Powerlunch

Drei Gänge mit … Eva Blimlinger

Als Rektorin der Akademie galt Eva Blimlinger als streitbare, aber nicht unsympathische Intellektuelle. Dann ging sie für die Grünen in den Nationalrat, sperrte die „Wiener Zeitung“ zu und hat jetzt plötzlich keine Freunde mehr.

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Grün-Wähler sind komische Menschen, man muss das einfach so sagen: Sie halten sich nämlich für etwas Besonderes. Warum das so ist, das weiß Eva Blimlinger leider nicht so genau, es muss aber etwas mit ihrer Selbsteinschätzung zu tun haben, sagt sie: „Grün-Wähler:innen sind sehr speziell. Bei ihnen ist alles immer ein politischer Akt. Selbst dann, wenn sie Fahrrad fahren, glauben sie, sie machen Politik.“ Sie macht eine Pause, schüttelt den Kopf, nimmt noch ein bisschen Suppe: „Es ist aber nicht Politik. Es ist Fahrradfahren. Zum Gottesdienst gehen ist auch kein politischer Akt.“

Wir sitzen in einem Lokal namens Giorgina im 1. Wiener Gemeindebezirk, Blimlinger ist nicht mit dem Fahrrad gekommen. Das wäre auch ein bisschen weird, das Lokal ist nämlich gerade einmal eine Zigarettenlänge von ihrem Büro im Nationalratsklub der Grünen entfernt. Sie isst hier ständig, sagt sie, die Giorgina sei so etwas wie ihre Kantine, weil sie eben so nah ist und ziemlich gut, außerdem treffe man hier dauernd Menschen – auch das stimmt, das Lokal in der Bankgasse ist für viele Beamte aus dem Innen-, Außen- und Wissenschaftsministerium eine Art Sitzungszimmer, nur mit besserem Service und erwachseneren Getränken. Und wie überall, wo die erste und die zweite Gewalt aufeinandertreffen, kommt in der Giorgina niemand zu kurz: Die Portionen sind riesig, die Menüs günstig, für Freunde des Hauses und Stammkunden gibt es dazu auch noch eine Nachspeise. Das Restaurant hat sich laut seinem Betreiber auf „österreichische Küche“ spezialisiert, wobei sie hier modern interpretiert wird. Wir essen lauwarme Rindssuppe mit Kräuterfrittaten, Lachsfilet mit Wok-Gemüse und sehr viel Papaya (14 Euro), außerdem Polenta mit Trüffel, Babyspinat und Ei (12,50 Euro), bei der vor allem das Trüffelöl ein Gewinn ist: Es riecht so intensiv, dass man zumindest kurzfristig den Küchengeruch nicht mehr merkt, der sonst durchs ganze Lokal wabert. Was sie sonst am Lokal so mag? „Es geht hier ziemlich schnell.“

Grün-Wähler:innen sind sehr speziell. Bei ihnen ist alles immer ein politischer Akt. Selbst dann, wenn sie Fahrrad fahren, glauben sie, sie machen Politik. Es ist aber nicht Politik. Es ist Fahrradfahren. Zum Gottesdienst gehen ist auch kein politischer Akt.

Eva Blimlinger

Im Schlechten das Positive zu sehen, im Leben der Eva Blimlinger ist das ein wesentlicher Faktor, und genau darüber wollte ich mit ihr reden. Wie ist es, wenn man plötzlich seine Freunde verliert? Wenn man plötzlich in der eigenen Blase zur Buhfrau wird? Denn auch wenn sie es selbst vielleicht nicht so sieht – genau das ist Eva Blimlinger in den vergangenen Jahren passiert. Viele Jahre war die Wienerin gern gesehener Gast in den linken Salons dieser Stadt. Sie war eine dieser schlauen urbanen Intellektuellen, die als Rektorin der Bildenden mal da einen Gastkommentar schrieb oder dort im Fernsehen für die richtige Sache kämpfte. Dann verlor sie ihren Rektorenposten, zog für die Grünen als Kultur- und Mediensprecherin in den Nationalrat ein, und plötzlich ging es abwärts, zumindest mit ihrem Image. „Ach, ich hab damit kein Problem“, sagt Blimlinger, „ich streite ganz gerne. Mir ist nur wichtig, dass ich alles, was ich mache, argumentieren kann.“ Wobei, kann sie das immer? Die Koalition mit der ÖVP schon, klar. Aber Moria? Die Abschiebung der 13-jährigen Tina und ihrer Familie? Die Einstellung der „Wiener Zeitung?“ Es ist ein bisschen viel, was die Grünen in den vergangenen Jahren ihrer Basis zugemutet haben.

In der Regel argumentieren Grüne das mit dem Klimaschutz, dass man für das große Ganze eben Kompromisse eingehen muss und der Kampf für das Klima eben die eine oder andere humanitäre Grauslichkeit rechtfertige. Aber Eva Blimlinger wirkt jetzt nicht so, als wäre sie wegen der Umwelt und dem Klimaschutz in die Politik gegangen, und hätte man ihr vor vier Jahren gesagt, dass man nichts so gut verleugnen kann wie die eigene Überzeugung, dann hätte sie einem wohl was gehustet.

Wir sitzen seit einer knappen Stunde in der Giorgina, Blimlinger hat in dieser Stunde die Position kein einziges Mal verändert. Sie sitzt sehr breitbeinig da. Das sieht sehr selbstbewusst aus, die Frau kann nichts so schnell umhauen, und in ein Korsett lässt sie sich schon gar nicht stecken, auch dann nicht, wenn es nur Tischbeine sind. Bis auf Moria und Tina kann sie alles argumentieren, sagt sie jetzt, die Einstellung der „Wiener Zeitung“ sogar sehr gut. Zu teuer, zu wenig Leser, „und dass es die älteste Zeitung der Welt ist, sorry, was ist denn das für ein Argument? Es ist jedenfalls kein Argument dafür, dass es eine gedruckte Zeitung weiter geben muss.“ Sie sagt das sehr bestimmt, und man merkt, dass sie dieses Argument in den vergangenen Wochen schon öfter gebracht hat.

Aber warum eigentlich? Mit zu den größten Absurditäten dieser „Wiener Zeitungs“-Diskussion gehört, dass es so wirkt, als hätte Blimlinger persönlich die Druckmaschine gestoppt und den Mitarbeitern eigenhändig die Büropflanzen vor die Tür gestellt. Dabei ist sie nur einfache Nationalratsabgeordnete des kleineren Koalitionspartners, und die Medienpolitik haben eigentlich die ÖVP und das Bundeskanzleramt in der Hand, eigene Ministerin inklusive. Warum hat sich Blimlinger in einen Kampf geworfen, den sie gar nicht führen hätte müssen? „So bin ich einfach“, sagt sie, „es wäre wahrscheinlich schlau gewesen, ruhig zu sein und die ÖVP machen zu lassen. Aber das kann ich nicht. Wenn mich etwas aufregt, dann sag ich’s, und wenn ich etwas für Blödsinn halte, dann sowieso.“ Okay, aber ist das schlau?

Im Schlechten das Positive zu sehen, im Leben der Eva Blimlinger ist das ein wesentlicher Faktor, und genau darüber wollte ich mit ihr reden. Wie ist es, wenn man plötzlich seine Freunde verliert?

Wir sind mit der Hauptspeise fertig. Unglaublich, wie Papaya den Geschmack aller anderen Zutaten zudecken kann, selbst wenn sie im Gericht gar nichts verloren hat. Blimlinger bestellt noch ein Dessert. „Klar reden mich viele Menschen an und sagen, was wir Grünen alles für einen Blödsinn machen.“ Sie wirkt nicht so, als würde sie das besonders ärgern, aber andererseits wird die Frau im September 62, und sie hat noch nicht entschieden, ob sie nochmals für den Nationalrat kandidieren will – das wiederum liegt vielleicht auch am grünen Vorwahlsystem, bei der die grüne Basis Blimlinger wählen müsste, und skurrilerweise liebte die grüne Basis die „Wiener Zeitung“, auch wenn sie sie vielleicht nicht immer gelesen hat.

Auch das Dessert ist jetzt fertig, Blimlinger hat nichts übrig gelassen. Zum Schluss erzählt sie noch fast belustigt von den guten Freunden, die sie manchmal mit betroffenen Blicken fragen: „Eva, wie geht’s dir denn?“ Ganz besorgt, so als wäre eine Koalition mit der ÖVP eine ansteckende Krankheit. „Ich sag dann immer: Mir geht es wunderbar. Meine Lebensqualität ist nach wie vor bestens.“ Und das ist ja immerhin mal eine gute Nachricht.

Markus  Huber

Markus Huber

ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.