Analyse

Warum die Wahlen in Serbien nicht fair waren

In Serbien hat Präsident Aleksandar Vučić die Wahlen gewonnen. Ein erwartbares Ergebnis, in einem immer unfreieren Land

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Die wichtigsten Fakten auf einen Blick

  • Superwahltag in Serbien: Gestern Sonntag fanden vorgezogene Präsidentschaftswahlen, Parlamentswahlen und Kommunalwahlen statt.
  • Gewinner ist nach ersten Prognosen der amtierende Präsident Aleksandar Vučić und dessen Serbische Fortschrittspartei (SNS).
  • Nach Berechnungen der Wahlforschungsinstitute kam Vučić auf über 59 Prozent der Stimmen und die SNS auf rund 43 Prozent.
  • Mehrere Oppositionspolitiker berichteten über Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe, darunter Einschüchterungsversuche und Druck auf Wähler. 
  • Die offiziellen Zahlen sind noch ausständig. Die staatliche Wahlkommission will erst am Montagabend um 20:00 eine Pressekonferenz abhalten.
  • Nur in Belgrad, der Hochburg der Opposition, könnte das Rennen knapp werden.

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Aleksandar Vučić kann nicht warten. Eigentlich wäre es die Aufgabe der staatlichen Wahlkommission gewesen, das Ergebnis zu verkünden. Doch dann, am späten Abend, ruft sich Serbiens Präsident kurzerhand selbst zum Wahlsieger aus. „Warum die Herrschaften [Anm. der Wahlkommission] um elf Uhr abends nicht arbeiten wollen aber wir schon - das ist eine andere Frage“, sagt er im Kreise seiner Anhängerinnen und Anhänger.

Überraschend ist der Wahlsieg Vučićs nicht. Niemand hat ernsthaft daran gezweifelt, dass seine seit zehn Jahren regierende Serbische Fortschrittspartei die Macht behält. Dafür sitzt der 52-Jährige zu fest im Sattel. Die Organisation Freedom House bezeichnet Serbien nur noch als "teilweise frei". Die NGO Reporter ohne Grenzen warnt seit Jahren vom Abbau der Medienfreiheit.

In Serbien lässt sich ein ähnliches Phänomen wie in Ungarn beobachten. Im Englischen spricht man von „competitive authoritarianism“. Damit ist ein System gemeint, in dem eine Opposition zwar existiert aber in dem der Wettbewerb nicht fair gestaltet ist. Vučić hat die Medien in seinem Land gekapert. Untersuchungen der Wahlbeobachtungsorganisation CRTA  zufolge hat sich die Berichterstattung im Vorfeld der Wahl zu 85 Prozent um ihn beziehungsweise die Sozialisten, den Juniorpartner, gedreht. Die Opposition erkämpfte sich nur 15 Prozent der Sendezeit.

„Diese Wahlen waren mit Sicherheit nicht fair“, sagt Srdjan Cvijić von der „Europe Policy Advisory Group“ (BiEPAG), der gestern Abend bis spät in die Nacht als Wahlbeobachter im Einsatz war. Cvijić spricht von einer Informationsblockade. „Seit Jahren“, kritisiert er, „haben die Oppositionsparteien keinen Zugang zu den reichweitenstarken Fernsehsendern.“ Auch andere Methoden kämen zum Einsatz. So etwa das Registrieren von Phantomwählern und das Mobilisieren von Menschen, die im öffentlichen Sektor arbeiten. „Manche von ihnen müssen Fotos vom Wahlzettel und ihren Ausweisen machen“, erzählt Cvijić. Vučić beschreite einem ähnlichen Weg wie Viktor Orbán in Ungarn.  

Demokratie in Serbien bedeutet, dass rein theoretisch alle Politiker und Politikerinnen in den Ring steigen dürfen, aber das gleißende Scheinwerferlicht ständig nur auf den amtierenden Präsidenten gerichtet ist. Der Privatsender „Pink“ hat seine Sendungen im letzten Jahr über 350-mal unterbrochen, um Vučić-Reden auszustrahlen. Zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler, insbesondere jene, die abseits der Ballungszentren leben, informieren sich über das regierungsnahe Fernsehen. Ihnen wird der Eindruck vermittelt, dass Vučić unaufhörlich und rund um die Uhr arbeite. Ständig sieht man ihn dabei, wie er eine Fabrik eröffnet oder den Bau der Infrastruktur vorantreibt. Das Boulevardblatt „Srpski Telegraf“ hat dazu wenige Tage vor der Wahl ein Cover gestaltet. Man sieht Vučić als eine Art Action-Figur dargestellt.

Darunter steht das Wort: Maschine. Über die Opposition wird überwiegend negativ berichtet und nicht nur über sie sie. Seit Vučićs Regierungszeit ist auch der Euroskeptizismus gewachsen, so deutlich, wie keinem anderen Balkanland. Serbien ist seit 2012 EU-Beitrittskandidat.

Nach außen mimt Vučić den Pro-Europäer. Er hat es geschafft, im Ausland als moderat und pragmatisch wahrgenommen zu werden, obwohl er die Sicherheits,- und Außenpolitik der Europäischen Union nicht mitträgt. Nichts hat das so deutlich gemacht, wie der Krieg in der Ukraine. Nach Russlands Invasion verfiel Vučić in tagelanges Schweigen. Zwar rang sich seine Regierung schlussendlich durch, eine UN-Resolution zu unterzeichnen, die Moskau zum Ende des Krieges auffordert, doch bleibt Serbien eines der wenigen Länder in Europa, das keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat. Umfragen zufolge sieht die Mehrheit seiner Landsleute Russland als wichtigsten Alliierten, der „die Interessen und Werte“ Serbiens vertritt. Die EU kommt bei dieser Frage auf gerade einmal elf Prozent Zustimmung.

Heute sind autoritäre Regime wie Russland und China populärer in Serbien als die Europäische Union. Und das, obwohl sie der mit Abstand wichtigste Handels,- und Investitionspartner Serbiens ist und Belgrad Milliarden aus dem so genannten EU-Heranführungsfonds bezieht.

Vučićs Lavieren in der Ukraine-Frage hat sich am Ende ausgezahlt. Nicht Umweltthemen und Korruptionsaffären haben den Wahlkampf dominiert, sondern der Krieg. Serbiens starker Mann konnte sich als Beschützer des Landes inszenieren, als eine Art Stabilitätsanker in turbulenten Zeiten. Dafür ließ er eigens seinen Wahlslogan ändern. Von „Gemeinsam schaffen wir alles“ in „Frieden. Stabilität. Vucic.“ Im permanenten Krisenmodus bezifferte er, wie viel Mais und Weizen Serbien gebunkert hätte. Regierungsnahe Medien streuten Gerüchte von angeblichen Lebensmittelengpässen in Europa. In Serbien ließ sich ein gängiges Phänomen beobachten: In unsicheren Zeiten halten Wählerinnen und Wähler tendenziell am Status Quo fest.

Also alles wie immer in  Serbien?

Nicht ganz. Den letzten Urnengang im Juni 2020 hat die Mehrheit der Oppositionsparteien boykottiert. Fast zwei Jahre lang hat Vučić also de facto ohne Opposition im Parlament regiert. Das ändert sich jetzt. Das Parlament wird bunter und pluralistischer, Vučić-Kritiker nehmen wieder an der öffentlichen Debatte Teil. Fraglich bleibt, ob sie auch außerhalb der Ballungszentren und in den Medien gehört werden.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.