Robert Treichler: Wir Leberwürste

Ein Appell zur Rehabilitierung der komischen Beleidigung im öffentlichen Leben.

Drucken

Schriftgröße

Prinz Philip, Duke of Edinburgh, hat nie gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen, er lebt seit Jahrzehnten von den Alimenten des Königreiches seiner Gattin.

Der vorangegangene Satz ist taktlos, beleidigend und unpassend – und eine von aufrichtiger Anerkennung vorgetragene Würdigung des größten Talents, das der britische Prinzgemahl Königin Elisabeths II. in seinem Leben bewiesen hat. Der 95-Jährige, der in der vergangenen Woche verlautbaren ließ, dass er sich von öffentlichen Auftritten zurückziehen werde, gilt zu Recht als wahrer Meister in den Disziplinen der Taktlosigkeit, der Beleidigung und der unpassenden Bemerkung. „Werft ihr immer noch Speere?“, fragte er 2002 australische Aborigines. „Kein Wunder, dass ihr taub seid!“, sagte er 1999 zu einer Gruppe junger Gehörloser, die neben einer Steeldrum-Band stand. „Wie schaffen Sie es, die Eingeborenen lange genug vom Alkohol abzuhalten, damit sie die Prüfung bestehen?“, erkundigte er sich bei einem schottischen Fahrlehrer. Die Liste lässt sich schier endlos fortsetzen.

„Ausrutscher“ und „Fauxpas“ nennt man Prinz Philips Bemerkungen entschuldigend. In Wahrheit handelt es sich um die geniale Beherrschung einer schrecklich unterschätzten Fertigkeit: der komische Insult – die absichtliche, oberflächlich bösartige Beleidigung, die zum Lachen gedacht ist und sich optional zur Empörung eignet.

Prinz Philips bevorstehendes Abtreten ist nicht der einzige Verlust. Im April starb Don Rickles, der unangefochtene Champion der Beleidigung seiner Zuhörer. Bei seinen Live-Auftritten war niemand vor ihm sicher. Er verspottete Leute im Publikum wegen ihres Aussehens („Ist das Ihre Frau? Kopf hoch!“) oder wegen ihrer Herkunft – Italiener, Asiaten, und bevorzugt Juden, wohl, weil er selbst einer war. Dem Schauspieler Peter Falk, der ein Glasauge hatte, rief er zu: „Sieh doch endlich mal her!“ Als Rickles einmal erfuhr, dass unter seinen Zusehern Deutsche waren, sagte er: „40 Millionen Juden leben in diesem Land, und ich habe vier Nazis vor mir sitzen, die darauf warten, dass es losgeht.“

Das Traurige ist, dass die Artistik der vorsätzlichen Beleidigung als Kunstfehler angesehen wird, anstatt als Kunstform. Wenig überraschend haben komische Insulte zurzeit keine Konjunktur. Stattdessen werden Begriffe erfunden, die Beleidigungen in Kategorien gliedern, damit man sie besser ächten und das Wohlverhalten der Leute konsequenter einfordern kann. „Fat-Shaming“ bezeichnet etwa die Beleidigung von Dicken, „Ageism“ die von Alten, und es steht zu vermuten, dass auch der Speerwurf der Aborigines aufgrund einer ähnlichen Wortschöpfung vor despektierlichen Bemerkungen geschützt ist. All das sei ähnlich schlimm wie Rassismus.

Das Lachen gefriert, die Empörung kocht über. Die Befriedigung über eine geglückte Beleidigung und die Transzendierung eines Konflikts durch die Komik geht verloren.

Es wäre paradox, festzulegen, welche Übertretung des Anstands zulässig ist – weil der Witz grundsätzlich eine Übertretung beinhalten muss.

Aus Angst, ein Witz könne zum Verhängnis werden, sterben die Pointen aus. Peer Steinbrück, ehemaliger deutscher Außenminister, wagte es. Er schimpfte 2009 über das Bankgeheimnis und zählte sarkastisch auf, welche Problemfälle er zu einer Konferenz darüber einladen wolle: „Luxemburg, Liechtenstein, Schweiz, Österreich, Ouagadougou …“ Österreich war beleidigt, Burkina Faso (dessen Hauptstadt Ouagadougou ist) nicht minder.

Für Großbritanniens Premier Winston Churchill waren Beleidigungen fixer Bestandteil seines Arbeitstages. Über seinen Koalitionspartner Clement Attlee sagte er: „Er ist ein bescheidener Mann. Und er hat viele Gründe, bescheiden zu sein.“ Mittlerweile wird einem Politiker schon eine dahingesagte Denkfigur fast zum Verhängnis. Als Bundespräsident Alexander Van der Bellen (gänzlich pointenlos) sinnierte, Frauen sollten vielleicht eines Tages aus Solidarität mit Musliminnen ein Kopftuch tragen, schwappte die Aufregung über den missverständlichen Satz bis in die „Washington Post“.

Es wäre paradox, festzulegen, welche Übertretung des Anstands zulässig ist – weil der Witz grundsätzlich eine Übertretung beinhalten muss. Ganz bestimmt liegt es an der Person, die sich die Beleidigung erdreistet. Prinz Philip, der schrullige alte Mann aus dem royalen Paralleluniversum, kann ziellose Taktlosigkeiten ausstoßen. Es hat viel mehr mit seiner eigenen Persönlichkeit zu tun als mit der Person, die scheinbar betroffen ist. Don Rickles wiederum wurde vom US-Magazin „New Yorker“ treffend als „schnappende Schildkröte, die aus einem Teich auftaucht“ beschrieben. Wen er zu fassen bekam, der wurde beleidigt, aber der Vorgang war fraglos dem Instinkt der Schildkröte geschuldet.

Die Betroffenen, die Zuseher und die Öffentlichkeit spüren, wenn eine komische Beleidigung „wahrhaft künstlerisch“ ist (Martin Scorsese über Rickles), schnoddrig-verzeihlich wie etwa Steinbrücks Ouagadougou-Spitze oder aber nicht mehr als eine bösartige Gemeinheit. Donald Trump etwa hat sich zu oft vergriffen, um die Unschuld des witzigen Beleidigers in Anspruch nehmen zu können.

Bloß fällt das Urteil viel zu oft zu Ungunsten des Beleidigers aus. Lasst Prinz Philip in Ruhe. Er liegt in der Thronfolge des Vereinigten Königreiches auf Platz 679, und ich würde mein Geld eher auf Nummer 680 setzen als auf ihn.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur