Finanzbildung macht Schule
„Freiheit!“ „Glück!“ „Erfüllung!“ Auf die Frage, was Geld für sie bedeute, fallen der 2i der Berufsschule Embelgasse im fünften Wiener Gemeindebezirk nur euphorische Assoziationen ein. 15 Lehrlinge für Verwaltungsberufe nehmen heute an der ersten Unterrichtseinheit eines Finanzbildungsprogramms teil. Die 16- bis 21-Jährigen starten genau so in die Eröffnungsrunde, wie es die Expertin vom Fonds Soziales Wien vermutet hat: mit viel Begeisterung und mittelviel Realitätssinn. Sie haben jetzt fünf Lernmodule lang Zeit, einen verantwortungsbewussten Umgang mit ihrem Gehalt zu lernen und ein rudimentäres Immunsystem gegen versteckte Schuldenfallen aufzubauen.
Wer sich die Teilnahme-Stempel von mindestens vier Modulen holt, erhält dafür ein Zertifikat: den „Finanzführerschein“, der auch im Lebenslauf für das nächste Bewerbungsschreiben Eindruck macht. „Der Finanzführerschein heißt so, weil wir gemeinsam lernen werden, wann man im Umgang mit Geld Gas geben kann, wo man lieber stehen bleibt und rechts und links schaut und wie man finanzielle Unfälle vermeidet“, sagt die Sozialarbeiterin Monika Kühler-Kosztolanszky. 15 Köpfe nicken motiviert.
War jung, brauchte Geld
Dass die Schuldenberatung Finanzbildung für Jugendliche anbietet, hat einen guten Grund. „Jeder und jede Fünfte, der oder die unsere Hilfe sucht, ist jünger als 30 Jahre“, sagt Gudrun Steinmann, Leiterin der Finanzbildung bei der FSW Schuldenberatung. Wer sich schon in jungen Jahren finanziell übernimmt, zieht den Schuldenmühlstein oft jahrelang mit – und bezahlt zwei, drei leichtsinnige Jugendentscheidungen mit immerwährenden Geldsorgen. „Besser rechtzeitig eine Gesundenuntersuchung als später eine OP“, sagt Steinmann. Und meint damit: „Wir versuchen, die Jugendlichen genau dann für den verantwortungsvollen Umgang mit Geld zu sensibilisieren, wenn das Thema für sie brisant wird: sobald sie erstmals eigenes verdienen.“
Der Bedarf ist groß: Laut WKO Lehrlingsstatistik 2023 erhielt von den österreichweit 108.000 Lehrlingen nur etwas mehr als ein Prozent gesichert Finanzbildung. Darum stellen die FSW-Vortragenden seit 2020 jedes Jahr rund 4.000 Finanzführerscheine in Polytechnischen Lehrgängen und Berufsschulen aus. Also genau in jener Lebensphase, in der die Betroffenen frei über ihre Lehrlingsentschädigung verfügen können, große Ausgaben wie das eigene Auto oder die erste eigene Wohnung vor Augen haben – und begehrte Zielobjekte der Wirtschaft sind, die sie mit zielgruppengerechter Werbung und verlockenden Buy-now-pay-later-Modellen verführen möchte. Die sozialen Medien wirken dabei als Brandbeschleuniger: Auf TikTok wird ironisch mit den höchsten Schulden beim Bezahldienst klarna gewetteifert, während nebenan selbsternannte Finfluencer im Leihporsche Riesenrendite für windige Krypto-Investitionen versprechen. Tenor: Schuldenmachen ist Selfcare, reich werden nur eine Frage des Mindsets.
Die FSW-Vortragenden knüpfen an die Erfahrungen der Jugendlichen an und nützen praktische Beispiele, um ein Gespür für Alltagsausgaben zu bekommen: „Wie viel hat das letzte Paar Sneaker gekostet, das ihr gekauft habt? Und wer kauft sich jeden Tag einen Energy Drink?“, fragt Monika Kühler-Kosztolanszky in die Runde. Fast jede:r hat noch den genauen Turnschuh-Preis im Kopf. Doch die hochgerechneten Jahreskosten für die – im Klassenschnitt – ein bis fünf Dosen Energieschub pro Werktag schockieren alle: „Da wäre sich ja schon eine neue Playstation ausgegangen!“
Investition in die Zukunft
Dass Finanzbildung für Jugendliche nicht nur den einzelnen vor Schaden bewahrt, sondern gesamtgesellschaftlichen Nutzen bringt, ist in Österreich erst seit ein paar Jahren Common Sense. „Was wir sparen, worin wir investieren, wofür wir Schulden machen – das hat Auswirkungen auf uns alle“, sagt Bettina Fuhrmann von der Wiener Wirtschaftsuniversität. Die große Zahl neu entstandener Finanzausbildungs- und -beratungsangebote in Österreich ist nicht zuletzt ihrer Aufklärungsarbeit zu verdanken. „2012 wurde ich gebeten, in Brüssel einen Vortrag über Financial Literacy in Österreich zu halten“, sagt die heutige Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik. „Beim Recherchieren habe ich mir gedacht: Das wird ein kurzer Vortrag!“ Die vorübergehende Frustration über das seinerzeit magere Bildungsangebot animierte die Professorin, sich intensiv mit dem Themenbereich zu beschäftigen. Und in Folge Verbündete in der Privatwirtschaft und in anderen öffentlichen Institutionen zu suchen. „Nach einigen Jahren wurden die Projekte so umfangreich, dass wir sie im Herbst 2023 im neu gegründeten WU Zentrum für Finanzbildung gebündelt haben“, sagt sie. Während sich manche Institutionen auf einen Aspekt konzentrieren, profitiert man hier von den Wechselwirkungen unterschiedlicher Expertisen: „Wir entwickeln, forschen, evaluieren – und lassen unsere Erkenntnisse gleich wieder in die Entwicklung von Lernangeboten einfließen.“
Mohammad, 21
„Ich habe die Sparsamkeit von meinem Vater geerbt und lege so viel es geht zur Seite. Mich interessiert, wie ich die Summe möglichst gewinnbringend investiere.“
Fürs Leben lernen
Darum verfolgt die WU auch in Sachen Wissensvermittlung an Jugendliche ein ganz eigenes, spannendes Konzept. Student:innen des Masterstudiums Wirtschaftspädagogik werden im Wahlfach „Finanzbildung und Finanzmanagement“ zu Finanzbildungscoaches ausgebildet. Sie halten selbstständig von Schulen angefragte Workshops in der Sekundarstufe 1 und 2 ab. Die Konzepte dafür müssen sie auf Basis des von der Schule angeforderten Themas selbst erstellen (und von ihren Professor:innen feedbacken lassen).
„Durch das Wahlfach bekommt man Praxiserfahrung, wertvolle Inputs von Expert:innen – auch aus der Privatwirtschaft – und Material für die Masterarbeit“, sagt Melek Zejnoski-Utku. Sie hat schon „zwischen 30 und 40“ Workshops abgehalten und ist noch immer von der positiven Energie begeistert, die ihr in den Klassenzimmern begegnet: „Die Jugendlichen haben riesiges Interesse am Thema Geld, sind aber vom Überangebot an Informationen komplett überfordert. Darum sind sie auch so dankbar dafür, dass ihnen jemand praktische Tipps gibt, die sie im täglichen Leben anwenden können.“ Zwar sei es oft schwer, unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen: „Manchmal will ein Teil der Klasse über Anlageprodukte reden, während ein anderer noch nicht einmal ein eigenes Konto hat.“ Doch meist gehe es darum, eine realistische Einschätzung zu bekommen: Was kostet eigentlich ein Kilo Brot („Die Schätzungen gehen von 50 Cent bis fünf Euro“) oder der Unterhalt eines Autos – und warum sollte ich nicht alles glauben, was mir auf Tiktok versprochen wird? „Das schönste Erfolgserlebnis für mich ist, wenn am Ende eines Workshops die Schüler:innen sagen: ,Heute haben wir wirklich etwas fürs Leben gelernt!‘“, sagt Melek Zejnoski-Utku.
Lena, 19
„Geld ist im Freundeskreis immer ein Thema. Ich selbst fühle mich bei manchen Finanzthemen sehr, bei anderen dafür aber gar nicht kompetent.“
Von Bus bis Bitcoin
Lektionen fürs Geld-Leben erteilen aber nicht nur die angehenden Wirtschaftspädagog:innen der WU, die mit ihrem Programm seit dem Wintersemester 2022/23 schon über 2.500 Schüler:innen in 130 Workshops erreichten, verteilt auf Mittelschulen, Gymnasien und Co. in Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Um Finanzbildung kümmert sich auch die Erste Bank, die in ihrem „Financial Life Park“ (FLiP) barrierefreie Thementouren für drei Altersgruppen sowie Unterrichtsmaterialien für Kinder ab zehn Jahren anbietet. Im FLiP-Jugendbericht 2024 erhoben die Finanzwissensvermittler:innen auch einige wichtige Kennzahlen über den Finanzbildungsstand von Österreichs Jugendlichen. So gaben 48 Prozent der 1.879 befragten Jugendlichen an, sich beim Thema Geld und Finanzen „eher nicht“ oder „gar nicht“ auszukennen. Mädchen schätzen ihre eigene Kompetenz geringer ein als Burschen. Dass sich 56 Prozent der weiblichen, aber nur 36 Prozent der männlichen Jugendlichen selbst mangelndes Finanzwissen attestieren, könnte aber auch am Selbstbewusstseins-Gap zwischen den Geschlechtern liegen. So oder so stresst beide Geschlechter der Umgang mit Geld, 51 Prozent fühlen sich mit dem aktuellen Stand ihrer Finanzbildung unzureichend auf die Zukunft vorbereitet.
Die Österreichische Nationalbank (OeNB) steuert dagegen, indem sie besonders früh ansetzt: Im Rahmen der Kids-Tour transportiert der Euro-Bus seit 2008 Basiswissen zu Volksschüler:innen im ganzen Land. Er vermittelt Grundlagen zur Funktion von Geld, aber auch Wissen zum Angreifen: etwa über die Sicherheitsmerkmale von Euro-Scheinen. Für 13- bis 14-Jährige sowie alle darüber bietet die OeNB zudem zwei interaktive Workshops an – wahlweise in der eigenen Schulklasse oder in den Räumlichkeiten der Nationalbank am Wiener Otto-Wagner-Platz. Und für interessierte Eltern, die ihre Kinder finanzfit machen wollen (aber auch nicht alle Fragen aus dem Stegreif beantworten können), stellt die Nationalbank ein Online-Vortragsangebot auf ihrer Website zur Verfügung.
Sara, 18
„Ich wohne noch bei meinen Eltern, beteilige mich aber an der Miete. Ich führe ein Haushaltsbuch, könnte aber ein paar Spartipps gebrauchen.“
Wie glücklich macht Geld?
Die kostenlosen, externen Angebote werden freilich nicht nur von Schüler:innen und Eltern dankbar angenommen. Auch die Lehrer:innen empfangen die Coaches mit offenen Armen. Thomas Wallisch, einer von zwei Fachkoordinatoren an der Berufsschule Embelgasse, schätzt den Praxisbezug, den die Expert:innen in die Schule bringen: „Wenn die Schuldenberatung über konkrete Fallbeispiele aus ihrem Alltag berichtet, macht das mehr Eindruck auf die Klasse, als wenn ihr gewohnter Lehrer vor dem Schuldenmachen warnt.“ Auch Karin Ruck, die BWL-Lehrerin der eingangs erwähnten 2a, ist für die lebensnahen Praxistipps dankbar: „Viele unserer Schüler:innen kommen aus Familien mit finanziellen Problemen. Sie sind besonders interessiert daran, solides Wissen über den Umgang mit Geld zu erwerben.“
Zwei Stunden nach Workshop-Beginn hat sich die Stimmung in der 2a deutlich verändert. „Geld ist doch nicht nur Glück“, modifiziert jetzt eine der Wortführerinnen vom Anfang ihr Eröffnungsstatement. Sara, Lena und Mohammad fanden das erste Finanzführerschein-Modul „sehr informativ“. Die drei, die in der Gruppe zu den Stilleren gezählt hatten, outen sich jetzt als insgeheim Fortgeschrittene. Eine ist dank eigenem Motorrad schon mit Versicherungen vertraut. Der andere hat den Großteil seiner Lehrlingsentschädigung angespart und will das Geld gewinnbringend anlegen. Die Dritte führt bereits Haushaltsbuch. „Meine ersten zwei Gehälter hatte ich nach einer Woche ausgegeben“, sagt sie, „Aber jetzt achte ich darauf, was ich ausgebe und was ich mir verkneife.“
Text: Alexander Lisetz