Digitaler Motor
Auf Österreichs Straßen brummt es. Dabei müsste es dort im Sinne des Klimaschutzes dringend leiser werden. Doch so richtig Fahrt will der Umstieg auf Elektroautos nicht aufnehmen. Ende des Jahres 2024 waren laut AustriaTech, der Gesellschaft des Bundes für technologiepolitische Maßnahmen, zwar mehr als 200.600 rein batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) registriert, und der BEV-Anteil bei den Neuzulassungen betrug auch immerhin fast 18 Prozent. Dennoch machen die Stromer derzeit kaum vier Prozent des gesamten Fahrzeugbestandes im Land aus.
Umfangreiche Förderangebote von Regierung und Industrie und ein geplantes Zulassungsverbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 haben die Mobilitätswende sicher beschleunigt. Aber nicht genug. Das liegt auch daran, dass viele potenzielle Käufer:innen trotz eines Zuwachses von fast 5.500 Ladepunkten in 2024 und eines Anstiegs der Ladeleistung um 63 Prozent noch immer einen Komfortverlust gegenüber Verbrennern befürchten. Die größten Bedenken haben sie – neben der öffentlichen Ladeinfrastruktur – laut einer Deloitte-Studie bezüglich der Reichweite und der Ladezeiten. Zudem werden die intransparenten Tarifoptionen bemängelt und die wenig komfortablen Bezahlmodalitäten.
E-Autos, die begeistern
Wie also soll es klappen mit der Transformation? Um eine breite Masse zu begeistern, müssen E-Fahrzeuge nicht nur nachhaltig und erschwinglich sein, sondern vor allem nutzerfreundlich. „Und der Schlüssel dazu liegt in der Digitalisierung“, sagt Mario Hirz, stellvertretender Leiter des Instituts für Fahrzeugtechnik der TU Graz. Das haben natürlich auch die Hersteller längst erkannt. Sie arbeiten bereits an digital umgesetzten Funktionen, welche Kundenbedürfnisse und -nutzen stärker in den Vordergrund stellen und für eine zunehmende Vernetzung sorgen können. Diese soll die Kommunikation zwischen Fahrzeugen, stationären Einheiten (wie den Herstellern oder Service-Dienstleistern) sowie der Verkehrsinfrastruktur ermöglichen.
„Dass sich Fahrzeuge zu digitalen Systemen entwickeln, zu ,Software Defined Vehicles‘, ist ein Trend, den wir seit gut 20 Jahren sehen“, so Mario Hirz. Das ist natürlich erst mal unabhängig von der Antriebstechnologie. „Doch wenn man sich den PKW-Markt ansieht, dann sind die neuesten Fahrzeugplattformen, die den letzten Stand der Digitalisierung bieten, rein für Elektromobilität gedacht. Dort hat man heute die coolsten Funktionen, die das Auto quasi zum Freund machen – etwa via ,Human Machine Interface‘, der Interaktion von Auto und den Menschen an Bord via Sprach- und Gestensteuerung. Da sind E-Auto-Hersteller, insbesondere jene aus dem asiatischen Raum, ganz vorne. Und auch und gerade im Bereich des autonomen Fahrens wird hauptsächlich auf Elektromobilität gesetzt.“ Zoox von Amazon oder der Google-Spin-off Waymo sind etwa Beispiele dafür. In einigen US-Städten kommen die Modelle bereits zum Einsatz – vorwiegend für den Personentransport.
Nachteile? Ausgeräumt!
Bis autonomes Fahren für die breite Masse und auch in Österreich zum Einsatz kommt, ist es noch ein gutes Stück des Weges. Doch schon jetzt profitieren auch hierzulande insbesondere E-Autofahrer:innen von der fortschreitenden Digitalisierung. Nicht nur aus oben genannten Gründen. Sondern weil der digitale Wandel auch die Nutzerfreundlichkeit der Servicelandschaft im Elektromobilitätsumfeld verbessert. Er kann viele jener Einschränkungen, die E-Autos gegenüber dem fossilen Verkehr in den Augen der Kund:innen oft noch haben, aufheben.
Mobilität ist sein Job
TU-Graz-Professor Mario Hirz sieht in der Digitalisierung den Schlüssel zu mehr Nutzerfreundlichkeit, die es braucht, um die Verbreitung von E-Autos voranzubringen.
So helfen etwa smarte, digitale Dienste zur optimierten Routen- und Reichweitenplanung unter Einbindung der Ladeinfrastruktur dabei, die Gesamtfahrzeit zu reduzieren und die Reichweitenangst zu überwinden. Diese Tools – ob serienmäßig integriert in die Fahrzeugtechnik wie bei Tesla oder via Smartphone-App – zeigen nicht nur die Restreichweite in Echtzeit an und schlagen bei längeren Touren mit Ladehalten geeignet gelegene, freie Ladesäulen vor. „Hat man eine Ladestation ausgewählt, wird zudem etwa zehn bis fünfzehn Minuten, bevor man die Ladestation erreicht, auch das Fahrzeug auf das Laden vorbereitet und die Batterie leicht angewärmt, damit man schneller Laden kann“, erklärt Hirz.
Gamechanger beim Laden
Auch sonst wird mit Hochdruck an der „Ladethematik“ gearbeitet. Die Ansätze für die Automatisierung des Vorgangs sind vielfältig. So hat beispielsweise Alveri für das konduktive Laden via Stecker einen Roboter entwickelt, der zum Fahrzeug hinfährt. Die österreichischen Start-ups Easylink und Volterio setzen hingegen auf das Laden über den Fahrzeugboden, mit dem Vorteil, dass keine Kabel herumliegen. „Und eine weitere interessante, nicht ganz billige, aber komfortable Technologie ist das Laden per Induktion, wie man es vom Handy kennt“, so Hirz. „Über den Fahrzeugboden wird ein elektromagnetisches Feld übertragen, das die Batterie lädt.“ Hersteller wie Nio setzen wiederum auf das Wechseln des gesamten Batteriegehäuses, sobald die Batterie leer ist.
130 Millionen
Auf so viele Programmierzeilen bringt es heute das Betriebssystem eines durchschnittlichen Autos. Die Fahrzeuge haben sich längst zu rollenden Computern entwickelt.
All das macht das Laden natürlich schneller und komfortabler. Ein echter Gamechanger, meint der Experte, könnte aber das bidirektionale Laden werden. „Wenn man Zuhause eine Photovoltaikanlage hat und das Fahrzeug sowohl als Energieverbraucher als auch als -speicher verwenden kann, wird das für eine breite Kundengruppe interessant, weil man einen Zusatznutzen hat, mit dem man das Auto zuvor überhaupt nicht in Verbindung brachte.“ Was sich durchsetzen und letztlich den größten Marktanteil erreichen wird? „Ist heute schwer zu sagen. Am Ende erfordert jede Technologie natürlich Digitalisierung. Angefangen bei der Kommunikation des Fahrzeugs mit der Ladestation bis hin zur Abrechnung.“
Apropos Abrechnung: Die ist heute noch ein Hemmschuh bei der Verbreitung des E-Autos. „Während man mit dem Verbrenner europaweit an jeder beliebigen Tankstelle tanken und mit der Bankomatkarte zahlen kann und via Anzeigetafel schon vorher weiß, was der Sprit kostet, ist man beim Laden von Elektrofahrzeugen nicht oder zumindest noch nicht durchgängig so weit“, erklärt Hirz. „Ziel der Bemühungen, sowohl in Brüssel als auch in nationalen Gremien, ist aber Kostentransparenz und Komfort beim Laden. Und die Kunden müssen an der Ladesäule so zahlen können, wie sie es von der Tankstelle gewohnt sind.“ Ein bisschen tut sich bereits in diese Richtung. Es gibt etwa Länder, die neue Ladestationen nur mehr zulassen, wenn man mit Bankomatkarte zahlen kann.
Weitere Hemmschuhe, wie Kundenbedenken hinsichtlich Datenschutz, Cybersecurity oder der Fehleranfälligkeit digitaler Bordsysteme betreffen nicht die E-Mobilität allein. Jedes moderne Auto – ob Verbrenner, Hybrid oder E-Fahrzeug – ist heute ein komplexes System mit einer Vielzahl an Steuergeräten, sozusagen ein „rollender Computer“. Und die Hersteller überbieten sich mit immer neuen, digitalen Funktionen, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz und digitalen Zwillingen entwickelt werden. Um im globalen Wettbewerb zu bestehen, reichen bunte Cockpitanzeigen halt längst nicht mehr aus. Umfasste das Betriebssystem eines durchschnittlichen PKW 2010 noch etwa zehn Millionen Programmierzeilen, sind es heute 130 Millionen. Die Software von automatisiert fahrenden Fahrzeugen hat, so schätzen Experten, sogar zwischen 300 und 500 Millionen Zeilen – weit komplexer als jedes Smartphone. Kein Wunder. Das Handy kann – anders als ein Auto, das sich im Daten- und im Straßenverkehr bewegt – nur abstürzen, aber nicht verunglücken.
„Die Standards und Richtlinien für funktionale Sicherheit, Datenschutz und Cybersecurity sind in Europa sehr hoch“, beruhigt der Experte. Eine Überregulierung, die eine weitere Digitalisierung verhindern könnte, sieht er aber nicht. Und auch die Bedenken, dass viel Technik letztlich den CO₂-Abdruck vergrößert, den man mit dem Einsatz von Elektromobilität doch eigentlich reduzieren möchte, kann er ausräumen: „Durch Technologien für automatisiertes bzw. autonomes Fahren steigt zwar der Energieverbrauch. Aber trotz aller Elektronik, Sensorik und Digitalisierung wird ein Elektrofahrzeug noch immer um den Faktor zwei bis drei effizienter sein als jeder Verbrenner, auch wenn dieser mit E-Fuels fährt.“ Der CO₂-Abdruck sei in erster Linie eine Frage der Stromerzeugung. „Wenn zum Laden grüner Strom fließt, ist das E-Auto ein Gewinn für den Klimaschutz.“
5.000 Euro
So hoch war die maximale Förderung für private E-PKW im Rahmen der
E-Mobilitätsoffensive 2024. Bis zu 600 Euro gab es für intelligente Ladekabel und Wallboxen. Das Budget von 114,5 Millionen Euro wurde jedoch vorzeitig ausgeschöpft.
Erkennbarer Nutzen
Österreich ist mit grünem, also CO₂-neutralem Strom zum Glück gut versorgt. Und intelligente Netze, so genannte Smart Grids, verknüpfen heute auch schon Ladesäulen, Batteriespeicher und erneuerbare Stromerzeugung, um Lastspitzen zu glätten. Durch das erwähnte bidirektionale Laden (Vehicle-to-Grid) könn(t)en Elektroautos zudem auch Strom ins Netz zurückspeisen. Für die Nutzer:innen würde das mittel- bis langfristig niedrigere Netzkosten und bessere Nutzung erneuerbarer Energien bringen: Laden erfolgt dann, wenn viel Ökostrom verfügbar ist, und bei Bedarf wird das Auto sogar zum Zwischenspeicher. „Die digitale Vernetzung von Auto, Ladepark und Stromnetz schafft einen wirtschaftlichen Nutzen für alle Beteiligten“, so Hirz.
Womit wir wieder beim Nutzen wären. An ihm – vor allem dem persönlichen Nutzen für die Kund:innen – entscheidet sich, wie schnell der Umstieg aufs E-Auto gelingen kann. Denn bis 2035 kann die Umwelt eigentlich nicht warten. Die Digitalisierung hat für die Transformation jedenfalls die Weichen gestellt. Zumal es über sie gelungen ist, das Auto auch in multimodale Systeme der Elektromobilität einzubinden. Stichwort: MaaS, mobility as a service. Ob Öffis, E-Scooter oder Elektro-Taxi: „Die Idee dabei ist, dass man je nach Fahrtstrecke bequem die bestgeeigneten Services via Handy buchen kann. Die Nutzung basiert ebenfalls auf digitalen Systemen und Plattformen, welche den Kundenzugang nutzerfreundlich gestalten“, meint Hirz.
Zumindest in der Theorie. In der Praxis, weiß der Grazer Professor, scheitert es hier oft an der Bequemlichkeit. „Die Idee ist gut. In die Breite konnten wir sie bislang aber nur eingeschränkt bringen.“ Dennoch ist er überzeugt, dass die E-Mobilitätsnutzung in Vernetzung und Kombination mit digitalen Services zunehmen wird. Einerseits, weil die Digitalisierung die E-Mobilität voranbringt. Aber anderseits auch, weil die E-Mobilität ihrerseits für den digitalen Wandel begeistern kann.
Denn wie gesagt: „Die modernsten Fahrzeugplattformen sind elektrisch.“
Text: Daniela Schuster