Klimawende Dividende
Nr. 1 - Nur Beteuern wird teuer
Fakt ist: Die Klimakrise belastet uns viel stärker als die schärfste Klimapolitik. Schon heute gehört Österreich zu den Top-Five-Ländern, die gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung am meisten für Klimawandelschäden ausgeben müssen. Aktuell liegen die Kosten – etwa für Hochwasserfolgen oder Ernteausfälle – bei mindestens zwei Milliarden Euro jährlich. 2050 werden es sechs bis zwölf Milliarden sein. Hinzu kommen indirekte Kosten, etwa durch Fehlinvestments wie umweltschädliche Förderungen oder aufgrund von Wertschöpfungsverlusten durch ausbleibende Innovation. On top kommen Ausgaben für Klimawandelanpassungen. Derzeit sind es eine Milliarde Euro Steuergeld, für 2050 rechnet eine im Dezember 2024 vorgestellten Meta-Studie des Wegener Center der Uni Graz mit mehr als zwei Milliarden.
Nr. 2- Wackelnde Weltwirtschaft retten
Nichtstun ist auch global betrachtet keine Option. Im April 2024 bezifferte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) die ökonomischen Klimawandelschäden mit jährlich 32 Billionen Dollar. Nach Kritik wurde noch mal nachgerechnet. Das Ergebnis bleibt aber alarmierend und stellt bisherige Wirtschaftskrisen in den Schatten. Demnach erleidet die Weltwirtschaft als Folge bisheriger Emissionen bis 2049 einen mittleren Einkommensverlust von 17 Prozent, verglichen mit einer Ausgangssituation ohne Klimaauswirkungen. Der Rückgang ergibt sich aus geringeren Agrarerträgen, sinkender Arbeitsproduktivität durch Hitzewellen oder niedrigeren Pegeln, die den schwimmenden Logistikverkehr stören. Vor einer weiteren Gefahr warnte Anfang 2025 US-Investor Warren Buffett: Versicherungspleiten, deren Auswirkungen jene des Lehman-Zusammenbruchs übersteigen könnten.
Nr. 3 - Eh im Budget
Ja, Klimaschutz kostet. Umweltbundesamt und IHS beziffern die benötigten Mittel, um 2040 CO₂-neutral zu sein, auf 750 bis 1.200 Milliarden Euro. Doch ein Großteil der Investitionen – etwa für den Erneuerbaren-Ausbau oder die thermische Gebäudesanierung – sind sowieso fällig. Und die für das tatsächliche Erreichen der Klimaziele notwendigen zusätzlichen sechs bis elf Milliarden Euro pro Jahr ließen sich stemmen, „wenn man klimaschädliche Subventionen streicht, wie etwa das Dieselprivileg“, sagt IHS-Ökonom Klaus Weyerstrass. Die 4,6 bis 9,2 Milliarden, die laut Rechnungshof 2030 für Zertifikatszukäufe drohen, könnte man sicher auch besser einsetzen. Ebenso die rund acht Milliarden, die jährlich für fossile Importe ins Ausland abfließen. Und manche Klimaschutzmaßnahmen kosten ja auch überhaupt so gut wie nichts: ein Tempolimit von 100 km/h auf den Autobahnen etwa, das so viel CO₂ einspart, wie die Förderung von Gebäudesanierungen und Heizungen.
Nr. 4 - Win-Win für die (Wert-)Schöpfung
Bei Klimaschutz-Kosten handelt es sich tatsächlich um Investitionen, für die wir etwas bekommen: eine lebenswertere Umwelt, bessere Infrastruktur, klimafittere Gebäude, eine effizientere Industrie … So hat das Umweltbundesamt 2022 errechnet, dass durch Mehr-Investitionen von rund 145 Milliarden Euro bis 2030 in den Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr jährliche Wertschöpfungseffekte von durchschnittlich 2,4 Prozent des BIPs erwirtschaftet werden. Klimafragen-Institut Kontext und Cambridge Econometrics zeigten zudem: 2050 könnte unser BIP in einem Szenario mit zukunftsfähiger Industriepolitik (Fokus auf Dekarbonisierung, Energieeffizienz und europäische Produktion von Zukunftstechnologien) um 23 Milliarden Euro bzw. 3,3 Prozent über dem „Business as usual“-Szenario liegen. Die Wegener-Center-Studie spricht von einer doppelten Dividende: wachsendes BIP bei gleichzeitiger Reduktion von CO₂-Emissionen.
Nr. 5 - Billiger, billiger
Die Austrian Gas Grid Management AG errechnete, dass die volkswirtschaftlich optimierten Kosten des zukünftigen Energiesystems ca. acht Prozent des für 2040 prognostizieren BIPs entsprechen, während die Kosten des heutigen Systems ca. neun Prozent des BIPs betragen. Auf lange Sicht spart Klimaschutz also sogar Geld und nebenbei entlastet er auch den öffentlichen Haushalt, der zwischen 2022 und 2024 über 13 Milliarden Euro an Förderungen ausschüttete, um die hohen Kosten der fossilen Energie für die Bürger:innen abzufedern. Laut Kontext-Studie würde 2050 jeder Euro, der in zukunftsfähige europäische Industriezweige investiert wird, zudem dreifach zurückfließen. Leonie Wenz, PIK-Klimaforscherin und Co-Autorin der erwähnten „Nature“-Studie, betonte sogar, dass die klimawandelbedingten Wirtschaftsschäden bis 2050 bereits sechsmal höher sein werden als die für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens nötigen Investitionskosten.
Nr. 6 - Standort Österreich sichern
Ja, als kleine offene Volkswirtschaft steht Österreich stark in internationaler Konkurrenz, und natürlich beeinflussen hohe Investitionen die Wettbewerbsfähigkeit. Insofern, als Klimaschutzinvestitionen jedoch global getätigt werden – dazu haben sich die Staaten der Welt ja gemeinsam verpflichtet –, sei dies neutral im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Volkswirtschaften, so das IHS. Vielmehr profitiert der Wirtschaftsstandort, wenn die Industrie resilienter wird – sei es durch geringere fossile Importe oder die Einsparung von Rohstoffbeschaffungs- und Abfallentsorgungskosten durch die Kreislaufwirtschaft, die dazu noch die Versorgungssicherheit erhöht, den Investitionsbedarf senkt und die Bruttowertschöpfung erhöht.
Nr. 7 Stärken stärken
Große Klimaziele treiben Innovationen und nachhaltige Geschäftsmodelle voran und verschaffen Unternehmen so Marktvorteile in Zukunftsbranchen. Insbesondere der innereuropäischen Produktion von E-Fahrzeugen, PV-Anlagen, Windturbinen, Batterien und Elektromotoren bescheinigt das Vienna Institute for International Economic Studies Potenzial, Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit zu heben. Hier und auch in der Kreislaufwirtschaft ist Österreich bereits stark – das heimische Plastik-Recycling hat etwa eine Innovationsrate, die vierfach über der durchschnittlichen liegt. Markt- und Exportstärkung könnten hier effizient ansetzen, zum Beispiel durch die öffentliche Beschaffung. Der Weltmarkt für Klimatechnologien wächst bis 2030 jedenfalls laut Boston Consulting Group auf über 14.000 Milliarden Dollar.
Nr. 8 - Mit Netto-Null Kapital anziehen
2022 sammelten Klima-Start-ups weltweit 82 Milliarden Dollar von Investor:innen ein – mehr als je zuvor. Auch an den Börsen läuft’s rund für Unternehmen, die auf Kreislaufwirtschaft und Co setzen. Laut einer PwC-Studie legen Investor:innen nämlich Wert auf Klimaschutz. Nicht (nur) aus moralischen Gründen, sondern weil sie Klimaschutzmaßnahmen als eine der fünf Top-Prioritäten für den Geschäftsbetrieb sehen und in ESG-Geldanlagen das Potenzial, ihre Rendite zu erhöhen. „Die erfolgreiche Umsetzung des Wandels hin zur Netto-Null ist daher auch ein wichtiger Schritt, um Kapital anzuziehen“, so Agatha Kalandra, Leiterin des Bereichs Clients & Markets bei PwC Österreich.
Nr. 9 - Jobs, Jobs, Jobs
Sicher, der Umbau der Wirtschaft wird in manchen Branchen Stellen kosten, Berufsbilder verändern, Qualifizierung erfordern. Aber er wird auch ein Jobmotor sein und selbst Arbeitslosen und Personen mit niedrigerer, formaler Qualifikation Chancen bieten, so eine Studie von WIFO und abif im Auftrag des AMS. Derzeit gibt es hierzulande 536 klimarelevante Berufe, fast fünf Prozent der Österreicher:innen sind schon in diesen beschäftigt. Und nach Schätzungen werden bis 2030 bis zu 100.000 weitere Fachkräfte benötigt, etwa für den Heizungstausch, die Gebäudesanierung und den Erneuerbaren-Ausbau, beim Recycling und Abfallmanagement oder in der Grünraumpflege. 2022 wurden bereits rund 8.000 Personen durchs AMS für solche Green Jobs qualifiziert.
Nr. 10 - Sozial ist es auch nicht egal
Auch die Gesellschaft profitiert von der Wirtschaftswende. So führt etwa Kreislaufwirtschaft nicht nur zu mehr Beschäftigung, sondern entlastet durch langlebigere Produkte auch Haushalte mit geringem Einkommen. Aktuelle Daten zeigen zudem, dass Armutsgefährdete besonders von hohen Energiekosten betroffen sind. 2023 konnten fast vier Prozent der Österreicher:innen laut E-Control ihre Wohnung nicht warmhalten. Günstigere erneuerbare Wärme mindert diese soziale Schieflage. Viele Klimaschutzmaßnahmen steigern auch die Lebensqualität und Gesundheit – durch kühlere Städte etwa, mehr Biodiversität oder reinere Luft. Allein 2021 waren in Österreich rund 4.500 vorzeitige Sterbefälle auf Feinstaub zurückzuführen. Weltweit könnte ein ungebremster Klimawandel laut Weltwirtschaftsforum bis 2050 bis zu 14,5 Millionen zusätzliche Todesopfer fordern.
Nr. 11 - Ausgleichende Gerechtigkeit
Von den Folgen des Klimawandels sind nahezu alle Länder betroffen. Doch PIK-Prognosen zeigen auch: Die Menschen im globalen Süden werden Einkommensverluste erleiden, die 60 Prozent höher sind als jene in den Industrieländern. Das Geld, das reichere Nationen wie Österreich durch einen Strukturwandel sparen, könnte auch zur Unterstützung in jene ärmeren Regionen fließen, die am stärksten von Klimaschäden betroffen sind, obwohl sie am wenigsten zu den globalen Emissionen beigetragen haben. So ließe sich die enorme Ungleichheitskomponente zumindest etwas entschärfen. Wenn Klimaschutz und Entwicklung zusammen gedacht werden, könnten laut OECD bis 2050 rund 175 Millionen Menschen aus extremer Armut entkommen und die Klimamigration eingedämmt werden.
Nr. 12 - Aller Anfang ist gemacht
Angesichts der aufgezeigten Klimaschutz-Dividenden stellt sich eigentlich nur noch eine Frage: Wie weit sind wir in Österreich? Dieses profil Extra zeigt: Es gibt Luft nach oben. Aber in vielen Bereichen stehen wir bereits heute gar nicht so schlecht da. Darauf lässt sich aufbauen. Mit klugen Maßnahmen, klaren, verlässlichen Regeln und geeigneten Förderungen und Steuern können wir gleichzeitig Emissionen senken, Wohlstand und Lebensqualität absichern und Menschen spürbar entlasten.
Text: Daniela Schuster