, ein 5000 Tonnen schweres Kriegsschiff auszustatten, das im Mai eingeweiht worden war. Das Schiff soll unter anderem für den Transport von Atomraketen ausgelegt sein.
Abseits des Atomprogramms greift Russland Nordkorea jetzt auch dabei unter die Arme, seine Tourismusindustrie in Gang zu setzen. Ende Juli sollen zum ersten Mal wieder Direktflüge zwischen Moskau und Pjöngjang starten. Parallel dazu vertiefen die beiden Regime ihre militärische Kooperation. Anfang Juli reiste der russische Außenminister Lawrow an Nordkoreas Küste, um sich den anhaltenden Beistand Pjöngjangs im Ukrainekrieg zu sichern. Eine Entsendung Tausender weiterer nordkoreanischer Soldaten steht im Raum.
Lawrow besuchte auch den Hotelkomplex an der Küste, den Kim Jong Un wenige Woche zuvor feierlich eröffnet hatte. Dort, so der nordkoreanische Diktator, könne sich der russische Außenminister „ein wenig erholen“. Das galt übrigens nicht für die Menschen, die den Badekurort errichten mussten. Zwangsarbeit, 24-Stunden-Schichten und auch Todesfälle sollen bei der Errichtung dieses gigantischen Resorts an der Tagesordnung gewesen sein. Noch steht der gewaltige Hotelkomplex weitgehend leer – über 40 Hotels, Campingplätze, eine künstliche Lagune und, nicht zu vergessen, der von Kim Jong Un persönlich eingeweihte Wasserpark. Anstatt eines Massenansturms gab es eine sehr überschaubare erste Reisegruppe von gerade einmal zwölf Russinnen und Russen. Für weitere Gäste ist die Anlage vorübergehend geschlossen. Unklar ist, wie lange noch. Gut möglich, dass Nordkorea langfristig deutlich mehr Soldaten in den Ukrainekrieg entsandt haben wird als Russland Touristen in die Hotelanlage.