Interview

„Biologisch gesehen bin ich eine Frau“

Buck Angel hat sein halbes Leben als Frau gelebt, vor 30 Jahren wurde er zum Mann. Seither setzt er sich für die Rechte von Transpersonen ein. In der aktuellen Debatte legt er sich mit Aktivisten an – und spricht von einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Bewegung.

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profil: Sie haben letztens auf Twitter geschrieben: „Trans-Aktivisten machen mir mehr Angst als alle anderen, dabei bin ich selbst transsexuell.“ In der Community stehen Sie in der Kritik. Sie bekommen viel Hass ab. Was geschieht da gerade?

Buck Angel: Der Wechsel in ein anderes Geschlecht, meine Transition, hat mir das Leben gerettet. Heute verstehe ich die Community nicht mehr, ich bin kein Teil mehr von ihr. Ich habe Angst um die Zukunft von Menschen wie mir. Ich weiß nicht, wieso diese Leute so fies und wütend sind. Ich bin seit 30 Jahren Trans-Aktivist. Wir haben uns nie so verhalten, auch nicht, als es darum ging, Gesetze zu ändern. In Schweden haben wir dagegen gekämpft, dass sich Transmänner die Gebärmutter entfernen lassen müssen, um als Männer anerkannt zu werden. Wir waren dabei immer friedlich und haben versucht, eine Ko-Existenz mit der Mehrheitsgesellschaft aufzubauen. Jetzt kann ich nicht mehr Teil der Szene sein.

profil: Sie werden vor allem deshalb angegriffen, weil Sie sagen, sie sind kein biologischer Mann, sondern ein Mann mit einer weiblichen Vergangenheit. Viele Trans-Aktivisten stimmen Ihnen da nicht zu. Sie sagen: Transfrauen sind Frauen. Es gäbe keinen Unterschied zwischen einer als Frau geborenen Person und einer Transfrau.

Buck Angel: Ja, das ist das Problem. Ich bin ein ehrlicher Mensch – wieso sollte ich lügen, wenn es um meine Biologie geht? Ich wurde als Frau geboren, ich konnte nicht als Frau leben, nun bin ich ein Mann. Niemand hatte je ein Problem damit – bis jetzt. Irgendjemand lehrt den jungen Leuten da draußen, dass es so etwas wie trans nicht gibt. Diese Menschen setzen jungen, leicht beeinflussbaren Leuten dieses Narrativ in die Köpfe. Das Internet hilft ihnen dabei. Wieso sollten mich junge Trans-Personen sonst angreifen? Ich habe jahrelang für ihre Rechte gekämpft. Hier stimmt doch etwas nicht. Ich werde angegriffen, weil ich nicht diesem verlogenen Narrativ folge. Es nimmt Frauen Räume weg. Ich will damit nichts zu tun haben. Ich bin, biologisch gesehen, eine Frau.

profil: Das würde niemand, der es nicht weiß, je erkennen. Meinen Sie nicht, dass Sie mit Ihrem Beharren auf der Biologie Menschen in ihrer Selbst-Identifikation verletzen?

Angel: Aber das tue ich doch gar nicht. Ich habe nie über jemanden anderen gesprochen, sondern nur von mir selbst. Die anderen können ihre Biologie leugnen, solange sie wollen. Ich werde das nicht tun. Ich habe nie jemanden angegriffen. Ich habe nur gesagt: Transfrauen sind Transfrauen. Sie sind eine spezielle Art des Weiblichen. Die sind keine Frau wie Sie. Und ich bin kein Mann wie einer, der mit Penis geboren wurde. Das werde ich auch nie sein. Wieso sollte ich das abstreiten?

profil: Es ist die Rede davon, dass Transfrauen in die Schutzräume von Frauen eindringen könnten, um ihnen Gewalt anzutun. Ist das nicht absurd? Welche Transfrau würde in eine Damentoilette kommen, um Frauen zu vergewaltigen?

Angel: Irre, das würde nie passieren!

profil: Als Sie nach ihrer Transition Anschluss an die Schwulenszene suchten, wurden Sie auch nicht in deren Räume vorgelassen, haben das aber akzeptiert.

Angel: Ja, natürlich!

profil: Transfrauen akzeptieren nicht, dass Frauen sich bedroht fühlen. Allerdings sind Transfrauen auch viel vulnerabler als Transmänner. Sie brauchen Schutz. Wo sollen sie also hin? Man kann doch eine Transfrau nicht in ein Männergefängnis stecken. Diese Frauen sind doch viel verletzlicher als Sie.

Angel: Ja, aber vergessen Sie nicht, dass ich als Mädchen großgeworden bin. Ich lebte 30 Jahre lang als Frau. Ich erinnere mich, wie ich stets auf der Hut sein musste. Frauen können nicht einfach die Straße runterlaufen, wie ich das jetzt kann. Ich musste immer achtgeben, ich habe sexuelle Übergriffe erlebt, bin vergewaltigt worden. Ich habe diese Erfahrungen gemacht. Ich sage nicht, dass Transfrauen diese Erfahrungen nicht machen. Aber früher ging es nie um irgendwelche Schutzräume. Transfrauen gingen hin, wo sie wollten, sie sahen aus wie Frauen, niemand hat sich darum gekümmert. Wieso wurde das Thema jetzt dermaßen politisiert? Es ist zu einer politischen Bewegung geworden.

profil: Was sagen Ihre Freundinnen von damals zur aktuellen Debatte?

Angel: Sie müssen eines wissen: Es gibt auch innerhalb der Trans-Aktivisten eine Trennlinie. Sehr, sehr viele sind nicht einverstanden damit, wie das heute läuft. Sie akzeptieren ihre eigene Biologie, sie nennen sich Transfrauen. Nur haben diese Leute keine laute Stimme. Und das Motto „Transfrauen sind Frauen“ gibt es so ja bei den Transmännern gar nicht. Kaum einer sagt: Transmänner sind Männer.

profil: Wieso nicht?

Angel: Ich glaube das liegt daran, dass wir in einer Männerwelt leben. Männer fühlen sich durch mich nicht bedroht. Ich zwänge mich auch nicht in ihre Räume hinein. Das tun auch die anderen Transmänner nicht. Es liegt wohl auch daran, dass wir als Frauen sozialisiert wurden. Wir haben andere Erfahrungen gemacht. Wir sprechen anders, sind weniger aggressiv. Die lautesten sind die Transfrauen.

profil: Für Transfrauen steht aber auch viel mehr auf dem Spiel. Sie sind gefährdeter, werden häufiger Opfer von Gewalt. Müssen Sie da nicht laut werden?

Angel: Ja, das stimmt. Ich kämpfe seit Ewigkeiten für Transrechte – und es gibt Unterschiede in den Bedürfnissen von Transfrauen beziehungsweise -männern. Aber es hilft nicht, lautstark zu brüllen: Transfrauen sind Frauen. Das bringt niemanden weiter. Wir wollen miteinander leben und nicht anderen Menschen die Räume wegnehmen. Ich sehe durchaus, dass Frauen „gelöscht“ werden, etwa aus dem Sprachbild.

profil: Ich finde es faszinierend, dass Sie beide Welten kennen: Sie sind jetzt 60, haben also die Hälfte Ihres Lebens als Frau gelebt, die andere als Mann. Können Sie mehr von Ihren Erfahrungen damit erzählen?

Angel: Ich habe als Frau gelebt, bis ich 30 war, weil es für mich keine Möglichkeit gab, zum Mann zu werden. Ich lebte als Lesbe, als Tomboy, war also eine sehr burschikose Frau. Ich wuchs in den 60ern und 70ern auf und hatte eine wunderbare Kindheit. Die Pubertät war die Hölle, aber bei wem ist sie das nicht? Ich hasste meinen Busen. Als ich jung war, war ich Fotomodel, ich reiste um die Welt. Typen wollten mir ständig an die Wäsche, es war eine Welt voller Drogen und Alkohol, komplett irre. Frau zu sein ist eine völlig andere Erfahrung als Mann zu sein, in jeder Hinsicht. Jetzt habe ich keine Angst mehr, durch die Welt zu gehen. Ich schaue nie über die Schulter, ob mir jemand folgt, checke nie, wer sonst noch auf der öffentlichen Toilette ist. Wenn man diese Erfahrungen nicht gemacht hat, fällt es schwer, Mitgefühl aufzubringen. Ich sage nichts Böses über Transfrauen. Doch sie haben nicht dieselben Lebenserfahrungen gemacht wie Frauen, auch, wenn sie sich als solche fühlen. Ich fühle mich als Mann. Aber ich habe nicht dieselben Erfahrungen gemacht wie ein Mann.

profil: Fühlen Sie sich jetzt als Mann freier?

Angel: Ja, das stimmt zu hundert Prozent. Vor meiner Transition war mir nicht klar, dass das so sein würde. Für mich war klar: Ich will ein Mann sein, ein richtiger, maskuliner Mann. Ich wollte einen Körper wie die Zeichnungen von Tom of Finland, mit Muskeln. Das war meine Intention. Es ging nie darum, nicht mehr so vulnerabel zu sein oder nicht sexualisiert zu werden.

profil: Nach ihrer Transition sind sie in Konflikt mit der Trans-Community geraten, weil Sie Ihre Vagina behalten haben. Es hieß, ohne Penis seien Sie kein echter Transmann. Ist das nicht genau das Gegenteil davon, was heute propagiert wird?

Angel: Das ist genau der Punkt! Sie sind zu etwas komplett anderem geworden. Ich wollte nie trans sein. Ich habe eine Funktionsstörung, ich bin transsexuell. Ich habe mich nie mit trans identifiziert, ich wollte ein Mann sein. Transgender ist etwas anderes. Diese Leute wollen sich eine Trans-Identität aussuchen. Sie wollen nicht aussehen wie ich, sie wollen eher aussehen wie Sie, sich aber Transmann nennen. Sie und ich, wir sind nicht gleich. Wir können nicht verglichen werden. Diese Leute wollen nicht, dass man sagt, sie hätten eine Geschlechts-Dysphorie. Es gibt jetzt einen anderen Begriff dafür: Gender-Inkongruenz. Sie ändern den Namen, sie verrücken die Torpfosten, aber das hat mit mir nichts zu tun. Als ich die Diagnose bekam, hat mir das geholfen. Endlich wusste ich, was mit mir los ist. Damit konnte ich mein Problem lösen. Wenn sie jetzt sagen, dass sie kein Problem haben, dann verwirren sie damit junge Transsexuelle. Und das werde ich nicht zulassen.

profil: Sie nennen sich Tranpa, Trans-Opa. Sehen Sie sich als Vorbild für junge Menschen?

Angel: Ich will weniger Vorbild sein als Mentor. Diese Kids sind verwirrt. Ich spreche mit Ihnen, sofern ihre Eltern dabei sind. Viele fühlen sich verloren, meinen, dass sie keine Stimme mehr haben und kein Teil der Community sind. Wer eine andere Meinung vertritt als die aggressiven Aktivisten, wird fertiggemacht. Ich gebe den jungen Leuten einen Raum. Wegen ihnen kämpfe ich nach wie vor gegen die Aktivisten.

profil: Lenkt die ganze Debatte über die Biologie von den realen Problemen von Transpersonen ab? Stichwort Gewalt, Suizid...

Angel: Ja. Deshalb halte ich diese Leute nicht für Aktivisten. Sie schaden und verletzen uns. In den USA gibt es einen Rückschritt bei Transrechten. Das liegt auch daran, dass jetzt auch über die Transition von Kindern gesprochen wird. Damit war der Damm gebrochen. Kindern Pubertätsblocker zu verabreichen, 13-Jährigen Brust-Implantate zu geben...

profil: Das ist doch verboten!

Angel: Es ist verboten, aber ich schätze, wenn die Eltern zustimmen, dann ist es möglich. Als ob 13-Jährige wüssten, was sie tun. Und jetzt ändern sie die Definition von Frauen im Webster-Dictionary (Anm.: Es wurde eine zusätzliche Definition hinzugefügt: „Weiblich bedeutet eine Gender-Identität, die das Gegenteil von männlich ist“). Das kotzt mich so an. Niemand ändert die Definition von Männern.

profil: Aktivisten fordern, das Wort „Frau“ zu ersetzen durch „Menschen, die menstruieren“. Nach dem Ende des Abtreibungsrechts in der USA berichteten etliche Medien nicht von betroffenen Frauen, sondern von „Personen, die schwanger werden können“. Das soll Menschen wie Sie miteinschließen. Fühlen Sie sich damit inkludierter?

Angel: Nein! Hilfe! Das Ziel war, nie über all das sprechen zu müssen. Menstruation, Brüste, Schwangerschaft, das ist die Angelegenheit von Frauen. Wir Transmänner wollen über sowas nicht sprechen! Ich will damit nichts zu tun haben. Außerdem: Was meinen Sie, wie viele Transmänner schwanger werden? Wahrscheinlich 0,01 Prozent. Und dafür sollen wir unsere Sprache ändern und Frauen löschen? Das ist doch genau das, was wir nicht wollen: Die Identität von Menschen angreifen. Man kann nicht jeden in alles inkludieren. Männer haben andere Bedürfnisse als Frauen, Transfrauen haben andere Bedürfnisse als Frauen. Transfrauen haben keine Periode. Sie haben eine Prostata. Na und? So ist es eben. Wenn wir das nicht aussprechen, sind wir nicht ehrlich.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.