Operation Allied Force: Wir und der Krieg

Die „Operation Allied Force“ spaltete die internationale Politik – und die profil-Redaktion.

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Krieg oder Frieden war im März des Jahres 1999 keine theoretische Frage, sondern eine reale, brennende, und der Streit darüber wurde auch im profil ausgetragen – in der Berichterstattung und auch innerhalb der Redaktion. Sollte die NATO ihre Drohung wahr machen und eine militärische Operation gegen die damals von dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Slobodan Milošević regierte Bundesrepublik Jugoslawien beginnen?

Der Schauplatz lag in Österreichs mittelbarer Nachbarschaft, das Fehlen eines UN-Mandats machte eine militärische Intervention potenziell völkerrechtswidrig, und zudem gehörte ein prinzipielles Nein zum Krieg für viele von uns zur politischen Prägung. Die Emotionen gingen hoch.

Weil dieses Magazin ein pluralistisches ist, tauschten Befürworter und Gegner ihre Argumente in Redaktionskonferenzen aus und wiederholten sie auch mal lautstark bei Debatten in den Gängen. Das Magazin bildete den Streit ab.

„Warum der Krieg des Westens gegen Slobodan Milošević gerechtfertigt ist“, schrieb wenige Tage nach Beginn der Luftschläge der damalige Leiter des profil-Auslandsressorts Georg Hoffmann-Ostenhof, und er lieferte die grundlegende Rechtfertigung für einen Krieg: „Was Milošević begonnen hat und zu Ende führen will, ist ein Genozid.“ Der Krieg sollte die Menschenrechte der albanischen Bevölkerung im Kosovo schützen. Diese Begründung, die US-Präsident Bill Clinton für die „Operation Allied Force“ angeführt hatte, klinge „glaubwürdiger und plausibler als alle Verdächtigungen der moralisierenden Kriegsgegner“, so der in der 68er- Bewegung sozialisierte Hoffmann-Ostenhof.

Auf der Gegenseite zitierte der damalige profil-Chefredakteur Christian Seiler in seinem „Nachruf auf den europäischen Pazifismus“ große Namen der Anti-Kriegs-Bewegung – Sigmund Freud, Albert Einstein, Stefan Zweig, Thomas Mann – und fragte, was an den Bestrebungen, den Krieg aus dem internationalen Leben auszuschalten, falsch sein solle. „Es funktioniert nicht, sagen die Pragmatiker lächelnd und zeihen die Pazifisten der Naivität“, gab Seiler selbst nicht ohne Bitterkeit die Antwort.

Als am 14. April die NATO versehentlich einen Treck albanischer Flüchtlinge bombardierte und dabei 73 Zivilisten tötete, wurden die Debatten auf den Gängen der Redaktion heftiger, die Überzeugung auf beiden Seiten ließ nicht nach.

profil-Balkan-Korrespondent Gregor Mayer und Reporterin Sibylle Hamann (heute Nationalratsabgeordnete der Grünen) versuchten Woche für Woche im Propaganda-Nebel Fakten aufzuspüren. „Angeblich“ betitelte Hamann einen Text über die quälend unsichere Nachrichtenlage. Es gab Berichte über ein angebliches Massaker in dem westkosovarischen Dorf Velika Kruša, verübt von serbischen Spezialeinheiten am 25. März, einen Tag nach Kriegsbeginn. Hamann schrieb: „Es wird sich, am Ende des Tages, dabei herausstellen, daß Milošević nicht Hitler war und das Massaker von Velika Kruša nicht der Holocaust. Aber Milošević und Velika Kruša sind, hier und jetzt, zum Handeln Grund genug.“

Das Massaker von Velika Kruša, bei dem, wie sich später herausstellte, mehr als 100 Männer und Buben getötet worden waren, war später einer der Anklagepunkte gegen Slobodan Milošević vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Der Krieg der NATO endete trotz aller Unkenrufe mit der Kapitulation der jugoslawischen Bundesarmee. „Der Frieden ist ausgebrochen. Das wird aber ein harter Weg“, schrieb profil. Doch der Streit um die Sinnhaftigkeit des Krieges war nicht zu Ende. Die Kriegsgegner argumentierten, Milošević sei nach wie vor fest im Sattel, und der Tabubruch eines Krieges ohne UN-Mandat habe einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen. Kriegsbefürworter Hoffmann-Ostenhof interviewte den Kriegsgegner Heinz Fischer (damals Nationalratspräsident, SPÖ). Der beharrte: „Bomben schaffen mindestens so viele neue Probleme, wie sie alte lösen.“

In einigen Punkten behielten die Kriegsbefürworter jedenfalls recht: Slobodan Milošević wurde gestürzt und landete vor dem Tribunal in Den Haag. Er starb 2006 in Haft, ehe ein Urteil gesprochen wurde. Die Provinz Kosovo wurde unter großen Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft erst als Protektorat geführt und dann zu einem – nicht von allen anerkannten – Staat entwickelt. Zu einem militärischen Flächenbrand am Balkan kam es nicht.

Kriegsgegner Seiler wiederum sagte düster vorher, dass man nun wohl verpflichtet sein müsse, gegen Hitlers angebliche „Wiedergänger“ (Zitat H. M. Enzensberger) „mit allen Mitteln in die Schlacht zu ziehen“ – und nannte den irakischen Diktator Saddam Hussein, gegen den vier Jahre später die USA und Großbritannien tatsächlich an der Spitze einer „Koalition der Willigen“ den Irakkrieg begannen. Der profil-Chefredakteur trauerte dem Pazifismus nach: „Die Tatsache aber, dass der Entwurf einer in letzter Konsequenz gewaltfreien Politik als gescheitert angesehen werden muss, hinterlässt nichts als realistische, abgeklärte Hoffnungslosigkeit.“

Doch auch dieser Schluss fand in der Redaktion – wie zu erwarten – keinen Konsens.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur