Nikola Gruevski
Ungarn

Warum Orbáns liebster Flüchtling zittert

Vor drei Jahren hat Viktor Orbán einem rechtskräftig verurteilten Politiker zur Flucht verholfen und im Schnelldurchlauf Asyl gewährt. Was passiert mit ihm, wenn die Opposition an die Macht kommt?

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Dass der ungarische Ministerpräsident keine Flüchtlinge in seinem Land haben möchte, ist bekannt. 2015 hat er einen Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Serbien bauen lassen. Die Chancen auf Asyl in Ungarn sind äußerst gering.

Einen Flüchtling gibt es jedoch, den Orbán mit offenen Armen empfangen hat und der in weniger als zehn Tagen Asyl bekam. Es handelt sich dabei um keinen gewöhnlichen Asylwerber: Er heißt Nikola Gruevski und war Regierungschef von Nordmazedonien, ehe er 2018 wegen Amtsmissbrauchs und Korruption rechtskräftig zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Zehn Jahre lang, zwischen 2006 und 2016, regierte der rechtskonservative Politiker über ein Land, das früher ein Teil Jugoslawiens war und heute der Europäischen Union beitreten möchte.

Es gibt einen Grund, warum Gruevski nie ins Gefängnis musste. Viktor Orbán, mit dem ihn angeblich eine Freundschaft verbindet, hat ihm rechtzeitig aus der Patsche geholfen. Mittlerweile spricht niemand mehr über die Affäre, die sich vor genau drei Jahren, im November 2018, abgespielt hat. Sie gleicht einem spektakulären Krimi, und wäre sie eine Netflix-Serie, dann würde der Trailer so lauten:

Um einer Haftstrafe zu entgehen, flieht ein wegen Korruption verurteilter Politiker über die Balkanroute nach Ungarn. Die Behörden in seinem Heimatland haben seinen Pass eingezogen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als illegal nach Ungarn einzureisen.

Ist das nicht das Szenario, vor dem Orbán seit Jahren gewarnt hat? Alleinstehende Männer ohne Papiere, die angeben, politisch verfolgt zu werden, in Wahrheit aber in ihren Herkunftsländern etwas ausgefressen haben? Hat Orbán zur Abwehr solcher Menschen nicht einen Zaun gebaut?

Asyl in weniger als 10 Tagen

Für gute Freunde gibt es offenbar Schlupflöcher. Das investigative Rechercheportal "Balkan Insight" deckte damals auf, dass ungarische Diplomaten Gruevski bei der Flucht geholfen haben.

Der auf Gruevski folgende sozialdemokratische Ministerpräsident Zoran Zaev kritisierte Ungarn lautstark. Es sei wenig vorbildhaft, wenn EU-Mitgliedsländer Kriminellen Schutz bieten, meinte er.

Heute lebt Gruevski als politischer Flüchtling in Ungarn. Er ist einer von nur 68 Personen, denen dieser Status 2018 zuteilwurde. Für gewöhnlich dauert es 60 Tage, bis ein Asylantrag in Ungarn geprüft ist. Gruevski bekam die Zusage nach weniger als zehn Tagen.

Alles wunderbar für ihn also? Nicht ganz. Denn jetzt könnte es für den 51-Jährigen langsam eng werden. Der Grund dafür ist Péter Márki-Zay, Spitzenkandidat der Opposition für die Wahl im April 2022. Er gilt als der Mann, der Viktor Orbán nach zwölf Jahren Amtszeit vom Sockel stoßen könnte. Für Gruevski sind das schlechte Nachrichten. Auf Facebook kündigte Márki-Zay zuletzt an, Gruevski nach Nordmazedonien ausliefern zu wollen. Dahinter steckt viel Wahlkampfrhetorik.

Die Opposition könnte Gruevski im Falle eines Wahlsiegs nicht einfach so außer Landes schaffen. Der Ex-Premier hätte selbstverständlich das Recht, vor ein Gericht zu ziehen. Unangenehm könnte es für ihn dennoch werden. Über einen Ausweg spekulieren ungarische Medien bereits: eine Flucht nach Russland oder die Türkei.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.