Kolumne

#brodnig: TikTok, die Uhr tickt

Die nächsten Monate bestimmen über die Zukunft der beliebten, aber auch oft kritisierten App.

Drucken

Schriftgröße

Erhitzt wird diskutiert: Ist TikTok eine chinesische Bespitzelungs-App? In den USA wurde ein neuer Gesetzesvorschlag eingebracht, der es ermöglichen würde, die App in den Vereinigten Staaten zu verbieten. Auch in Europa sehen Politiker:innen der EU-Kommission diesen Dienst kritisch, eine mögliche Verbannung TikToks wurde ebenfalls in den Raum gestellt. Bereits jetzt ist für europäische Beamt:innen die Benutzung der App auf dem Diensthandy verboten. Das Innenministerium prüft derzeit, ob dasselbe auch für Diensthandys in der österreichischen Verwaltung und Politik gelten soll. Da stellt sich natürlich die Frage: Ist das übertriebene Panikmache oder stellt TikTok (das dem chinesischen Unternehmen ByteDance gehört) wirklich eine Gefahr dar?

Es gibt begründete Sorgen in Bezug auf TikTok, aber vieles ist bisher im Ungewissen-denn wir haben ein tieferliegendes, durchaus branchenübergreifendes Problem. Die wichtigsten Apps unserer Zeit, die großen sozialen Netzwerke, bauen allesamt auf Intransparenz. Große Plattformen wie YouTube oder Facebook weigern sich, den Quellcode ihrer Software für Wissenschafter:innen offenzulegen und damit für die Forschung durchleuchtbar zu machen. Undurchsichtig bleiben zumeist auch die internen Regeln-so ist oft unklar, warum ein Kommentar gelöscht oder ein Account verbannt wurde. Hier machte auch TikTok schon Schlagzeilen: Zum Beispiel hatte die britische Zeitung "The Guardian" 2019 interne Dokumente enthüllt, wonach die Moderationsteams bei TikTok politische Inhalte zurückhalten sollten, unter anderem die Erwähnung von Demonstrationen am Tian'anmen-Platz-im Jahr 1989 hatte dort das chinesische Militär Proteste gewaltsam niedergeschlagen. TikTok sagte damals sinngemäß, dass diese Regeln nicht mehr gültig seien und man am Anfang einen recht "groben Zugang" gewählt hätte, um Konflikte auf der Plattform zu verringern. Nach weiteren Enthüllungen des Online-Mediums Netzpolitik.org sagte TikTok: "Unsere Moderationsentscheidungen sind durch keine fremde Regierung beeinflusst, was die chinesische Regierung einschließt."

Nur: Nach welchen Kriterien TikTok Inhalte sichtbar macht oder in ihrer Reichweite drosselt, ist weiterhin undurchsichtig. Eine Intransparenz, die auch Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube betrifft und sich unter dem Schlagwort "Informationsasymmetrie" zusammenfassen lässt. Das bedeutet: Die App weiß viel über die User:innen (was sie angeklickt haben, wie viele Sekunden sie welches Video angesehen haben etc.).Die User:innen wissen wenig über die App. Besonders ist bei TikTok allerdings nicht die Informationsasymmetrie, sondern dass sein Mutterunternehmen ByteDance in Peking angesiedelt ist. Schon jetzt müssen europäische User:innen damit rechnen, dass beispielsweise US-Geheimdienste auf Daten amerikanischer Apps zugreifen können-das zeigte die NSA-Affäre. China mit seinen Verstößen gegen Menschenrechte und mit seiner insgesamt undemokratischen Ausrichtung ruft nun umso größere Bedenken hervor. Eine Sorge ist, wie schon erwähnt, dass der chinesische Staat Druck auf die Moderation und die Ausgestaltung des Algorithmus ausüben könnte, dass gewisse Inhalte passend zu den politischen Anliegen Pekings stärker sichtbar oder unsichtbar werden.

Die Sorge ist, dass User:innen erpressbar werden.

Für Unbehagen sorgt auch, dass Social-Media-Apps viele Daten sammeln und man damit rechnen muss, dass diese Unternehmen Einblick in die Gefühlswelten vieler Menschen, in ihre Sehnsüchte, in ihre politischen Überzeugungen und ihre sexuelle Orientierung haben. Die Sorge ist hier, dass Menschen jetzt oder in Zukunft erpressbar werden könnten, wenn der chinesische Staat Zugriff auf Daten haben sollte. Sieben von zehn Jugendlichen im Alter von elf bis 17 Jahren nutzen TikTok, wie eine Befragung im Auftrag von SaferInternet.at im Vorjahr ergab. TikTok streitet freilich ab, dass der chinesische Staat auf seine Daten zugreift-und arbeitet jetzt am "Projekt Clover",welches stärker dafür sorgen soll, dass Daten europäischer User:innen möglichst in Europa gespeichert werden und es zusätzliche Schutzmechanismen für den Zugriff außerhalb der EU gibt. Aber selbst hier schließt TikTok nicht aus, dass Daten von Europäer:innen auch außerhalb der Europäischen Union verarbeitet werden. Ein riesiges Image-Problem tat sich zudem auf, als bekannt wurde, dass TikTok die eigene App missbraucht hatte, um Journalist:innen des US-Mediums "Forbes" auszuspionieren und herauszufinden, ob sich diese mit Whistleblower:innen aus dem Unternehmen getroffen hatten.

Ich halte es für richtig, dass die EU nun streng auf die App blickt. Entscheidend wird sein, ob es ByteDance gelingt, eine technische Infrastruktur und mehr Transparenz zu etablieren, um die Sorgen auszuräumen. Die nächsten Monate werden es zeigen. Es kann übrigens auch sein, dass ByteDance keinerlei Absicht hat, sich für politische Zwecke missbrauchen zu lassen. Aber man muss damit rechnen, dass ein chinesisches Unternehmen letztlich den Interessen des Staates ausgeliefert ist. An der aktuellen Debatte gefällt mir eines sogar sehr gut: dass wir endlich über die Diensthandys in der Verwaltung und Politik sprechen. Denn jede App, die auf diese Smartphones geladen wird, kann ein Sicherheitsrisiko darstellen-und mein Eindruck ist, dass das bis zu diesem Streit rund um TikTok wenig thematisiert worden ist.

 

Was denken Sie darüber? Schreiben Sie mir unter [email protected] 

facebook.com/brodnig

twitter.com/brodnig

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.