Kolumne

#brodnig: „Insgesamt eine Bedrohung der Demokratie“

Einmal mehr verdeutlicht eine Umfrage unter EU-Abgeordneten, wie sehr sich Hass im Netz antifeministisch auswirkt.

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Ich werde oft gefragt, ob Hass im Netz vor allem ein Problem für Frauen ist. Die Antwort lautet: Alle Geschlechter können Hasskommentare online erleben, jedoch gibt es einen Unterschied in der Art und Weise, wie Männer oder wie Frauen beleidigt werden. 

Einige Untersuchungen verdeutlichen dies – ganz aktuell zeigt das eine Befragung von männlichen und weiblichen EU-Abgeordneten, welche die Technische Universität München durchgeführt hat. Im Schnitt gaben sieben von zehn der teilnehmenden Abgeordneten an, „Online-Hass“ erlebt zu haben, männliche Abgeordnete sagen das sogar etwas öfter.  Sieht man genauer hin, fallen jedoch große Unterschiede in der Art der Beleidigung auf: Männer haben zum Beispiel öfter Morddrohungen erhalten (das gaben 29 Prozent der männlichen Abgeordneten und 24 Prozent der weiblichen Abgeordneten an). Von sexualisierten Formen der Erniedrigung und Einschüchterungsversuche sind allerdings offensichtlich Frauen besonders betroffen: Von den teilnehmenden weiblichen Abgeordneten gab jede Fünfte an, Vergewaltigungsdrohungen beziehungsweise Drohungen sexueller Gewalt erlebt zu haben (von den männlichen Befragten hatte das offenbar kein einziger erlebt). Vier von zehn der Politikerinnen sagten, infantilisierende oder bevormundende Kommentare erhalten zu haben, weit mehr als doppelt so viel wie bei den Männern. 60 Europa-Abgeordnete beziehungsweise Mitarbeiter:innen aus ihren Büros nahmen an der Befragung teil. „Wir sehen, dass bei den Politikerinnen Online-Gewalt stärker sexualisiert ist – beispielsweise in Form von Vergewaltigungsdrohungen. Der zweite Punkt: Die Konsequenz dieses Online-Hasses für Frauen ist auch insofern schlimmer, als dass sie höhere psychologische Kosten nach sich zieht – stärker als Männer geben sie an, dass sie sich eingeschüchtert, gestresst fühlen, dass sie sich schämen nach dem Erhalt solcher Kommentare“, sagt Janina Steinert, Professorin für Global Health an der TU München und eine der Studienautor:innen.

Frauen sagen öfter, sie sind zurückhaltender nach Hass-Kommentaren.

Sie spricht damit die sogenannten Silencing-Effekte an: Bei Frauen lässt sich öfter feststellen, dass aggressive Kommentare eine verdrängende Wirkung haben. So sagten 17 Prozent der befragten weiblichen Abgeordneten, dass sie die Häufigkeit ihrer Social-Media-Posts reduziert haben nach derartigen Kommentaren, nur sechs Prozent der befragten Männer taten dies. Auch rund jede siebente weibliche Abgeordnete verringerte demnach die Anzahl ihrer öffentlichen Auftritte. Veröffentlicht wurden diese Umfragedaten bei einer Konferenz im EU-Parlament, unter anderem organisiert von den österreichischen Abgeordneten Evelyn Regner und Theresa Bielowski (beide SPÖ). 

In meinen Augen ist dieser Befund alarmierend – wenn sogar auf einer so hohen politischen Ebene wie dem EU-Parlament sichtbar wird, dass ein Teil der betroffenen Frauen ein Stück weit zurückhaltender wird durch solche Nachrichten. Silencing – das Mundtotmachen von Politikerinnen – ist ein gradueller Prozess: Es ist unrealistisch, dass hochrangige Politikerinnen wegen frauenfeindlichen Nachrichten alles hinschmeißen und ihre gesamte Karriere an den Nagel hängen. Sehr wohl aber sehe ich die Gefahr, dass manche Frauen sich zu gewissen Themen nicht mehr zu Wort melden – etwa zu den Themen Migrationspolitik oder Gendern, weil sie wissen, dass dann wieder beunruhigende Nachrichten kommen. Hierzu gibt es manchmal den Einwand,  Frauen sollen sich eine dickere Haut wachsen lassen, nach dem Motto: If you can’t stand the heat, get out of the kitchen. In meinen Augen ist das ein schwaches Argument, denn Frauen erleben beispielsweise nicht die gleiche Art der Einschüchterung wie Männer. Umfragedaten wie jene der TU München zeigen, dass Politikerinnen eine andere Form der Beleidigung abbekommen, dass es bei ihnen stärker unter die Gürtellinie geht. Dabei werden auch bestehende Ängste vor Vergewaltigung und sexueller Gewalt adressiert und zur Einschüchterung ausgenutzt. Studienautorin Steinert sagt: „Die Repräsentation von Frauen in der Politik ist hier durchaus bedroht. Wir halten das deshalb insgesamt für eine Bedrohung der Demokratie.“ 
Die gute Nachricht: „In den nächsten Jahren werden wir noch weitaus mehr Daten zur Betroffenheit von Politikerinnen und auch zu Verteidigungsstrategien, die Frauen ergreifen, veröffentlichen“, sagt Jürgen Pfeffer, Professor für Computational Social Science an der TU München und ebenfalls Studienautor. Konkret werden  Deutschland, Indien und Brasilien von ihnen erforscht. Die Art, wie Frauen beleidigt oder eingeschüchtert werden, kann sich auch regional aufgrund der jeweiligen lokalen Kultur und  sozialen Normen unterscheiden – und von der regionalen Politikerin in Indien bis zur EU-Abgeordneten im Brüsseler Parlament soll dieses Phänomen besser verstanden werden.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.