Das Amt für die Hosentasche.

Tu felix digital Austria?

Rund 90 Prozent ihrer Behördengänge können Bürger:innen und Unternehmen bereits online erledigen. Auf dem Weg von der digitalen Verwaltung zum „Smart Government“ gibt es aber auch noch einige Durststrecken.

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Geht es um die Digitalisierung der österreichischen Verwaltung, gibt es viel, über das sich schimpfen lässt. Bugs legen zum Beispiel regelmäßig die App „Digitales Amt“ lahm, die eigentlich die Bezeichnung „ID-Austria“ tragen müsste, auch wenn die eAusweise (der digitale Identitäts- und Altersnachweis, Führer- und Zulassungsschein) verwirrenderweise in einer anderen App stecken, die aber immerhin so heißt wie ihr Inhalt. Hat man es – im worst case erst dank unverschlüsselt via RSa-Brief verschicktem, neuen Passwort – dann endlich geschafft, sich einzuloggen und zum Beispiel ein PDF zu signieren, entpuppen sich viele der weiteren  Funktionen beim Anklicken als bloße Links zu Textwüsten auf dem Bürgerserviceportal oesterreich.gv.at. Und dass das Hochladen von Beilagen für eine besondere Strafregisterbescheinigung im Rahmen von freiwilligem Engagement über das „Digitale Amt“ derzeit nicht möglich ist, freut ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Liste der Ärgernisse und Kritikpunkte damit noch lange nicht vollständig ist.

Doch man muss auch mal fair bleiben. Jahrzehnte alte Prozesse und Dienstleistungen digital zu denken – nicht nur für Private, sondern auch für Unternehmen –, komplexe Gesetze in Codes zu übersetzen und das Amt zu den Menschen zu bringen statt die Menschen ins Amt, ist einfach nicht einfach. Dafür braucht es eine einheitliche Strategie, gemeinsame Standards und Open Source Tools, die in einer Partnerschaft zwischen Bund, Ländern, Städten, Gemeinden und Wirtschaft gelebt werden müssen. Oder wie es Christian Rupp ausdrückt: „E-Government is a journey not a destination and needs orchestration.“

Er muss es wissen. Heute arbeitet der Universitätslektor für Digitalisierung und KI unter anderem als Experte für die Europäische Kommission. Von 2003 bis 2018 war er jedoch Exekutivsekretär E-Government des Bundes und Sprecher der Plattform Digitales Österreich im Bundeskanzleramt, später auch Digitalisierungsbeauftragter und Leiter KMU Digital in der WKO. Und in diesen Funktionen hat er Österreichs Weg, Behördengänge und Gesundheitsdienste unter Einhaltung von Datenschutz und Barrierefreiheit sicherer und bequemer zu machen und Stempelmarken Geschichte werden zu lassen, maßgeblich mitgestaltet. 

Es ist aber keine Selbstbeweihräucherung, sondern Fakt, wenn er sagt, „dass Österreich E-Government-Geschichte geschrieben hat und lange in vielen Bereichen der digitalen Verwaltung ein Vorreiter war.“ So wurde zum Beispiel das schon 1997 installierte Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) 2014 von der UN mit dem Public Service Award ausgezeichnet und in Europa zum Vorbild für digitale Prozesse und Open Data.

Christian Rupp, E-Government-Experte

„Österreich war lange in vielen Bereichen der digitalen Verwaltung ein Vorreiter für andere Länder, und ist es noch, obwohl uns einige überholt haben.“

Christian Rupp, E-Government-Experte

Diese Glanzzeiten liegen jedoch schon länger zurück. Wo Österreich im internationalen Vergleich heute steht, hängt davon ab, welches der sich ständig verändernden Rankings man heranzieht und welche Benchmarks man abfragt. Klar ist aber: Für die einstigen Topplätze reicht es nicht mehr. „Mittlerweile sind wir bei einigen Services zwar noch immer unter den Top 5, aber insgesamt liegen wir meist nur im oberen Mittelfeld. Es gibt halt weniger föderale Länder, die von uns gelernt haben und es jetzt besser machen, etwa die baltischen Staaten. Wir haben nachgelassen und in vielen Bereichen, sage ich jetzt einmal, nicht mehr so proaktiv gehandelt.“

Service für die Wirtschaft

Es ist aber natürlich nicht so, dass Österreich in den vergangenen Jahren geschlafen hätte. Im Gegenteil. Dank des 2010 ins Leben gerufenen und seitdem ständig verbesserten Unternehmensserviceportals USP können Unternehmer:innen und ihre Angestellten heute nach einer einmaligen Registrierung („Single-Sign-on“) über 120  Behördenwege ohne lange Wartezeiten und auf sicherem Wege online abwickeln: vom durchgehend digitalen Gründungsprozess – zumindest für Einzelunternehmen und Ein-Personen-GmbHs – über die Anmeldung neuer Mitarbeiter:innen bis hin zur Mehrwertsteuermeldung. „Heute ist es völlig selbstverständlich, dass man ins USP einsteigt, und sich eine Rolle aussucht. Doch dieser Identity-Layer, also welcher Mensch darf für welches Unternehmen was machen, war ein Meilenstein. Ein Portal hinzustellen mit Inhalten, das ist schnell gemacht. Aber erst diese logische Konzeption und das dann auch in die Praxis umzusetzen, lieferte die Benefits und die Strahlkraft, die nötig waren, um weitere E-Government-Anwendungen – auch von den Ländern, Gemeinden und der WKO – anzuziehen und zu integrieren“, sagt Gerhard Laga, Stv. Abteilungsleiter Servicemanagement und IKT der Wirtschaftskammer Österreich.
 

Gerhard Laga, Stv. Abteilungsleiter Servicemanagement und IKT der WKO

„Das USP bringt enorme Erleichterungen für Unternehmen. Aber sicher gibt es noch Luft nach oben.“

Gerhard Laga, Stv. Abteilungsleiter Servicemanagement und IKT der WKO

Auch wenn die Bündelung aller Services in einem gemeinsamen Portal noch nicht gelungen ist: Inzwischen erhalten Unternehmen übers USP auf mehr als 2.000  Informationsseiten fachlich geprüfte Infos zu allen Bereichen des Geschäftslebens, direkt von den Ministerien und Behörden. Sie finden zudem Services von A wie „AMA-Milchmonatrechnung“ bis Z wie „Zertifikatsverwaltung“. 

Begleitung in jeder Lebenssituation

Im Jahr 2025 können aber nicht nur Wirtschaftstreibende rund 90 Prozent ihrer dienstlichen Behördengänge online erledigen, wie die Unternehmensberatung Accenture schätzt. Auch der Privatbereich der Bürger:innen ist ähnlich gut abgedeckt. Die Services des digitalen Amts, die mittels ID Austria genutzt werden können, wurden stetig ausgebaut. Insgesamt gibt es inzwischen für rund 400 öffentliche Dienstleistungen digitale Angebote. Am bekanntesten sind wohl FinanzOnline, MeineSV oder die Gesundheitsdatenbank ELGA. Auch die elektronische Verschreibung von Medikamenten über die E-Card dürfte mittlerweile geläufig sein. Laut Auswertungen der Statistik Austria nutzten 2024 über 95 Prozent der Österreicher:innen zumindest einen der gängigen Behördendienste online. 
Doch es gibt noch viele weitere digitale Anwendungen, mit denen man je nach Lebensphase Bekanntschaft machen kann. Die Palette reicht von der Geburts- bis zur Todesanzeige, von der Hunde- bis zur Grillplatzanmeldung. Allein durch die Nutzung der vier wichtigsten nativen Services des Digitalen Amts und auf 
oesterreich.gv.at mit der ID Austria – als da wären Wahlkartenantrag, Wohnsitzänderung, Urkundenservice (Bestellung von Auszügen aus dem Zentralen Personenstandsregister) und Babypoint (Erstausstellung von Urkunden nach der Geburt des Kindes) – haben sich Bürger:innen seit der Einführung nach einer Modellrechnung des Kanzleramtsbüros von Digitalisierungs-Staatssekretär Alexander Pröll rund eine halbe Million Stunden für Behördengänge erspart. Und dazu auch noch Papier, CO₂ und: einiges an Geld. So kann man bereits einige Dokumente gratis runterladen, etwa die Geburtsurkunde. Und eine gewöhnliche Strafregisterbescheinigung ist via ID Austria auch günstiger. Die Eingabengebühr reduziert sich z. B. von 14,30 auf 8,60 Euro. 
Und damit nicht genug: Allein der Bund betreibt rund 80 weitere Apps. „Es gibt zum Beispiel eine wunderbare App des Außenministeriums, mit der ich mich registrieren kann, wenn ich ins Ausland fahre. Sodass die Botschaft zum Beispiel im Krisenfall Bescheid weiß, in welchem Hotel ich gerade bin“, sagt Christian Rupp. Dazu kommen zahlreiche Portale von Ministerien, Bundeskanzleramt, Justiz und öffentlichem Gesundheitswesen,  die etwa bei der Suche nach Jobs, Weiterbildungsangeboten, Ärzten oder Sachverständigen und Dolmetschern helfen. 
Doch genau diese Vielfalt an Zugängen ist oft auch einer der größten Kritikpunkte am E-Government. Zu fragmentiert sei das Angebot, viele digitale Services nicht mit dem Bürgerserviceportal oesterreich.gv.at und der App Digitales Amt als zentrale Einstiegspunkte zur öffentlichen Verwaltung verknüpft. Die Folge: Es kennt sich so nicht nur niemand aus, man kennt vielfach auch schlicht selbst die hilfreichsten Services nicht. Sie fristen ein Nischendasein. 
 

Zurück in die Spitze

Staatssekretär Alexander Pröll weiß um diese Baustelle. Man will aufräumen, arbeitet weiter am „One-Stop-Shop“. Jeden Service wird man dort wohl nie finden, da würde man mit dem Programmieren ja nicht fertig werden. „Langfristig wollen wir aber alles, was sinnvoll und möglich ist, ins Digitale Amt integrieren. Und wir werden auch weitere Angebote schaffen. Was irgendwie digital abbildbar ist, wird digital abgebildet“, sagt Pröll. Die Grenze der Digitalisierung seien bei psychologischen Gutachten oder waffenrechtlichen Dokumenten erreicht. Auch zum Heiraten werde man in Zukunft noch aufs Standesamt gehen müssen. Anders als etwa in Estland, wo man sich online verehelichen und auch scheiden lassen kann.

„Unser Ziel ist, im E-Government zu den baltischen Staaten aufzuschließen und in der EU in die Top 3 zu kommen“, so Pröll. Dafür reicht es aber sicher, dass nicht 100, sondern nur 99,8 Prozent aller Regierungsleistungen online erbracht werden. Ob der erst seit wenigen Wochen im Amt befindliche Staatssekretär für Digitalisierung sein Ziel erreicht, wird sich letztlich sowieso nicht an solchen Prozentzahlen entscheiden. Sondern an Hürden, vor denen schon seine Vorgänger:innen standen. Die „Lowlights“ der langen Liste: der IT-Fachkräftemangel, der die Digitalisierung ausbremst. Die Pensionierungswelle, die laut Pröll in den nächsten 13 Jahren 44 Prozent der Bediensteten im Bund in den Ruhestand schickt. Und die mangelnden digitalen Kompetenzen – bei jenen, die die Services nutzen, aber auch denen, die sie anbieten sollen. Und das eigentlich flächendeckend. „Österreich hat 2.093 Gemeinden, 86 Prozent davon haben weniger als 5.000 Einwohner. Dort gibt es kein oder nur ein geringes vollständiges barrierefreies, interaktives E-Government-Serviceangebot“, so Christian Rupp. „Auf kommunaler Ebene gibt es nur ganz wenige, die Zeit, Budget und Skills haben, sich damit zu beschäftigen.“

Projekt ID Austria 

In einer Legislaturperiode werden die Hürden auch mit geplanten KI-Implementierungen in der Bundesverwaltung oder laufenden Ausbildungs- und Kompetenzoffensiven für Nutzer:innen wie Personal nicht ganz zu lösen sein. Im Interview mit profil Extra erklärt Pröll daher auch eine andere Maßnahme zur obersten Priorität: den schon für 2023 angekündigten Relaunch der ID Austria, der App „Digitales Amt“. Wichtig, denn die e-Identität, ihre breite Akzeptanz und Nutzung sind der Ausgangspunkt für den Fortschritt der digitalen Verwaltung. 
Derzeit bewerten Nutzer:innen die App „Digitales Amt“ im Google Play Store allerdings mit nur 1,7 von fünf Sternen. Die Gründe? Siehe Anfang des Artikels. Die Rezensionen lesen sich entsprechend: „Benutzerunfreundlich“ ist darin noch das netteste Adjektiv für die App. Das animiert nicht gerade zum Download oder gar zu ihrer Nutzung. Pröll will daher im Sommer „das operative Handling erleichtern, Fehleranfälligkeiten beheben“. Einen genauen Zeitpunkt fürs Update nennt er nicht. Das Ziel schon: „Derzeit nutzen knapp 3,8 Millionen User:innen die ID-Austria. Bis 2030 wollen wir auf neun Millionen kommen. Heißt: Jede:r soll im Idealfall in Österreich die ID Austria verwenden.“ 

Alexander Pröll, Staatssekretär für Digitalisierung

„Unser Ziel ist, im E-Government in die EU-Top 3 zu kommen. Und wir wollen, dass 2030 alle Bürger:innen in Österreich die ID Austria nutzen.“

Alexander Pröll, Staatssekretär für Digitalisierung

Im neuen Regierungsprogramm wurde dafür verankert, „dass die ID Austria künftig bereits ab der Geburt ausgestellt werden soll – falls gewünscht“, so Pröll. Dass solche Opt-in-Ansätze zur Erreichung der hochgesteckten Ziele nicht reichen werden, ist klar. Zumal ja immer noch die Frage bleibt, wie man die Restbevölkerung dazu bringt, sich anzumelden. Prölls Antworten sind vielfältig: Zum einen soll der persönliche Nutzen der ID-Austria noch besser kommuniziert werden – nicht nur im Hinblick auf Amtswege. Man möchte auch Partner in der Wirtschaft gewinnen, die Dienstleistungen anbieten, für die die ID-Austria als Identitätsnachweis eine Rolle spielen könnte. Banken etwa. „Wir werden zudem die knapp 400 Registrierungsstellen auf über 1.000 ausweiten“, so Pröll. „Und das auch bewerben.“ Dafür schwebt ihm eine Sommertour vor, die Präsenz bei großen Konzerten. Gleichzeitig soll im Rahmen von Amtskontakten, etwa bei der Ausstellung eines neuen Passes oder bei der Stellung, auch gleich die Registrierung der ID Austria angeboten und vorgenommen werden.

Die Reise geht weiter

Klappt’s mit der App, klappt’s auch besser mit dem Aufbau von Vertrauen und einem modernen Verständnis von Staat. Zu wünschen wäre es jedenfalls, nicht nur für die Bürger:innen und die Politik. Von einem gut funktionierenden E-Government profitieren auch Umwelt und Wirtschaftsstandort. 

Aber wie gesagt: It’s a journey. Die übernächste Etappe? Der ,No-Stop-Shop‘, der mit Hilfe vorliegender, registerbasierter Informationen Bürger:innen und Unternehmen Services proaktiv und vorausschauend anbietet und für bestimmte Verwaltungsangelegenheiten auch keinen digitalen Amtsweg mehr erfordert. Das Reisetempo wird angesichts von KI, Metaverse und Quantencomputing nicht langsamer werden.

Text: Daniela Schuster