Die Tage danach

Ukraine-Konflikt: Die Tage danach

Ukraine. Die Präsidentschaftswahlen könnten das Ende der Ukraine in ­ihrer bisherigen Form besiegeln

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„Die ukrainischen Präsidentschaftswahlen werden am 25. Mai stattfinden“, sagt ein in der Ost-Ukraine stationierter westlicher Beobachter im Gespräch mit profil – Nachsatz: „Nur wo genau, kann noch niemand sagen.“ Der Kleinkrieg, den pro-russische Separatisten im Osten des Landes führen, dient unter anderem dem Ziel, die Wahl zu verhindern, die einen pro-westlichen Präsidenten der Ukraine hervorbringen könnte, der auf volle Legitimität pochen kann. Vergangene Woche musste Übergangspräsident Oleksandr Turtschinow eingestehen, dass sich der Osten nicht länger von Kiew regieren lässt. Die Regierung versuchte mittels einer Militäroperation, die pro-russischen Separatisten aus Slawjansk, einer 120.000- Einwohner-Stadt, zu vertreiben.

So wird die geplante Wahl im Westen des Landes wohl durchgeführt werden. Im Osten ist die Lage hingegen kompliziert: In Orten wie Slawjansk erscheint ein Urnengang aus heutiger Sicht unmöglich. Überall, wo öffentliche Gebäude in der Hand der Separatisten sind, gilt Ähnliches. Selbst in Donetsk, mit über einer Million Einwohnern die fünftgrößte Stadt der Ukraine und Sitz der Verwaltungsbehörde der Region Donbass, hat Kiew die Kontrolle verloren. Was bedeutet das für die Wahlen? „Mal sehen“, sagt der westliche Beobachter.

Ein echter Wahlkampf findet im Osten des Landes ohnehin nicht statt, lediglich die ostukrainischen Kandidaten werden hier plakatiert, pro-westliche wie Julia Timoschenko oder Pedro Poroschenko tauchen nicht auf. Timoschenko war vor ein paar Wochen kurz zu Besuch, hielt jedoch nur eine Pressekonferenz am Flughafen ab und kehrte sogleich nach Kiew zurück. „Aus Termingründen“, hieß es.

Die offiziellen, vom Parlament in Kiew angesetzten Präsidentschaftswahlen sind nicht die einzige Abstimmung, zu der das Volk gerufen wird. Zusammen mit dem zweiten Wahlgang am 15. Juni könnte auch ein Referendum über eine Dezentralisierung der ukrainischen Regionen stattfinden, sagte vergangene Woche eine stellvertretende Ministerin der Zentralregierung. Die Separatisten, denen man damit den Wind aus den Segeln nehmen möchte, haben jedoch längst eigene Pläne: Sie wollen am 11. Mai eine Abstimmung über eine Abspaltung des Ostens von Kiew abhalten, der zu einer „Volksrepublik“ erklärt werden soll.

Am Ende könnten die offiziellen Wahlen einen Präsidenten hervorbringen, der Mühe haben wird, seine Legitimität zu behaupten. Der russische Außenminister Sergej Lawrow ließ bereits wissen, dass die Anerkennung der Wahlen durch Moskau von mehreren Faktoren abhänge, darunter von der Frage, ob die „Interessen der Regionen beachtet“ würden. Das Referendum der Separatisten wiederum wird wohl an erheblichen logistischen Mängeln leiden – von den rechtlichen ganz zu schweigen. Das Ergebnis beider Volksentscheide wäre wohl ein dokumentierter Zerfall des Landes in zwei Teile und das Ende der Ukraine in ihrer bisherigen Form.
Es könnte noch viel schlimmer kommen. Dmitri Suslov, stellvertretender Direktor der Forschungsabteilung des Russischen Rates für Auslands- und Verteidigungspolitik, prognostiziert für die Tage nach dem 25. Mai die erhöhte Gefahr eines Bürgerkriegs.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur