Kultur

"Frau Picasso": Neuer Roman lotet Leben und Werk von Maria Lassnig aus

Maria Lassnig gilt als eine der wichtigsten österreichischen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Die Wiener Autorin Kirstin Breitenfellner hat nun eine Romanbiografie über die 2014 verstorbene Malerin geschrieben. Eine Annäherung in fünf Bildern.

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Kirstin Breitenfellner, 55, die in Wien als Autorin von Romanen, Gedichten, Kinder und Sachbüchern sowie als Yogalehrerin lebt und arbeitet, setzt mit ihrer Romanbiografie "Maria malt" der Malerin und Filmemacherin Maria Lassnig (1919-2014) ein eindrückliches Literaturdenkmal, basierend auf den Tagebüchern, Briefen, Radio-und TV-Auftritten der Kärntner Künstlerin.

"Maria malt" spielt sich im Dreieck von Lassnigs tragischen Liebesverwicklungen, ihrer ambivalenten Mutter-Beziehung und dem Überlebenskampf als Künstlerin in Zeiten von Sexismus und Männerdominanz ab. Die "Arena der Platzhirsche", schreibt Breitenfellner, sei im Österreich der Nachkriegszeit mit Arnulf Rainer, Friedensreich Hundertwasser, Arik Brauer, Konrad Bayer und Hermann Nitsch besetzt, Frauen seien im damaligen Spiel um Macht und Einfluss nicht vorgesehen gewesen: "Einer Frau macht niemand die Räuberleiter."

"Maria malt" ist eine mit Realien gesättigte Liebeserklärung als Roman, die biografische Umkreisung einer bis zuletzt so störrischen wie undurchschaubaren Zeitgenossin. "Kunstkummer", schreibt Breitenfellner, sei der Grundton von Lassnigs Leben gewesen: "Sie besitzt eine Haut, aber sie ist keine Schutzhülle, deswegen liegen ihre Nerven blank. Maria muss sich immer die Socken aufschneiden, weil das Bündchen tiefe Kuhlen in die Haut über den Knöcheln gräbt." Zugleich wandelt Lassnig als eine Virtuosin der Ambivalenz und des anfallartigen Humors über die Seiten von "Maria malt",etwa als Dichterin aus dem Ärmel geschüttelter Reime, die Breitenfellner aus dem Nachlass zitiert: "Ja, man wird älter und die Füße länger/Doch lieb ich jetzt die Welt um so viel mehr/Das Gmüt wird weicher und das Gsicht wird strenger/Statt Liebe hab ich jetzt den Fernseher." Eine kleine Bilderwanderung durch Lassnigs Werk an der Seite von Kirstin Breitenfellner.

 

"Guttenbrunnger als Akt / Aktstudie M.G.", 1946

Lassnig war oft mit jungen Männern liiert. Arnulf Rainer war zehn, Padhi Frieberger 13, Oswald Wiener 17 Jahre jünger als sie. Nur der Kärntner Dichter Michael Guttenbrunner war gleich alt. Sie durchlitt leidenschaftliche Liebesgeschichten. Sie konnte sich als Person schwer abgrenzen und lebte ihre Gefühle ungebremst aus. Aus ihrem Umfeld hieß es lange Zeit: 'Oh Gott, diese schrecklichen Männer, diese dysfunktionalen Beziehungen!'Ich war deswegen überrascht, beim Schreiben zu entdecken, dass jeder dieser Männer sie auch weitergebracht hat. Sie war kein Opfer. Sie suchte sich diese vier Künstler aus, während sie andere zurückwies. Guttenbrunner war im Klagenfurt der 1940er-Jahre eine absolut moderne Erscheinung. Rainer zog sie mit seinem ungestümen Kunst-Drive in die Welt hinaus. Er lernte von ihr, was Kunst ist, sie lernte von ihm, dass es notwendig ist, hinauszugehen und Beziehungen zu knüpfen. Die beiden arbeiteten sich aneinander ab. Einmal wurde sie in Wien als seine 'Schülerin' bezeichnet. Diese Herabwürdigung vergaß sie nie mehr. Mit Frieberger verband sie die fröhliche Verachtung des Kunstbetriebs. Oswald Wiener forderte sie intellektuell heraus. Sie brachte nie nur Farbe aufs Papier. Sie malte mit philosophischem Hintergrund. Ende der 1950er-Jahre musste sie feststellen, dass sie als Frau keine Chance gegen die alles dominierenden Buberl-Partien hatte. Sie setzte den einzig richtigen Schritt und ging nach Paris und später nach New York."

"Frühstück mit Ohr", 1967

Der Satz 'Maria malt' kommt in meinem Roman häufig vor. Im Buch werden ikonische, um Millionenbeträge gehandelte Gemälde beschrieben. Genauso wie sie selbst war, ist ihre Malerei: direkt und unmittelbar. Lassnig war mit sich selbst und allen anderen schonungslos. Sie zeigt sich drastisch, als nackte junge Frau, später als alte nackte Frau, mit allen Details. Man spürt auf jedem ihrer Bilder eine Dringlichkeit. Und oft auch ihren Humor und ihre Selbstironie. Das unterscheidet sie von vielen ihrer männlichen Zeitgenossen.

"Selbstporträt expressiv",1945

Maria Lassnig war und ist mir eine Herzensangelegenheit. Viele meiner Gedichte drehen sich um das physische Empfinden. Bald stieß ich auf die Körpermalerin Lassnig. 2005 erschien mein erster Gedichtband 'das ohr klingt nur vom horchen' mit einem Lassnig-Gemälde auf dem Cover. Lange Zeit wusste ich aber nicht, was für ein spannendes Leben sie geführt hatte, ein Leben von über 90 Jahren. 'Maria malt' konzentriert sich auf die späten 1940er-Jahre bis 1960, Lassnigs Zeit in Klagenfurt mit seiner damals erstaunlich vitalen Kunstszene und in Wien.

2017 erschien die erste Lassnig-Biografie, verfasst von Natalie Lettner. Spätestens da wusste ich, dass ich einen Roman über sie schreiben musste. Persönlich bin ich ihr nie begegnet. Sie hatte den Ruf, nicht allzu zugänglich zu sein. Insofern wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie zu treffen. 'Maria malt' ist zwar ein historischer Roman, aber ich habe mich trotzdem beim Schreiben für das Präsens entschieden. Diese Zeitform entspricht ihrem Charakter und ihrer Weltwahrnehmung. Lassnig war eine hochsensible Frau, mit wenigen Filtern ihrer Umwelt gegenüber. Sie konnte nicht vergessen, deswegen war auch das Vergangene nie einfach vorbei, sondern blieb stets präsent. Lassnig schrieb mehrere Jahrzehnte lang Tagebuch, hochreflexive Gedankenprosa, eine Ideen-Fundgrube. 'Maria malt' besteht dennoch aus vorwiegend kurzen Sätzen. Lassnig war extrem belesen, aber sie sprach in einfachen, klaren Sätzen-nicht weil sie selbst einfach gewesen wäre, sondern weil sie das so wollte. Dem akademischen Diskurs, der gern verrätselt und sich aufbläht, hat sie sich verweigert."

"Selbstporträt mit Stab",1971

Maria Lassnig wurde am 8. September 1919 bei Kappel am Krappfeld in Kärnten geboren. Sie war ein uneheliches Kind in dritter Generation, ein sogenanntes Keuschlerkind. Ihre Mutter stellte sie-damals hatte man von frühkindlicher Entwicklung und Bindung noch keine Idee-bei der Großmutter ab. Erst mit dem Schulantritt holte Mathilde Lassnig ihr Kind nach Klagenfurt. Die Beziehung der beiden blieb ambivalent. Der Briefwechsel zwischen Mutter und Tochter, der in der Wiener Lassnig-Stiftung lagert, zeugt davon. Maria war bis zu Mathildes Tod 1964 regelrecht abhängig von ihr, seelisch, geistig, ökonomisch. Die Mutter heiratete sich gesellschaftlich hoch-und war der Tochter ewig und drei Tage böse, dass sie dies nicht auch tat. Umso erstaunlicher war für mich die Entdeckung, dass Maria, die auf ihrem Künstlerinnen-Dasein beharrte, sich weigerte, sich von Männern abhängig zu machen, und wegen ihrer Kompromisslosigkeit lange auf den Erfolg warten musste, von der Mutter bis zuletzt unterstützt wurde. Mathilde suchte für Maria um Stipendien an, transportierte Bilder in Galerien, trug sich als 'Lassnig-Mutti' ins Gästebuch ein. Mathilde Lassnig ist so etwas wie die zweite, heimliche Heldin des Romans."

"Die Küchenschürze/Frau in der Klemme/Küchenschürze oder die Eingezwängte",1992

Lassnig stand lange am Rand. Nicht nur, weil sie in der männerdominierten Kunstwelt eine Frau war, sondern auch, weil sie sich selbst nicht verkaufen konnte und wollte. Allerdings hatten auch Frauen, die weniger zurückhaltend waren, nicht dieselben Chancen wie Männer. Lassnig verbrachte, als sie schon Professorin und bekannt war, viel Zeit auf dem Land. Ihre seltenen Auftritte wiederum waren Ereignisse. Sie band sich eine Krawatte mit Marilyn-Monroe-Motiv um, sie erschien mit einem Schlips in Form eines Polizeiabsperrbandes. Sie sei nie jung gewesen, äußerte sie einmal, und deswegen sei sie jetzt auch nicht alt. Am Ende hat sie alles erreicht: die Gestaltung des Eisernen Vorhangs in der Wiener Staatsoper, Einzelausstellungen in London und New York, den Goldenen Löwen von Venedig. Sie wusste um ihren Wert. Sie sei die 'Frau Picasso',notierte sie im Tagebuch. Lassnig maß sich mit den Großen, nicht mit Wald-und-Wiesen-Malern."

Kirstin Breitenfellner: Maria malt. Picus. 464 S.,EUR 28,-
 

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.