Robert Treichler: Unsere kleine Wallonie

Bald wird die EU Bekanntschaft mit Norbert Hofer oder Alexander Van der Bellen machen.

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Das Thema im Unterrichtsfach Geografie und Landeskunde in den Staatskanzleien der Europäischen Union und in Kanada war vergangene Woche „Die Wallonie unter besonderer Berücksichtigung des belgischen Föderalismus und des bislang unbekannten Parlaments in Naumur“. Die Politikspitze und auch die Öffentlichkeit haben brav gebüffelt, kennen jetzt den sozialistischen Regional-Ministerpräsidenten Paul Magnette und wähnen sich in der Lage, den Text der wallonischen Hymne einem Reality-Check zu unterziehen. Ein Auszug: „Wir sind stolz auf unsere Wallonie / Die ganze Welt bewundert ihre Kinder.“ Na ja, fast.

Ende der Woche sah es so aus, als könne man das Kapitel über belgische Regionen abhaken. Die Wallonie und mit ihr das EU-Mitglied Belgien werden dem kanadisch-europäischen Abkommen CETA zustimmen. Au revoir, Naumur!

Doch mit ein wenig Pech (oder Glück, das hängt vom ideologischen Standpunkt ab) werden die EU und Kanada auch in Österreich auf eine Art Wallonie stoßen. Sie erstreckt sich flächenmäßig über eine Immobilie namens Hofburg. Dort wird bald ein CETA-Gegner residieren. Welcher es sein wird, entscheidet die Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember.

Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen liefern einander derzeit einen erbitterten Wettkampf, wer den CETA-Vertrag noch weniger unterschreibt als der jeweils andere. Es sieht nach einem Fotofinish aus: Hofer (FPÖ) schwört, er werde als Bundespräsident den völkerrechtlichen Vertrag nicht absegnen, sondern eine Volksabstimmung darüber abhalten lassen. Van der Bellen wiederum erklärte via Facebook: „Wäre ich jetzt bereits Bundespräsident und wäre CETA heute auf meinem Schreibtisch, würde ich das Abkommen nicht unterzeichnen.“

Wessen Nein nun verlässlicher nach Nein klingt, mögen die Wähler entscheiden. Wäre ich CETA-Gegner (was ich nicht bin), würde ich mich jedenfalls geschmeichelt fühlen, wie viel Aufhebens die beiden Kandidaten für die Stichwahl am 4. Dezember machen, um meine Stimme zu kriegen.

Vergessen wir für einen Moment den Inhalt des Abkommens und betrachten wir dessen Zustandekommen. Alle EU-Regierungen haben die EU-Kommission beauftragt, gemäß einem schriftlich ausgefertigten Mandat einen Vertrag mit Kanada auszuverhandeln. Das nach mehreren Jahren fertiggestellte Abkommen wird vom EU-Rat beschlossen, danach wird das Europäische Parlament den Vertrag zur Abstimmung bringen. Schließlich werden die einzelnen nationalen Parlamente damit befasst. Und erst ganz am Ende, wenn Rat, Europäisches Parlament und das österreichische Parlament zugestimmt haben, landet das Dokument auf dem Schreibtisch des österreichischen Bundespräsidenten. Und dieser – egal ob er Hofer oder Van der Bellen heißt – wird seine Unterschrift verweigern.

So etwas war bisher undenkbar. Wie ist es dazu gekommen?

Die Grünen, die Linke und der Front National solidarisierten sich mit den Wallonen.

Wir erleben in der gesamten westlichen Welt das Erstarken einer Anti-Establishment-Bewegung, die ideologisch zweigeteilt ist. Sie richtet sich vor allem gegen das herrschende globale Wirtschaftssystem, gegen die Globalisierung und insgesamt gegen universelle Regeln, die nationalen Protektionismus unterbinden – und gegen die Politik, die dieses System errichtet hat.

Der von rechts kommende Teil der Anti-Establishment-Bewegung wütet gegen das Ausland, das „unseren“ Betrieben und Arbeitern unfaire Konkurrenz macht. Der von links kommende Teil der Anti-Establishment-Bewegung wütet gegen die Konzerne, die sich die Globalisierung zunutze machen, indem sie Standorte mit billigen Arbeitskräften und niedrigen Steuern bevorzugen.

Die einen hoffen, dass Donald Trump, Marine Le Pen oder Heinz-Christian Strache die Maxime „Unsere Leute zuerst“ verwirklichen werden. Die anderen setzen auf Podemos, Bernie Sanders oder Yanis Varoufakis, um den globalen Kapitalismus in die Schranken zu weisen. Im Falle von CETA solidarisierten sich vergangene Woche die Grünen, die Linke und der Front National mit dem Widerstand der Wallonen.

Doch alle müssen feststellen, dass das System verdammt hartnäckig ist und die staatstragenden Parteien nicht umsonst so genannt werden. Vermeintlich unbeirrbare Kritiker von Freihandelsabkommen wie SPÖ-Kanzler Christian Kern geraten wenige Tage vor der entscheidenden Abstimmung vorhersehbar ins Grübeln und mutieren am Ende zu CETA-Unterzeichnern.

Und Österreichs Wallonie? Würde Van der Bellen ähnlich wie Kanzler Kern am Ende den Vertrag doch unterzeichnen? Möglich. Indem er jedoch jetzt ankündigt, er würde die Unterschrift verweigern, verschafft er Norbert Hofer die Legitimation, im Falle eines Wahlsieges von der Hofburg aus Anti-Establishment-Politik gegen das System – repräsentiert durch das Parlament – zu machen.

Van der Bellen hat es in der Hand. Er sollte seinen Facebook-Eintrag korrigieren und klarstellen, dass ein österreichischer Bundespräsident nicht dazu da ist, um eine Entscheidung des Europäischen und des österreichischen Parlaments auszuhebeln.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur