Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK)
Faktencheck

Weniger Psychotherapieplätze als von Krankenkasse angekündigt

Die psychische Gesundheit der Menschen hat durch Corona massiv gelitten. Die ÖGK will die kassenfinanzierten Therapieplätze aufstocken. Aber verzögert.

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20.000 zusätzliche Plätze für Psychotherapie soll es bis Herbst 2021 geben“

2. Juli 2020 - Pressemitteilung der ÖGK

Lockdowns, Einsamkeit, Ungewissheit: Während Corona hat sich die psychische Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher massiv verschlechtert. Depressive Symptome treten bei 26 Prozent der Bevölkerung auf, bei Schülerinnen und Schülern sind es gar 55 Prozent, so Studien der Donau-Universität Krems.

Die von der Krankenkassa bezahlte Versorgung mit Psychotherapie in Österreich entspricht diesem Bedarf nicht einmal ansatzweise – schon im Jahr 2019 gab es daran massive Kritik des Rechnungshofes, zu einem ähnlichen Urteil kam auch die OECD bereits 2015. Die türkis-grüne Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm eine „Bedarfsdeckung“ bis 2024 festgeschrieben. Dort heißt es: „Substanzieller stufenweiser bedarfsorientierter Ausbau der Sachleistungsversorgung bis 2024 im Bereich der psychischen Gesundheit, Ziel: Bedarfsdeckung“

Das war vor Corona - der Bedarf hat sich seither nur noch erhöht. Im Juli 2020 vermeldete die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) in einer Aussendung schließlich, dass es bis Herbst 2021 20.000 zusätzliche Psychotherapie-Plätze auf Kassenkosten geben solle. Das sind um 30 Prozent mehr, als zum damaligen Zeitpunkt vorhanden waren, so die ÖGK. Was ist seither passiert? Wurde die Ankündigung umgesetzt?

Dazu muss man wissen, dass die psychotherapeutische Versorgung in Österreich in Kontingenten organisiert ist. Das heißt, es gibt eine gewisse Anzahl an Patienten, die maximal auf Kosten der Krankenkasse versorgt werden. Dieses Kontingent wird in Stunden festgelegt. Pro Therapieplatz werden laut der Vereinigung österreichischer Psychotherapeutinnen und -therapeuten im Durchschnitt 15 Stunden Therapie veranschlagt.

„Die ÖGK hatte sich am Anfang mehr vorgenommen“

Laut Pressemitteilung sollten der Bevölkerung die 20.000 zusätzlichen Psychotherapieplätze bis Herbst 2021 - also bis jetzt - zur Verfügung stehen. Doch daraus wurde nichts. Die ÖGK verschob ihr Vorhaben nach hinten und plant, die 20.000 Plätze - das entspricht 300.000 Einzel-Therapiestunden pro Jahr - bis 2023 zur Verfügung zu stellen. Warum wurde die Ankündigung vom Vorjahr nicht umgesetzt? Auf nochmalige Nachfrage von profil, erklärte die ÖGK ihr gebrochenes Versprechen mit einem Fehler: Die Presseaussendung mit der Zusage sei leider fehlerhaft formuliert worden, der Referent des ÖGK-Obmannes habe sich wohl geirrt. Doch auch Peter Stippl, Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP), sieht eine Verzögerung: „Die ÖGK hatte sich am Anfang mehr vorgenommen.“

Die Umsetzung soll nun stufenweise erfolgen, indem 50 Prozent der angekündigten 20.000 Plätze bis Ende 2021 dazukommen - und jeweils etwa 25 Prozent in den Jahren 2022 und 2023. Bis Ende dieses Jahres sollen also zumindest 10.000 kassenfinanzierte Plätze dazukommen, die Hälfte des ursprünglichen Versprechens. Wie weit ist das fortgeschritten?

Die ÖGK sagt auf profil-Nachfrage: „In den meisten Bundesländern ist die Aufstockung für das Jahr 2021 bereits zur Gänze umgesetzt. In Niederösterreich erfolgte bereits eine teilweise Umsetzung und in Wien und Salzburg sind die Gespräche mit den Vertragspartnern bereits sehr weit fortgeschritten.“

Von einer Bedarfsdeckung weit entfernt

Peter Stippl vom Psychotherapie-Verband gesteht der Kasse zu, dass etwas weitergegangen ist. Ein größerer Plan fehle allerdings: „Die Aufstockung ist ein Etappensieg, aber die Marschrichtung ist unklar.“ Der Bedarf an Psychotherapie habe sich durch die Corona-Krise massiv erhöht, insofern sei man von einer Bedarfsdeckung, wie sie im Regierungsprogramm festgeschrieben steht, weit entfernt.

Doch Stippl geht es um mehr – am liebsten wäre ihm, die Kontigente würden komplett abgeschafft: „Es gibt keine andere, von der WHO (Weltgesundheitsorganisation, Anm.) anerkannte Krankheit, die nicht nach Bedarf, sondern nach Kontingenten versorgt wird.“

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein bekennt sich immer wieder zur Wichtigkeit eines niederschwelligen Zugangs zu psychologischer Betreuung, sieht die Verantwortung aber bei der ÖGK, wie seine Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zum Thema zeigt: „Es liegt in der Ingerenz (also im Einflussbereich, Anm.) der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, im Rahmen der ihnen vom Gesetzgeber eingeräumten Selbstverwaltung, entsprechende Maßnahmen zu setzen.“ Diese wolle aber wohl, so vermutet jedenfalls Peter Stippl, mehr Budget dafür.

Jede Verzögerung kann teuer werden. Das zeigte der Rechnungshof in seinem Bericht zur Versorgung psychisch Erkrankter durch die Sozialversicherung von 2019 auf: „Die Aufwendungen für Invaliditätspension und Rehabilitationsgeld aufgrund von psychischen Erkrankungen stiegen zwischen 2007 und 2016 um rund 62 %, die Zahl der psychisch bedingten Krankenstandstage bei Erwerbstätigen um rund 94 %. Der Rechnungshof bewertete die Mehraufwendungen für Krankheitsfolgen aufgrund psychischer Erkrankungen im Jahr 2016 mit rund 300 Mio. Euro.“

Die Regierung hat das Thema jedenfalls am Radar: Ende Juli kündigten Minister Mückstein und Bildungsminister Heinz Fassmann an, dass bis Ende 2022 im Bereich der Bewältigung akuter psychischer Probleme von Kindern und Jugendlichen zusätzlich 13 Millionen Euro fließen sollen. Spätestens dann wir es Zeit für den nächsten Faktencheck.