„Vegetarische oder vegane Ernährung ist kein kurzfristiger Trend, sondern eigentlich der Normalzustand“, sagt Rosenberg jetzt, „jahrtausendelang haben wir uns pflanzenbasiert ernährt, aus Wohlstandsgründen wurde es aber immer fleischlicher. Wenn sich das jetzt wieder dreht, ist das ein gutes Zeichen.“ Seit sechs Jahren ist Rosenberg Geschäftsführerin von „Vier Pfoten“, davor war sie lange Jahre bei den Grünen, unter anderem hat sie in Brüssel für die damalige EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek gearbeitet. Sie hat also durchaus Kampagnen-Erfahrung, und im Moment dreht sich bei ihrer NGO sehr viel um das Thema Ernährung. Viele der anderen Aufgaben seien halbwegs erledigt, meint sie, Straßenhunde zum Beispiel, und allmählich haben die meisten Österreicher verstanden, dass man in privaten Haushalten eher keine exotischen Wildtiere halten soll. Was bleibt, sind die Themen rund um Massentierhaltung und die industrielle Lebensmittelproduktion. Also vor allem eine fleischlosere Ernährung.
Zumindest hier in Wien-Neubau scheint sich das bereits herumgesprochen zu haben. Es ist Dienstag kurz nach 12 Uhr, der Gastgarten im „Schwein“ ist gut gefüllt, und das, obwohl es hier ziemlich viele Sitzplätze gibt. Agenturmenschen sitzen hier, Leute, die sich freuen, dass es das Frühstück auch an Wochentagen bis 15 Uhr gibt. Irgendwann marschiert auch eine ehemalige Kanzlergattin vorbei. „Süßer Hund“, sagt Rosenberg und lacht. Wir sind hier wirklich gut im Klischee. Wir essen ein „Cauliflower Steak“ (14,50, sie) und „Magic Mushroom Fleckerl“ (15,50, ich). Beides ist okay, die Fleckerl kann man aber nur mit sehr viel Liebe als bissfest bezeichnen, dafür ist dem Pilz jegliche Magie gründlich ausgekocht worden. Überhaupt scheint es, als sei die Karte ein bisschen sehr auf den Effekt ausgelegt, also für Menschen konzipiert, die beim Essen dringend Fleischbezug brauchen, auch wenn keines drinnen ist. Neben dem Cauli-flower Steak gibt es die „No Meat Balls“, es gibt „Rote Rüben Pastrami“ und dann natürlich Tan Tan, aber aus Tofu. Irgendwie passend zum Lokalnamen. Es ist alles lustig, sehr Wien-Neubau-Style.
Der Standort hier hat übrigens eine bewegte Geschichte hinter sich und war eigentlich immer ein guter Seismograf für Trends und Lifestyles. Bevor das „Schwein“ einzog, war hier die Dependance eines coolen Burger-Franchise. Davor, als Wiener Wirtshäuser cool waren, gab es ein Wiener Wirtshaus. Und in fast schon grauer Vorzeit war hier das „Schultz“, eine der ersten American Cocktail Bars außerhalb der Wiener Innenstadt. Das „Schwein“ ist also wieder ein Trend-Barometer.
„Sicher ist vegane Ernährung heute ein Trend“, sagt Rosenberg, während sie sich durch ihren Karfiol arbeitet: „Vegetarier sind tendenziell städtischer, jünger und waren früher auch weiblicher, wobei sich das mittlerweile geändert hat. Die Klimabewegung hat dafür gesorgt, dass sich immer mehr Menschen vegan oder vegetarisch ernähren.“ Es ist hip geworden, und zwar gar nicht nur wegen der Tiere, meint sie. Und dann erzählt sie davon, dass sie auf Instagram mittlerweile Influencerinnen findet, die sich einerseits vegetarisch ernähren, andererseits aber in Pelzmänteln fotografieren lassen. Echten Pelzen aus irgendwelchen Secondhandshops: „Ich hätte nicht gedacht, dass wir jemals wieder eine Pelz-Kampagne machen müssen, aber offenbar ist das so.“
Wir sind mit unseren Hauptspeisen fertig, die Desserts lassen wir aus Gründen aus. Wir reden über die Probleme bei der Herkunftsbezeichnung von Lebensmitteln in der Gastronomie, über den Erfolg der Veganuary-Kampagnen und darüber, dass die Anzahl der veganen Produkte im Supermarkt mittlerweile massiv gestiegen ist. Ich verbeiße mich daran, dass vegane Ernährung oder Bio-Etiketten mittlerweile auch eine Art Statussymbol sind, ein Distinktionsmerkmal für diejenigen, die es sich leisten können. „Klar ist Ernährung auch ein politisches Thema und eine Frage der Sozialpolitik“, sagt Rosenberg darauf: „Aber muss ich Sozialpolitik über die Lebensmittel machen? Es wäre doch eigentlich die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass sich alle gesunde Produkte leisten können.“ Dass das im Moment noch anders ist und die Supermarktketten mit dem Preis- und nicht dem Qualitätsargument die Massen ans Kühlregal locken, weiß sie aber auch. „Es sind kleine Schritte“, sagt Rosenberg, während wir noch einen Kaffee trinken: „Aber im Tierschutz denken wir in Zehn-Jahres-Perioden.“
Mal schauen, ob es das „Schwein“ in der nächsten Periode noch gibt.