Interview

Wahlen in Russland: Kampf ohne Gegner

Im März finden in Russland Parlamentswahlen statt. Im Gespräch mit profil erklärt Marina Litwinenko, die Witwe des 2006 ermordeten Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko, was es für einen echten Wandel in ihrer Heimat bräuchte.

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Überraschung war es keine, als Wladimir Putin Anfang Dezember ankündigte, noch einmal bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Dass er die Wahlen auch diesmal gewinnt, ist so gut wie ausgemacht. Seine erste Amtszeit als Präsident trat Putin im Jahr 2000 an, zwischendurch war er vier Jahre lang Premier, um sich dann 2012 und 2018 erneut zum Präsidenten wählen zu lassen. Dank einer Verfassungsreform kann er das theoretisch bis 2036 bleiben. Sollte Putin eine weitere Amtszeit durchlaufen, wird er Josef Stalin (Amtszeit: 1927–1953) überholen und der längstdienende Staatschef Russlands seit Zarin Katharina der Großen (1762–1796) sein.

Die Verkündung Putins war zwar der Startschuss für den Wahlkampf, echter Kampf wird es aber keiner, denn dazu fehlen aussichtsreiche Gegenkandidaten. Oppositionsführer Alexei Nawalny verbüßt eine 30-jährige Haftstrafe in einer Strafkolonie, von dort aus hat er mit seinem Team die Aktion „Russland ohne Putin“ gestartet. Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, für einen beliebigen anderen Kandidaten zu stimmen, um eine weitere Amtszeit Putins zu verhindern.

Damit ist innerhalb der russischen Opposition ein alter Streit neu entbrannt: Soll man versuchen, Putin durch Teilnahme an den Wahlen zu stürzen – oder ist es besser, diese zu boykottieren?

Galina Timchenko vom russischen Exilmedium „Meduza“ hat die Hoffnung nicht verloren und schließt sich Nawalnys Aufruf an. „Wir sollten es Putin und seinem Regime nicht leichter machen, die Wahlen zu manipulieren“, sagt sie, „wir müssen wählen gehen – für einen Kandidaten, der gegen Putin antritt.“ Timchenko war Mitte Dezember auf Einladung des Kreisky Forums zusammen mit anderen russischen und belarussischen Menschenrechtsaktivistinnen in Wien, darunter Schanna Nemzowa, Tochter des ermordeten Politikers Boris Nemzow und Gründerin der „Boris Nemzow Stiftung für die Freiheit“, und Marina Litwinenko, Witwe des ermordeten Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko. Nemzow wird die Wahlen boykottieren: „Sie sind nur dazu da, Putin zu legitimieren. Bei diesem schmutzigen Spiel will ich nicht mitmachen.“ Marina Litwinenko äußert sich im Gespräch mit profil ähnlich.

Einige Kritiker Putins, darunter das Team um Alexei Nawalny und Medienmacherin Galina Timchenko, haben die Hoffnung nicht aufgegeben, Putin bei den Wahlen zu schwächen. Wie stehen Sie dazu?
Litwinenko
Die Zivilgesellschaft in Russland ist schwach. Ich verstehe Galinas Argument, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie recht hat. Rund 80 Prozent der Russen unterstützen Putin. Sie werden von den Medien in Russland vergiftet. Sie denken, dass russische Soldaten in der Ukraine gegen die NATO kämpfen, für die Sicherheit ihres Landes. Wie fair können Wahlen bei dieser Propaganda sein? So kann es keinen Wandel geben.
Wenn Sie noch in Russland leben würden, würden Sie nicht wählen gehen?
Litwinenko
Nein, würde ich nicht. Die Wahlen sind entschieden, bevor sie stattgefunden haben.
Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.