Faktencheck

ÖVP liegt falsch: Windräder sind auch in Tirol wirtschaftlich sinnvoll

Tirols Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) behauptet, der Ausbau von Windenergie würde sich im Bundesland nicht rechnen. Weit daneben: Tatsächlich könnten wohl über 50.000 Haushalte mit Strom aus Windkraft versorgt werden.

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In Tirol müssen wir massive Eingriffe sozusagen im Hochgebirge machen, sehr kostenaufwendig und deshalb ist die Windkraft zwar möglich umzusetzen, aber wirtschaftlich wenig sinnvoll.

Josef Geisler

Landeshauptmann-Stellvertreter Tirol (ÖVP), Ö1-Morgenjournal, 9. Mai 2022

Größtenteils falsch

Hassobjekt oder liebgewonnenes Symbol der Klimawende: Windräder. Während sie im Burgenland aus dem Landschaftsbild nicht mehr wegzudenken sind, sträubt sich Tirol vehement gegen den Bau von Windparks. Kein einziges Windrad gibt es bisher im Bundesland. Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler von der ÖVP bezeichnete Windkraft in Tirol im Ö1-Morgenjournals als "wirtschaftlich wenig sinnvoll" – aufgrund der großen Höhe, in der die Anlagen gebaut werden müssten. Dem widersprechen zahlreiche Experten und sogar eine Studie, die vom Land selbst in Auftrag gegeben wurde. 

Um den Stromverbrauch bis 2030 zu 100 Prozent aus heimischen erneuerbaren Energieträgern zu decken, wie es im Regierungsprogramm festgelegt ist, braucht es laut dem gemeinnützigen Verein der Österreichischen Energieagentur die Mitarbeit aller Bundesländer. Zehn Terawattstunden Stunden mehr Strom sollen bis 2030 aus Windkraft erzeugt werden (zum Vergleich: 2021 wurden in Österreich insgesamt etwa 73,5 Terawattstunden verbraucht). 

In Tirol sieht die Agentur dafür immerhin ein Ausbaupotenzial von 0,2 Terawattstunden (200 Gigawattstunden). Zahlen, die sich mit einer Studie aus 2014 im Auftrag des "Energiebeauftragten des Landes Tirol" decken. Sie kommt zum Fazit: "Aus energiewirtschaftlicher Sicht liegt das technisch-wirtschaftliche Windenergiepotenzial in Tirol bei etwa 3,5 bis 5,5 Prozent der Stromabgabe an Endkunden, die 2010 rd. 5600 Gigawattstunden verbraucht haben. Die Windkraft kann damit grundsätzlich auch im alpinen Tiroler Raum einen nennenswerten Beitrag zur Stromaufbringung und damit zur Tiroler Energiestrategie 2020 leisten."

Warum also die Skepsis der Tiroler Landesregierung? Eine Sprecherin von Landeshauptmann-Stellvertreter Geisler schickt faktiv eine Stellungnahme: "Der Zielwert für die Stromerzeugung aus Windkraft liegt in unserem Energie-Zielszenario 2050 bei 250 Gigawattstunden. (...) Das Potenzial und die Wirtschaftlichkeit von Windkraft sind jedoch im alpinen Gebiet anders zu bewerten als im Flachland. Abgesehen davon muss jedes konkrete Projekt einzeln betrachtet werden."

Die Wirtschaftlichkeit im alpinen Gebiet bezog jedoch auch die Studie aus 2014 bereits ein, die Geislers-Büro selbst auch faktiv zukommen ließ: "Vor diesem Hintergrund werden zur Abschätzung des technisch-wirtschaftlichen Windenergiepotenzials nur jene Windnutzungsflächen berücksichtigt, die den Betrieb von Windkraftanlagen mit zumindest 1500 rechnerischen Jahresvolllaststunden ermöglichen. In Summe kann damit für Tirol ein technisch-wirtschaftliches Windenergiepotenzial von rd. 230 Gigawattstunden pro Jahr abgeleitet werden. Etwa ¾ dieses Potentials liegt dabei im Bezirk Innsbruck-Land; daneben gibt es noch in den Bezirken Lienz, Reutte und Schwaz technisch geeignete Windnutzungsflächen mit grundsätzlich attraktiven wirtschaftlichen Randbedingungen."

Pro Jahr verbrauchen die österreichischen Haushalte durchschnittlich knapp 4500 kWh Strom (Statistik Austria 2017). Bei einem Windkraft-Potenzial von 230 Gigawattstunden, wären das über 51.000 versorgte Haushalte.

Kein einziges Windrad in Tirol

faktiv hat die Verfasser der Studie kontaktiert eine Consulting-Firma im Bereich der Energiewirtschaft. E3-Geschäftsführer Jürgen Neubarth unterstreicht die Ergebnisse von damals: "Es gibt in Tirol zwar nur ein kleines, jedoch energiewirtschaftlich nicht gänzlich vernachlässigbares technisch-wirtschaftliches Potenzial für die Nutzung der Windenergie." Die errechneten Potenziale lägen außerdem in durchaus zugänglichen Regionen. Neubarth ist sogar der Meinung, dass das Windkraft-Potenzial in Tirol inzwischen größer ist: "Tendenziell sollte das Potenzial gegenüber den Ergebnissen der damaligen Studie heute höher bewertet werden können, da sich die Windkrafttechnologie speziell auch für Schwachwindstandorte in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat." Auch der Strom-Großhandelspreis ist seither massiv gestiegen, zuletzt vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges. Also alles ein Politikum? Neubarth zitiert dazu Landeshauptmann Günther Platter aus 2012: "Wir sind ein Land der Gipfelkreuze und nicht ein Land der Windkraft." 

Laut Landesregierung liegt in Tirol momentan kein Antrag eines Betreibers auf die Errichtung einer Windkraftanlage vor. Anderswo in Österreich scheint es aber zu funktionieren: "Wir haben in der Steiermark mehr als 100 Windräder stehen. Alle diese Windräder stehen über 1400 Meter. (...) Die Betreiber in Österreich haben daher schon seit Jahrzehnten eine hohe Expertise für den Bau von Windrädern im Gebirge", so Martin Jaksch-Fliegenschnee vom österreichischen Interessensverband der Windkraft-Betreiber (IG Windkraft)  nur der politische Wille fehle. Die Politik solle sich um die Rahmenbedingungen kümmern. Wie man Windparks wirtschaftlich umsetzen könne, solle man den Betreibern überlassen, so Jaksch-Fliegenschnee: "Richtig ist, dass Betreiber sich derzeit scheuen in Tirol Windparks zu planen, weil es keine politische Unterstützung dafür gibt."

Fazit

Dass Windkraft in Tirol nicht wirtschaftlich wäre, wurde bereits in einer Studie 2014 ausführlich widerlegt. Auch wenn die Voraussetzungen schwieriger sind und jedes Projekt einzeln betrachtet werden muss, gibt es in Tirol ausreichend Potenzial. Geislers Aussage ist somit als größtenteils falsch zu bewerten.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.