Faktencheck: Kickls Falschbehauptungen im Sommergespräch

Der FPÖ-Chef zeigte sich im ORF-Format angriffslustig – aber nicht unbedingt faktentreu. Fünf seiner Aussagen zu Arbeitskräften, Klima und Identitären waren irreführend oder schlicht falsch.

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Herbert Kickls Paradedisziplin ist der Angriffsmodus. Im ORF-Sommergespräch teilte der FPÖ-Chef in alle Richtungen aus, nicht einmal vor dem Bundespräsidenten machte er Halt. Im Einstecken ist der freiheitliche Frontmann freilich weniger souverän. faktiv, der Faktencheck von profil, identifizierte fünf Behauptungen von Kickl, die einem Recheck durch Experten und Gerichtsakten nicht standhalten. Damit konfrontiert, reagierte der FPÖ-Parlamentsklub patzig: "Bezugnehmend auf Ihre Anfrage weisen wir Sie darauf hin, dass die FPÖ keine Rechercheplattform ist, sondern eine politische Partei. Wir geben Ihnen allerdings den Tipp, Ihren Recherche-Horizont von geschätzten 60 Grad auf 360 Grad zu erweitern, dann dürften Sie auf entsprechende Quellen und Belege stoßen."

Diese Ermittlungen [in der Spesen-Affäre] richten sich gegen Heinz-Christian Strache und nicht gegen die Freiheitlichen.

Herbert Kickl

ORF-Sommergespräch 2023

Falsch

Kickl war im Sommergespräch bemüht, die blaue Spesenaffäre als reines Problem von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hinzustellen. Doch das ist es nicht.

Kurzer Rückblick: Die blaue Spesenaffäre wurde wenige Tage vor der Nationalratswahl im Herbst 2019 öffentlich. Der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wird verdächtigt, seit seiner Übernahme der Parteiobmannschaft im Jahr 2006 bis zu seinem Rücktritt im Mai 2019 private Spesen in großem Stil über die Partei abgerechnet zu haben. Strache und ehemalige Mitarbeiter von ihm sollen private Rechnungen durch Scheinbelege als berufliche Spesen deklariert haben.

So weit, so bekannt. Allerdings ließ Kickl im Sommergespräch unerwähnt, dass die Staatsanwaltschaft Wien in dieser Causa neben Strache auch eine ganze Reihe blauer Spitzenfunktionäre als Beschuldigte führt bzw. führte, die bis heute im Amt sind. Darunter etwa: Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp, EU-Delegationsleiter Harald Vilimsky und die Bundesgeschäftsführer Joachim Stampfer und Hans Weixelbaum. Vilimsky wird ähnlich wie Strache verdächtigt, private Ausgaben als Spesen abgerechnet zu haben. Gegen Straches Ex-Fahrer, er ist ebenfalls bis heute in der FPÖ Wien aktiv, wurde jüngst ein Strafantrag gestellt – er soll ebenfalls von Spesenabrechnungen profitiert haben. Die Genannten haben die Vorwürfe stets zurückgewiesen, für sie gilt die Unschuldsvermutung.

Fest steht: Die Ermittlungen richten sich bei weitem nicht nur gegen Strache und könnten damit auch für die amtierende FPÖ-Riege zum Problem werden.

[Arbeitskräftemangel] ist ja ein Phänomen, das uns schon länger begleitet und das ist natürlich auch ein Ergebnis einer ganz grundlegend verfehlten Corona-Politik.

Herbert Kickl

ORF-Sommergespräch 2023

Irreführend

Herbert Kickl urlaubt bevorzugt in den österreichischen Bergen, auch heuer. Ob ihm dabei auch der Fachkräftemangel aufgefallen sei, ließ er im Sommergespräch unbeantwortet, eines ist aber sicher: Der Arbeitskräftemangel im Tourismus sei auch auf die "verfehlte Corona-Politik" der Bundesregierung zurückzuführen.

Laut Wirtschaftskammer fehlen derzeit etwa 25.000 bis 30.000 Arbeitskräfte in der Branche. Freilich wurde der Fachkräftemangel nicht durch die Pandemie ausgelöst, wie Oliver Fritz vom Wirtschaftsinstitut Wifo erklärt: Schon vor Corona fehlten im Tourismus Arbeitskräfte. "Die Pandemie hat die Situation nicht entspannt, tatsächlich haben sich einige Leute wegorientiert und sind zum Beispiel in die Pflege gegangen", so Fritz. 

Als Positivbeispiel führte Kickl im Sommergespräch die Schweiz an: Dort habe man den Tourismus in einem höheren Ausmaß weiterlaufen lassen, während den Österreichern die Corona-Saison, in denen viele Hotels zugesperrt blieben, "auf den Kopf fällt". Kritiker der österreichischen Corona-Politik würden die Schweiz immer wieder als Positiv-Beispiel heranziehen, sagt Oliver Fritz:  "Allerdings gibt es auch in der Schweiz einen Fachkräftemangel im Tourismus", argumentiert der Ökonom.

Auch Monika Köppl-Turyna, die Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstitutes EcoAustria, bestätigt: "Ausschließlich auf Corona ist der Arbeitskräftemangel natürlich nicht zurückzuführen. Was auf jeden Fall stimmt ist, dass weniger Lehrlinge angefangen haben, weil viele Betriebe zu hatten. Diese Kohorte fehlt. Arbeitskräfte aus anderen Ländern sind während Corona verstärkt zu Hause geblieben und haben sich beruflich umorientiert. Grundsätzlich sind die Probleme eher struktureller Natur, in der Gastronomie wie in anderen Bereichen."

Kickls Argumentation ist also irreführend: Zwar lässt er einleitend anklingen, dass der Arbeitskräftemangel "auch" eine Folge der Corona-Politik ist und stellt somit in den Raum, dass es weitere Faktoren gibt. Er spricht diese aber nicht an und lässt ebenso unerwähnt, dass viele Tourismus-Kräfte der Branche aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen den Rücken kehren. "Die Aussage kann man so nicht stehen lassen, denn wir haben generell ein Arbeitskräfteproblem, nicht nur im Tourismus. Der hat damit mehr zu kämpfen, weil die Arbeitsbedingungen anders sind: Arbeit am Abend, die Bezahlung liegt unter dem Durchschnitt"; so der Ökonom Oliver Fritz. Das deckt sich auch mit einer Erhebung der Arbeiterkammer Oberösterreich. Demnach ist die Drop-out-Quote bei Lehrlingen etwa in der Gastronomie deutlich höher als in anderen Branchen. Zwischen 2018 und 2020 betrug diese etwa bei bei Köchinnen und Köchen 40,7 Prozent, im Durchschnitt aller Branchen aber nur 27,5 Prozent.

Die Identitären [sind] eine NGO von rechts. […] Wenn die Identitären ein politisches Projekt oder eine Initiative betreiben, die aus unserer Sicht in Ordnung ist, ja, warum soll ich das nicht unterstützen? Das ist genau das gleiche, wie wenn Greenpeace irgendwo politisch etwas vorantreibt.

Herbert Kickl

ORF-Sommergespräch 2023

Falsch

Die rechtsextremen Identitären haben mit der Umweltschutz-NGO Greenpeace nur eine Gemeinsamkeit: Sie machen mit aktionistischen Inszenierungen auf ihre Forderungen aufmerksam. Damit enden die Überschneidungen aber auch schon. Denn die Umweltschützer stehen bekanntlich nicht unter besonderer Beobachtung des Verfassungsschutzes, die Identitären und ihre Nachfolgeorganisation "Die Österreicher" allerdings schon. Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ortet bei den Identitären im aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 "verfassungsgefährdende Argumentationslinien".

Darunter fällt die Verbreitung der Verschwörungstheorie, wonach die Regierung einen "Bevöl­kerungsaustausch" vorbereite. Auch die Forderung nach einer "Remigration" für alle Menschen mit Migrationshintergrund stellt laut den Verfassungsschützern "einen Angriff auf bestehende liberal-de­mokratische und rechtsstaatliche Strukturen dar". Die Identitären wollen den liberalen Rechtsstaat als die eigentliche Gefahr für die Bürgerin und den Bürger darstellen, heißt es im Bericht. Die Netzwerke der Identitären haben es in sich: Sie arbeiten laut DSN mit rechtsextremen Hooligan-Gruppierungen und Vertretern aus der rechtsradikalen Staatsverweigerer-Szene zusammen. Quintessenz: "Somit manifestiert sich in diesen Netzwerken ein weites und tiefgehendes Problemfeld mit sicherheitsrelevanter Herausforderung."

Kickls Gleichsetzung von Greenpeace und den Identitären ist somit mehr als zweifelhaft. Der Rechtsextremismus-Experte Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) bezeichnet den Vergleich als "ebenso grobe wie gezielte Verharmlosung". Das DÖW klassifiziert die Identitären als "rechtsextreme Jugendorganisation mit vielfältigen faschistischen Anklängen in Theorie, Ästhetik, Rhetorik und Stil". Symbole der Identitären und der "Österreicher" sind seit 2021 in Österreich verboten. Galionsfiguren der rechtsextremen Gruppen wurden bereits vor Jahren von Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter (heute: X) und der Videoplattform YouTube gesperrt.

Hinter Kickls Versuch, die Identitären zu normalisieren, steckt System: Während sich sein Vorgänger als FPÖ-Obmann, Norbert Hofer, noch öffentlich von den rechtsextremen Aktivisten abgrenzte, sucht Kickl die Nähe zum rechten Rand – beim Kongress der "Verteidiger Europas", wo er vor Identitären eine Rede hielt. FPÖ-Generalssekretär Michael Schnedlitz verkündete im Jahr 2020, dass es mit der "Distanziererei" gegenüber den Identitären jetzt endgültig vorbei sei.

Fazit: Nur weil die FPÖ die Identitären schönredet, wird aus der Truppe noch keine harmlose NGO. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die Verbreitung von Verschwörungstheorien und die Gefahr für die liberale Demokratie, die von ihnen ausgeht, unterscheiden sie sehr deutlich von NGOs wie Greenpeace.

Das heißt natürlich, dass wir erneuerbare Energien ausbauen, aber dass wir nicht übers Knie eine Komplett-Umstellung des Systems in ein paar Jahren, die hunderte Milliarden Euro kostet und unsere Wirtschaft zerstört und nur die Chinesen fördert, auch noch unterstützen.

Herbert Kickl

ORF-Sommergespräch 2023

Irreführend

Herbert Kickl hat viele Feindbilder: Den Bundespräsidenten, dem er Demokratie lernen will, die "Scheinopposition" und in wirtschaftlichen Fragen auch "die Chinesen". Die würden nämlich hauptsächlich von einer Umstellung auf erneuerbare Energien profitieren, argumentiert der FPÖ-Chef. Klimaökonom Steininger relativiert: "Gerade bei den Erneuerbaren haben wir einen viel höheren Eigenanteil, derzeit importieren wir mehr als 70 Prozent unserer Energieträger aus dem Ausland. Wir werden bei den Erneuerbaren nicht unabhängig vom Ausland sein, aber einen viel größeren Anteil selber decken können. Wir fördern also primär die heimische Wirtschaft."

Dabei kommt es aber auch auf die Herstellung an. "Manche Länder stellen eben billiger her, und zur Zeit ist das bei PV-Anlagen China. Bei Speichern haben wir aber noch eine Chance, dass wir in Europa ins Geschäft kommen, und da liegt es auch an der Industriepolitik und daran, ob und wie wir Forschung fördern", erklärt Steininger. Und: "Österreich hat in der Umwelttechnologie einige Stärkefelder, zum Beispiel bei der Sanierung von Häusern, bei Energieerzeugung mit Fassaden und insbesondere im Bahn-Verkehr, zum Beispiel bei Schienen und Steuertechnologie. Es gibt also eine Reihe von Sektoren, wo die österreichische Wirtschaft - mit einer klugen Politik - ganz besonders von der Klimawende profitieren kann." Kickls Prognose ist also irreführend.

Der Weltklimarat sagt [selber], dass sie keine wissenschaftlich fundierten Aussagen dazu machen können, welche Wetterentwicklungen aus der Erderwärmung hervorgehen.

Herbert Kickl

ORF-Sommergespräch 2023

Irreführend

Eine "Glaubenskongregation" sei der Weltklimarat der Vereinten Nationen, so Kickl im Sommergespräch. Der Rat habe sich das "unwahrscheinlichste, worst case scenario als Marke definiert" und würde darüber hinaus selbst sagen, keine wissenschaftlich fundierten Aussagen darüber treffen zu können, zu welchen Wetterveränderungen die Erderwärmung führen kann.

Kickl spielt auf ein besonderes Instrument des Klimarates an. In den sogenannten "Assessment Reports", zu Deutsch den "Sachstandsberichten", wird der Forschungsstand zum Klimawandel objektiv evaluiert. Jede Erkenntnis stützt sich dabei auf eine Bewertung der zu Grunde liegenden Belege, wie der Grazer Klimaökonom Karl Steininger erklärt: "Der Weltklimarat sagt immer genau dazu, wie sicher das Wissen bei den einzelnen Aussagen ist, und misst das in zwei Dimensionen: Wie viele Untersuchungen und Studien es zu einem Thema gibt, und der Grad der Übereinstimmung dieser Studien." Mit einer Skala von sehr gering bis sehr hoch wird also nach jeder Aussage transparent gemacht, wie sehr sie von Studien gestützt wird. Wissenschaftlich gesichert ist laut Weltklimarat, dass die Erderwärmung Wetterextreme wie Starkregen und eine Erhöhung extremer Temperaturen befeuert. Nicht jedes Wetterextrem in der Gegenwart lässt sich aber eindeutig dem Klimawandel zuordnen.

Die Aussagen des Weltklimarates sind natürlich wissenschaftlich fundiert, so Steininger weiter: "Das ist ja genau das Wesen dieser Berichte. Herr Kickl sagt, dass der Weltklimarat nicht weiß, was in Zukunft passieren wird: Das entspricht absolut nicht den Tatsachen. An einem Beispiel: Wärmere Luft nimmt mehr Wasser auf, und dementsprechend regnet es auch mehr ab. Wenn der Boden das Wasser nicht aufnehmen kann, dann kommt es überproportional oft zu Murenabgängen. All das wissen wir mit Sicherheit, das sind Naturgesetze, die wohl auch Herr Kickl nicht ändern kann."

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.