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Gerichtsurteil

Wiens bestes Wirtshaus: Ein Besuch im „Gasthaus Jagetsberger“

Spargel mit Kaffeearoma, Kalbsherz und Kohlrabitascherl: Im „Gasthaus Jagetsberger“ wird fulminant aufgekocht.

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Erster Eindruck im „Jagetsberger“: Also ob das hier und heute wirklich so spektakulär wird, wie ausnahmslos alle berichten, die je dort waren – noch kann ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen. Es ist zwar nicht ungemütlich im „Jagetsberger“, aber klassisch schön ist es halt auch nicht. Vielmehr ist es ein in die Jahre gekommenes, von außen völlig unscheinbares Beisl im 15. Wiener Gemeindebezirk, genauer in der Märzstraße. Als dann jede Speise vom Service erklärt wird, werde ich schon hellhöriger. Auf guten Service legt man hier also wert – und offenbar ist die Küche auch ein bisschen komplizierter, als es scheint. 

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Die Kohlrabitascherl (Bild oben) bieten dann die erste Überraschung – weil eigentlich denkt man da ja an irgendwas Paniertes, vermutlich mit Käse drin. Falsch gedacht: Eine Scheibe vom Kohlrabi selbst ist das Tascherl, gefüllt mit Pilzen und Kräutern. Diese Komposition schwimmt wiederum in einem herrlichen Zwiebelsud. Das war aber noch immer nicht alles. Beim Vortrag hat das Service noch etwas von Röstzwiebeln erzählt. Ja wo sind die denn bloß? Sie wurden zu Chips verarbeitet, das sieht man so nicht alle Tage. Die Fischsuppe (Bild unten) entfacht dann einen Begeisterungssturm – wobei sie durchaus klassisch französisch daherkommt. Eigentlich handelt es sich hier um eine sehr geschmackvoll austarierte Bisque. Ungewöhnlich groß geraten ist die Einlage: ein Raviolo, der seinen Biss behalten hat, gefüllt mit Wels. Fischsuppe? Nein, ein Meisterwerk.

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Auf diese fantastischen Vorspeisen folgt der in dieser Jahreszeit einfach unvermeidbare Spargel (Bild ganz oben). Was soll da schon groß anders sein als überall sonst? Nun, im „Jagetsberger“ wird aus der üblichen Hollandaise-Langeweile ein echter Kunstgriff: Die Sauce hat ein leichtes Kaffeearoma abbekommen und steht nicht auf Butter-, sondern auf Mascarpone-Basis. Auf dem knackigen Gemüsekönig thront dann ein marinierter Kräutergarten aus Petersilie, Dill und Koriander – es ist ein Traum. Das Kalbsherz (Bild unten) wurde auf Spitzpaprika-Solospargel-Gemüse gebettet. Als Verbindung zwischen Herz und Gemüse fungiert eine Selleriecreme – und auch hier war das noch nicht alles: Als Sättigungsbeilage gibt’s eine Polanteschnitte. Die wurde mit Provola, einem italienischen Hartkäse, vermengt und gratiniert. Die Wahrheit sieht exakt so aus: Da stimmt einfach auf jedem Teller alles.

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Es wird jetzt leider fad, aber auch bei den Desserts geht es fulminant weiter. Vielleicht kann man sich über die etwas altbackene Präsentation der Sauerrahm-Mousse (Bild unten) echauffieren – sie wurde zu einem Apfel geformt, weil eben auch Apfel drinnen ist. Aber es wäre unnötig, hier jetzt die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Das Gericht ist nicht zu mächtig, die Apfelstücke lockern die Mousse auf, die süßen Brösel, auf denen der Apfel steht, lassen traditionelle Gasthausküche durchklingen. Beim zweiten Dessert, einem Schokokuchen, liegt eine Kugel Schokomousse und ein intensiv geräuchertes Kokoseis. Das muss man mögen, aber im Gesamtwerk aus Mousse, Eis, Kuchen und Karamellsauce funktioniert das irgendwie sehr gut.

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Im „Gasthaus Jagetsberger“ ist einfach alles erste Klasse. Falls Sie noch nie dort waren: Nein, Sie haben gerade keine bezahlte Werbeeinschaltung gelesen – es ist dort tatsächlich so gut. Und es geht auch gar nicht so sehr ins Geld, wie man jetzt vielleicht glauben könnte. Der Superlativ ist natürlich immer ein bisschen lächerlich, aber in der Märzstraße könnte tatsächlich das beste Gasthaus Wiens zu finden sein.

Stimmung: gepflegte Rumsn mit Spitzenküche und Spitzenservice 
Empfehlung: einmal im Leben auf die inneren Werte schauen 
Preisverhältnis: Vorspeisen: 11–17 Euro, Hauptspeisen: 18–32 Euro, Dessert: 10–11 Euro 

Gasthaus Jagetsberger
Märzstraße 87, 1150 Wien 
anna-jagetsberger.at

Stephan Graschitz

Stephan Graschitz

ist als Chef vom Dienst bei profil tätig.