Gesellschaft

#EatDrink von Klaus Kamolz: Grün ist die Hoffnung

Ein Weihnachtsmenü, an das im Jahr 2022 gewisse Erwartungen geknüpft werden.

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Nein, so ist der Titel des heurigen Weihnachtsmenüs natürlich nicht gemeint, auch wenn T. C. Boyles großartiger Roman aus dem Jahr 1984, in dem ein paar Dudes in Kalifornien fulminant am Marihuana-Anbau scheitern, so heißt. Grün ist seit der Jungsteinzeit die Farbe der Hoffnung. Die farbsymbolische

Aufladung stand im Zusammenhang mit dem aufkeimenden Ackerbau; grüner Schmuck sollte das Wachsen und Gedeihen anregen. Man konnte 2022 gar nicht genug hoffen; und würde ich mich an jeden Krisenherd stellen, ich würde nicht drei Gänge zubereiten, sondern kochen, bis alle platzen.

Ich habe mich mit meinem von Kräutern geprägten Menü international-ziemlich erwartbar - der Ukraine und dem Iran zugewandt. National wäre die allgemeine politische Gemengelage ein guter Grund, auf Besserung zu hoffen, aber dazu fällt mir nichts Köstliches ein, und deshalb halte ich es, frei nach Dante Alighieri mit dem Schriftzug, der in der "Göttlichen Komödie" über dem Tor zur Hölle prangt: "Ihr, die ihr in die österreichische Innenpolitik eintaucht, lasst alle Hoffnung fahren. "Ich hoffe stattdessen für den in Lebensgefahr schwebenden Neusiedler See. Meinen Zwischengang nenne ich "Pannonischer Regentanz". Alle Gänge sind für 6 Personen ausgelegt.

Erster Gang: Sabzi Khordan

Im Iran, aber auch in den benachbarten Ländern, ist Sabzi Khordan eine allgegenwärtige Beilage. Sabz bedeutet auf Persisch grün. Die Farbe ist symbolisch enorm bedeutend-als persisches Grün in der Töpferei und Teppichknüpferei, als Bestandteil der Flagge, aber auch als Farbe der Proteste gegen das Regime. Das Gericht besteht meist aus vielerlei Kräutern, Schafkäse, Nüssen und, saisonal, Gemüse wie etwa Radieschen und Jungzwiebeln; serviert wird es in oder mit Lavash, einem hauchdünnen Fladenbrot, das frisch zu Wraps gerollt werden kann und später hart und knusprig wird.

Für mein Sabzi Khordan zerdrücke ich 300 g Feta mit der Gabel zu topfenähnlicher Konsistenz und mische 3 bis 4 EL Olivenöl, je 1/2 TL gemahlenen Kreuzkümmel und Koriander sowie eine Handvoll grob gehackte Walnüsse unter. Dann zupfe ich von einem Teil der ausgewählten Kräuter jeweils eine kleine Handvoll Blätter ab: Koriander, Petersilie, Dill und Basilikum; von Estragon und Minze nehme ich jeweils nur halb so viel.

Nun kümmere ich mich um das traditionelle Lavash-Brot: 400 g Mehl Type 700,250 ml lauwarmes Wasser, 3 EL lauwarme Milch und 1 TL Salz sind die Zutaten, die ich zu einem homogenen, elastischen und nicht mehr klebenden Teig knete. Den lasse ich eine halbe Stunde zugedeckt rasten, schneide ihn in 50 bis 55 g schwere Stücke und schleife diese zwischen den Händen zu runden Laibchen. Die walze ich mit dem Nudelwalker auf bemehlter Fläche zu 1 mm dünnen Fladen. Gebacken werden sie bei mittelstarker Hitze in einer beschichteten Pfanne ohne Fett, und zwar auf jeder Seite etwa eine Minute. Dunkle Brandflecken und Blasen sind äußerst erwünscht. Mein Lavash nutze ich knusprig. Ich breche es entzwei, lege auf eine Hälfte je ein Sechstel der Kräuter, die ich kurz zuvor noch mit einem Schuss Olivenöl und dem Saft einer Zitrone mariniert habe, gebe etwas gewürzten Feta drauf und bestreue den Schafkäse mit noch mehr Walnussbrocken, grob gehackten Pistazien und Granatapfelkernen. Dann kommt die zweite Hälfte Lavash drauf und zum Schluss einige zarte Schlieren Honig.

Adi Schmids Weinempfehlung: Dazu empfehle ich etwas Prickelndes-einen charaktervollen Pet Nat, einen Pétillant Naturel. Pet Nats entwickeln spannende Noten, die wunderbar zu den orientalischen Aromen passen. Empfehlenswerte Regionen sind die Südsteiermark und Slowenien.

Zweiter Gang: Saltimbocca vom Zander mit Salbeibohnen

Dem Neusiedler See geht es so schlecht wie schon lange nicht mehr. profil hat dem vom Austrocknen bedrohten Gewässer im Sommer sogar eine Coverstory mit dem Titel "Seenot" gewidmet. Auch jetzt, gegen Ende des Jahres, ist die Lage ernst. Für meinen Fischgang wähle ich deshalb einen Zander, der eigentlich der Wappenfisch des Sees ist, aber dort arg unter Stress steht, aus Waldviertler Teichwirtschaft. Und dazu die Kronjuwelen pannonischer Gemüsekultur: Bohnen und Paradeiser. Für das Grün sorgt hier würziger Salbei, der passt zu Fisch und Hülsenfrüchten.

Für die Saltimbocca schneide ich etwa 600 Gramm Zanderfilet in sechs adrette Quader, belege sie mit je einem großen Salbeiblatt und wickle sie in zwei schmale Scheiben Bio-Bauchspeck. Für die weißen Bohnen nehme ich entweder frische getrocknete, die ich nach einer Nacht in Wasser nach Packungsvorgabe koche, oder bereits gegarte Biobohnen aus Glas oder Dose.

Dann zupfe ich 20 Salbeiblätter in grobe Stücke, brate sie in einer Pfanne mit Olivenöl sanft an, gebe eine feingehackte Knoblauchzehe dazu und nach kurzem Rühren die gekochten Bohnen und 400 g Polpa di pomodori (am besten San Marzano). Die Salbeibohnen köcheln nun-mutig mit Salz und gemörsertem Pfeffer gewürzt-etwa 15 Minuten, während ich die Zanderfilets in einer Mischung aus Butter und Olivenöl behutsam brate, bis leichte Röstspuren am Speck sichtbar werden. Den Fisch richte ich auf den Bohnen an und streue noch ein paar fein geschnittene Salbeistreifen drüber.

Adi Schmids Weinempfehlung: Warum nicht einen feinen, eleganten Roten zum Fisch? Am besten einen Pinot Noir aus dem Seewinkel, schon drei bis fünf Jahre gereift. Leicht gekühlt ist der ein Geschmackserlebnis der besonderen Art.

Dritter Gang: Huhn Kiew

Es ist kompliziert: Das sogenannte Hühnerkotelett à la Kiew ist nicht das Nationalgericht der Ukraine; es ist ein Klassiker, der beide Seiten des unheilvollen Krieges Russlands gegen die Ukraine involviert, und darüber hinaus auch noch andere Länder, die im aktuellen Konflikt eine Rolle spielen-allen voran Frankreich und die USA. Über den tatsächlichen Ursprung des Gerichts kursieren mehrere Versionen. Die in meinen Augen plausibelste Geschichte ist jene, die in Frankreich beginnt. Dort haben Köche im Umfeld des legendären Marie-Antoine Carême bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ähnlich zubereitete Hühnerbrust kreiert, das Côtelette de Volaille, ein mit Butter gefülltes und gebackenes Hühnerfilet. Carême selbst verbrachte einige Zeit in St. Petersburg, wo der stark an der französischen Hochküche interessierte russische Adel seine Rezepturen begeistert aufnahm, wohl auch das Hendl. Es handelt sich dabei übrigens um das Suprême, die Brust ohne Haut, an der noch der obere Teil des Flügels haftet. Huhn Kiew wurde im Lauf der Zeit in ganz Russland populär. Kiew kam vermutlich in den USA ins Spiel, konkret in New Yorks East Village, dem gelobten Land vieler ukrainischer Auswanderer. Sie tauften das Backhendl schließlich nach der Stadt im Herzen der Ukraine. Russische Quellen nennen allerdings seit jeher St. Petersburg als Quelle des Suprême de Volaille à la Kiew. 

Am Anfang von Huhn Kiew steht die Kräuterbutter, denn sie muss zuvor tiefgefroren werden. Ich hacke je 1 Handvoll Dillkraut und Petersilie und dazu noch 1 Handvoll gemischte Kräuter (Estragon, Kerbel und Schnittlauch) klein und vermische sie gründlich mit 250 g weicher Butter und dem Saft von 1 Zitrone. Die Kräuterbutter rolle ich in Frischhaltefolie zu einer etwa 10 cm langen Stange und friere sie für 1 gute Stunde ein. Derweil schneide ich in 6 Hühner-Suprême-Brüste einen tiefen Schlitz, in den ich dann je 2 ungefähr 1 cm dicke Scheiben von der eiskalten Kräuterbutter stecke und den Schlitz mit einem Zahnstocher verschließe. Paniert wird das Huhn klassisch in Mehl, 3 verquirlten Eiern mit 1 EL Obers und Semmelbröseln. Als Fett wähle ich eine 2:1-Mischung aus Pflanzenöl und Butterschmalz; die Brüste werden dann bei 160 Grad schwimmend goldbraun gebacken. Als Beilage passt am besten traditionelles Retro-Hotelküchengemüse wie gedämpfter Brokkoli mit Karotten und Erbsen und gebackene Kartoffeln. Ich nehme nur Erbsen, Kartoffeln und dazu noch einen kleinen Teller mit winterlichen Bittersalaten.