Ein Stich mit großer Wirkung

Ein Stich mit großer Wirkung

Assistant Professor Simon Heß von der Wirtschaftsuniversität Wien arbeitete in einem Wissenschaftsteam der Universitäten Mainz, Heidelberg, Frankfurt und Stanford mit, das ein neues Licht auf den Zusammenhang von viralen Infekten und Demenz wirft.

Drucken

Schriftgröße

Wie sind Sie als Ökonom zu diesem Projekt gekommen?

Simon Heß: Irgendwie hat alles mit Wirtschaft zu tun, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint (lacht).   Tatsächlich ist es so, dass wir Ökonomen immer mit dem Problem konfrontiert sind, spezielle Methoden zu benötigen, um kausale Ergebnisse aus Beobachtungsdaten herauszulesen. Im Gegensatz zu Biolog*innen oder Mediziner*innen können wir ja nur selten Laborexperimente durchführen – ein Beispiel: Wir wollen etwas über die Auswirkungen von Mindestlöhnen erfahren. Dann können wir nicht einer Gruppe von Menschen willkürlich den Mindestlohn zahlen. Also suchen wir gerne nach sogenannten natürlichen Experimenten. Das Herzstück des Projektes, bei dem ich mitgearbeitet habe, ist so eines. Durch eine gesundheitspolitische Maßnahme ist als Nebenprodukt eine saubere Kontrollgruppe entstanden. In der Volkswirtschaftslehre gibt es die Expertise, diese Daten auswerten zu können. Das war meine Rolle bei der Studie.

Dann machen wir einen Schritt zurück: Worum ging es in dem Projekt?

Es finden sich in der epidemiologischen Literatur Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen Demenz und viralen Prozessen nahelegen. In Wales gab es eine Impfaktion, bei der die Empfehlung für eine Gürtelrosenimpfung ausgesprochen wurde. Es handelte sich um eine gesundheitspolitische Maßnahme, die aus rein statistischer Sicht wichtige Eigenschaften eines Experiments hat. Dabei wurde, wie oft, das Geburtsdatum der Menschen in einer Stichtagsregelung genutzt – sodass bestimmte Geburtsjahrgänge ein- oder ausgeschlossen wurden. So entstehen, wie in einem Experiment, klar vergleichbare Kontrollgruppen. Als uns klar wurde, dass wir hier ein Setting haben, wo man die Effekte einer antiviralen Impfung sauber schätzen kann, haben wir die Daten analysiert, um ein neues Licht auf die Forschungsfrage, die schon so lange im Raum steht, werfen zu können. 

Simon Heß

Assistant Professor Simon Heß, Wirtschaftsuniversität Wien

Haben Sie dafür ein neues statistisches Modell entwickelt?

Man baut auf bestehende Modelle auf, verfeinert dieses und passt sie an den Kontext an. In diesem Fall haben wir mit dem sogenannten Regression Discontinuity Design gearbeitet. Mit diesem Modell berechnet man, wohin die Demenzrate aus der Gesamtheit aller Menschen, die vor oder nach dem Stichtag geboren wurden, konvergiert, je näher am Stichtag sie geboren sind. So erhält man letztlich zwei Demenzraten – eine für eine statistisch konstruierte Person, die unwesentlich jünger ist, als jemand der am  Stichtag geboren wurde, und für die statistische Person, die unwesentlich älter ist. Abgesehen davon, dass die eine Person impfberechtig war und die andere nicht, sind sie vergleichbar.  Daraus kann man ableiten, dass der Unterschied in den Demenzraten nicht zum Beispiel am Alter liegt, sondern die plausibelste Erklärung ist, dass es an der Impfung liegt. 

Wie sieht das Resultat im Detail aus?

Wie erwartet erkrankten Menschen, die knapp nach dem Stichtag geboren wurden, deutlich seltener an Gürtelrose, was aber in der Natur der Impfung liegt. Aber sie erkrankten auch seltener oder später an Demenz. Das legt nahe, dass die Impfung auch eine schützende Wirkung in Bezug auf Demenz hatte. Allerdings gilt wie bei jeder empirischen Studie: Die Ergebnisse sollten von anderen Forschungsgruppen in anderen Kontexten repliziert werden. Unsere Ergebnisse bedeuten nicht, dass sich jetzt jeder deswegen gegen Gürtelrose impfen lassen soll – das berät man am besten mit seiner Ärztin oder seinem Arzt. Zudem beziehen sich unsere Ergebnisse auf einen spezifischen Impfstoff sowie eine spezifische Altersgruppe. Allerdings sind sie ein Hinweis darauf, dass virale Prozesse bei Demenz eine Rolle spielen könnten. Wie und warum, das müssen weitere Forschungen in der Medizin herausfinden.