EU-Abgeordneter Thomas Waitz

Waitz von den Grünen im Faktencheck: Ist neue Gentechnik gefährlich?

Beim Klimaschutz berufen sich die Grünen auf die Wissenschaft. Beim Einsatz von Gentechnik in der Pflanzenzucht ignorieren sie hingegen die Erkenntnisse der Forschung.

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Gentechnik ist in Österreich in etwa so populär wie Atomkraft - nämlich gar nicht. Alle Parteien stehen im Schulterschluss dagegen, einzig EU-Abgeordnete Claudia Gamon (Neos) zeigte sich zuletzt offen gegenüber der Technologie. Schon seit Jahrzehnten fahren NGOs und Handelsketten Kampagnen gegen grüne Gentechnik. Mit Erfolg: Das Label „gentechnikfrei” wurde zum Verkaufsschlager für Lebensmittel. Wissenschafter versucht seit Jahren vergeblich, Verständnis für ihre Technologie zu bekommen. Selten liegt die Beurteilung zwischen Fachleuten und der Bevölkerung so weit auseinander wie bei der grünen Gentechnik.

Für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen stammt die bisherige Gesetzgebung aus dem Jahr 2001. In der Zwischenzeit haben sich die Verfahren weiterentwickelt - sie wurden präziser. Um den gesetzlichen Rahmen den neuen technologischen Möglichkeiten anzupassen, forciert die EU-Kommission neue Richtlinien, um gentechnisch modifizierte Pflanzen in Kategorien zu unterteilen. Züchtungen mit bestimmten Veränderungen (NGT-1) sollen nunmehr mit konventionellen Züchtungen gleichgestellt werden, weil sie auch spontan oder auf anderem Weg hätten entstehen können – dazu später mehr. Pflanzen mit weitergehenden Veränderungen (NGT-2) unterliegen nach wie vor der strengen Regelung. Thomas Waitz, EU-Parlamentarier der Grünen Fraktion, zeigt sich empört. profil überprüft seine Bedenken.

Ein kurzer Exkurs über die Pflanzenzucht zeigt, dass die meisten Sorgen unbegründet sind.

Was unterscheidet die Genschere von der klasssichen Pflanzenzucht?

Pflanzen erfahren genetische Veränderungen (Mutationen) ganz ohne Gentechnik und ohne menschliches Zutun. Der Mensch profitiert seit Jahrtausenden von der Mutationsfähigkeit, um Pflanzen mittels Züchtung zu seinem Nutzen gezielt zu kultivieren. 

„Wildpflanzen möchten ihre Samen möglichst weit verbreiten. Der Mensch interessiert sich aber dafür, dass die Samen an der Pflanze bleiben, bis sie geerntet ist. Mit Züchtung handelt der Mensch gegen die Interessen der Pflanzen”, sagt Ortrun Mittelsten Scheid, ehemalige Forschungsleiterin für Molekularbiologie am Wiener Gregor Mendel Institut der Akademie der Wissenschaften. Es gehe darum, die für den Menschen positiven Eigenschaften einer Pflanze heranzuzüchten. Der Großteil der heute erhältlichen Lebensmittel wie Getreide, Bananen, oder Weintrauben sind erst durch jahrhundertelange Züchtung entstanden. Um Mutationen durch Züchtung zu erzeugen, benötigt es aber vor allem eines: Zeit. Um gewünschte Vorteile wie erhöhten Zuckeranteil, Ertrag oder Resistenz gegenüber Schädlingen hervorzubringen, können mitunter mehrere Generationen vergehen – im Falle von Kresse wenige Wochen, bei Obstbäumen mehrere Jahrzehnte.

Die wilde Banane - die großen Samen der Ur-Banane wurde vom Menschen weg gezüchtet.

Die wilde Banane

Dank Mutationen hat der Mensch die großen Samen der Ur-Banane zurückgedrängt.

In der klassischen Pflanzenzucht werden Mutationen mittels Einsatz chemischer Stoffe oder radioaktiver Bestrahlung (Mutagenese) erzeugt - übrigens auch für Sorten im Bio-Landbau. Die daraus resultierenden Mutationen sind aber zufällig - erwünscht als auch unerwünscht, und über das ganze Erbgut verteilt. Die unerwünschten Mutationen werden danach durch viele Kreuzungen „rausgezüchtet”, bis nur die gewünschten Eigenschaften einer Nutzpflanze übrig bleiben. In der EU werden gesetzlich auch solche Pflanzen als gentechnisch verändert beurteilt, unterliegen aber wegen nachgewiesener Unbedenklichkeit nur dem Sortenprüfverfahren – sie müssen kein Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Produkte durchlaufen.  

Die neue Gentechnik (NGT-1) beschleunigt den Prozess der Mutagenese, indem statt ungerichteter Bestrahlung präzise ein bestimmtes Gen verändert werden kann und damit unerwünschte Mutationen viel seltener werden. Im Gegensatz zur klassischen Trans-Gentechnik wird kein genetisches Material von außen eingesetzt. Durch Veränderung am selben Organismus beschränken sich die möglichen Mutationen auf den gleichen Rahmen wie bei den klassischen Züchtungsmethoden. Soll heißen: Das Endprodukt könnte auch in der herkömmlichen Züchtung entstanden sein, der Unterschied liegt lediglich im Herstellungsverfahren. Die neue Gentechnik ist auch als Genschere oder als CRISPR/Cas9-Verfahren bekannt - die beiden Wissenschafterinnen, die diese Entdeckung machten, wurden 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Braucht es Gentechnik in der Landwirtschaft?

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wächst in den nächsten 35 Jahren die Weltbevölkerung von acht auf zehn Milliarden Menschen. Es gilt, die Menschheit auch dann noch mit landwirtschaftlicher Produktion zu ernähren. Aber nach konventionellen Methoden hieße das: mehr Abholzung, mehr Bodenverbrauch  für Ackerbau und Viehzucht und damit mehr CO2-Freisetzung. Die Wissenschaft hält deshalb Gentechnik für einen von vielen möglichen Ansätzen, um mehr Flächeneffizienz zu erzielen, Landwirtschaft nachhaltiger zu machen und die Kulturpflanzen schneller und besser an die Klimaveränderungen anzupassen. In der Praxis muss die Gentechnik diese großen Versprechen freilich erst einlösen.

Sie wollen Ihr eigenes Vorsorgeprinzip hier nicht anwenden und Genehmigungen erteilen, ohne das geprüft wurde ob es gesundheitliche oder Umweltbedenken gibt.

Thomas Waitz, Die Grünen, 06.02.2024

Europäisches Parlament

Größtenteils falsch

Das Vorsorgeprinzip besagt, dass denkbare Risiken für Gesundheit und Umwelt schon im Vorfeld vermieden oder verringert werden sollten. In der Freisetzungsrichtlinie 2001/18 wird das Vorsorgeprinzip für die Züchtungen aus der Trans-Gentechnik (heute: NGT-2) reguliert – das gilt weiterhin. NGT-1 Züchtungen werden hingegen in den neuen Richtlinien als eigene Kategorie geführt und quasi klassischen Züchtungen gleichgestellt - was nicht bedeutet, dass sie unreguliert auf dem europäischen Markt landen können. „Eine gen-editierte Sorte durchläuft die ordentliche mehrstufige Sortenprüfung, welche auch für konventionelle Züchtungen gilt. Diese Sortenprüfung hat sich bewährt, um unerwünschte ökologische und gesundheitliche Nebenwirkung auszuschließen”, sagt Urs Niggli, Präsident des Instituts für Agrarökologie und ehemaliger Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landwirtschaft in Frick in der Schweiz

Geht es nach dem Schweizer Agrarwissenschaftler, ist Gefahrenvorsorge eine Frage der Abwägung des geringeren Risikos: „Eine Bio-Obstanlage muss über 40-mal mit Bio-Fungiziden die Kupfer, Betonit und Schwefel enthalten, behandelt werden. Das hat vermutlich ein größeres Risiko für die Gesundheit der Anwender und verursacht Bodenverdichtungen.”

In der Forschung kann man bis heute die Bedenken zur Gentechnik größtenteils nicht nachvollziehen. Schon 2014 untersuchte die italienische Universität Perugia über 1700 Studien zu den Auswirkungen von genmodifizierten Züchtungen in der Landwirtschaft auf Gesundheit und Umwelt. Die Metaanalyse konnte keine signifikanten Gefahren ausgehend von genetisch modifizierten Pflanzen ausmachen. 

Bei NGT-1 Pflanzen hätten die gewünschten Mutation auch ohne menschliches Zutun hervorgerufen werden können, erklärt Mittelsten-Scheid: „​​Die Ausgangsmöglichkeiten sind identisch. Deswegen ist sie gleich hoch wie bei der klassischen Zufallsmutagenese durch Bestrahlung.” Soll heißen: NGT-1 Züchtungen können daher potenziell weder besser, noch schädlicher als klassisch gezüchtete Kulturpflanzen sein. Eigenschaften wie Resistenz gegen Trockenheit oder Pestiziden würden mit der Genschere nur schneller und gezielt gezüchtet werden können, wenn die Kultur entsprechende Fähigkeiten von Grund auf besäße.

Auch die European Food Safety Agency kam 2021 zu dem Schluss, dass mit der Anwendung der gezielten Mutagenese durch Genom-Editierung, verglichen mit konventionellen Züchtungsverfahren, keine neuartigen Risiken verbunden sind.

Sie wollen also die biologische Landwirtschaft mit Gentechnik kontaminieren? Wohlgemerkt eine Produktionsmethode, die möglichst naturnah arbeitet.

Thomas Waitz, Die Grünen, 06.02.2024

EU-Parlament

Irreführend

Da NGT-1 Pflanzen nur Gene enthalten, die auch schon vorher im Genom vorhanden waren, unterscheiden sie sich von der herkömmlichen Trans-Gentechnik. Eine Vermischung der Ernte mit trans-genetisch modifizierten Pflanzen kann durch den Nachweis zusätzlicher Gene im Labor rückverfolgt werden - nicht aber bei NGT-1 Pflanzen.

Von einer Kontamination kann durch NGT-1 Pflanzen daher keine Rede sein. „Der ‘Reinheitsgedanken’ ist ein theoretisches Gut, das auf keine Art und Weise gemessen werden kann”, erklärt Urs Niggli. “Beim Anbau von Mais, Raps und Zuckerrüben können tatsächlich von der Fremdsorte befruchteten Körner bis auf etwa 0,1 Prozent ansteigen.”

Aber können sie Felder „kontaminieren", wie Waitz im europäischen Parlament behauptet? Samen, egal ob konventionell, biologisch angebaut oder gen-editiert, können über Vögel oder Insekten verbreitet werden. Schädlich, wie eine Kontamination durch ein Virus oder Pilzbefall, die eine Ernte „verseucht", sind NGT-1 Pflanzen nach Ansicht der Wissenschaft nicht. „Wenn ich Mutationen in einem NGT-1 Produkt oder einer konventionell gezüchteten Sorte vergleiche, habe ich molekular keine Möglichkeit der Unterscheidung”, erklärt Mittelsten Scheid im profil-Gespräch. Es gehe letztlich um Auswirkungen der Mutation auf die Eigenschaften der Pflanze, die auf den Feldern wachse. „Die gleiche Mutation hätte auch spontan in einer Pflanze auf dem anderen Feld auftreten können.”

Eine Frage um die Natürlichkeit”

profil konfrontiert den EU-Abgeordneten Thomas Waitz telefonisch mit seinen Behauptungen. Er bleibt dabei: Aus seiner Sicht “kontaminiere” man die Marke Bio, weil sich auf die Felder theoretisch ein paar gen-editierte Samen mischen können. Letztlich ginge es darum, das Verkaufsversprechen gegenüber der Konsumentin und des Konsumenten zu erfüllen. Waitz gibt sich gegenüber der neuen Technologie offen, allerdings sehe er trotzdem das Risikopotenzial durch chemische oder bestrahlte Züchtungen geringer als durch das CRISPS/Cas9-Verfahren. „In der Mutagenese (durch Chemie oder radioaktiver Bestrahlung, Anm.)  finden nur genetische Veränderungen statt, die innerhalb des natürlichen Spektrums auch möglich sind”, sagt Weitz. Züchtungen, die mittels Genschere zustande kämen, könnten im Gegensatz zu klassischen Züchtungen Kollateralschäden verursachen.

Fazit

Fest steht: Pflanzenzucht ist ohne genetische Veränderungen nicht möglich. Die neue Gentechnik bringt nach Erkenntnissen zahlreicher Studien keine anderen oder zusätzlichen Risiken für Gesundheit oder Umwelt mit sich. 

Für Produkte aus der neuen gentechnischen Züchtung gibt es daher keinen Anlass zur Gefahrenvorsorge. Allerdings bleibt die Verantwortung, jede neue Sorte in Feldversuchen auf ihre Eigenschaften zu prüfen, individuell, aber unabhängig von der Züchtungsmethode. Die Forschung betont gleichzeitig, dass hohe gesellschaftliche Risiken entstehen könnten, wenn Innovationen in der Pflanzenzucht in Europa unterbunden werden, während der Rest der Welt davon profitiert. „Man rennt sehenden Auges in neue Abhängigkeiten, wenn beispielsweise pilz-resistenter Weizen aus dem Ausland importiert werden muss”, so Mittelsten Scheid.

 

Kevin Yang

schreibt im Rahmen des 360° JournalistInnen-Traineeship für profil.