„Erstens mag ich keine Schnösellokale, und zweitens kommt hier nie jemand her, den man kennt.“
Powerlunch

Ein Gang mit … Wolfgang Katzian

Herbstzeit ist Lohnverhandlungszeit, also die Zeit des Jahres, in der der Gewerkschaftsbund zeigt, wie mächtig er wirklich noch ist. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian hat sich kurz davor noch mit einem Oktopus-Salat gestärkt.

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Männer, die bunte Brillen tragen, sind so eine Sache. Man weiß nie, was man von ihnen halten soll. In der Regel machen sie nämlich, wenn sie ihre Brille aufsetzen, einen albernen Witz oder sind von Grund auf gemein. Es hat jedenfalls einen Grund, dass vor allem Lateinlehrer gerne bunte Brillen tragen. Doch jetzt setzt Wolfgang Katzian seine Brille auf und, Vorsicht, sie ist violett.

Wir sind in einem Lokal namens „Paolo“, einem Mittelding aus Fischrestaurant und Pizzeria im äußeren Erdberg, also da, wo Wien-Landstraße weder hip ist noch modern, und genau das findet Katzian an dem Laden so gut. „Erstens mag ich keine Schnösellokale, und zweitens kommt hier nie jemand her, den man kennt“, sagt er, „deswegen führe ich hier gern heikle Gespräche, bei denen ich nicht will, dass mich jemand sieht.“ Das dürfte öfter vorkommen, denn Katzian muss gar nicht in die Karte schauen, er bestellt ohne Zögern Oktopus-Salat (16,50 Euro) und davor Pizzastangerl mit Knoblauch. „Müssen wir eben danach ein Zuckerl nehmen“, sagt er dazu und grinst. Keine Ahnung, was der ÖGB-Chef an diesem Nachmittag noch vorhat, aber offenbar gehört er zumindest nicht zur Sadisten-Fraktion unter den Bunte-Brillen-Trägern.

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Wir sind in einem Lokal namens „Paolo“, einem Mittelding aus Fischrestaurant und Pizzeria im äußeren Erdberg, also da, wo Wien-Landstraße weder hip ist noch modern, und genau das findet Katzian an dem Laden so gut. „Erstens mag ich keine Schnösellokale, und zweitens kommt hier nie jemand her, den man kennt“, sagt er, „deswegen führe ich hier gern heikle Gespräche, bei denen ich nicht will, dass mich jemand sieht.“ Das dürfte öfter vorkommen, denn Katzian muss gar nicht in die Karte schauen, er bestellt ohne Zögern Oktopus-Salat (16,50 Euro).

Seit fünf Jahren ist Wolfgang Katzian der höchste Arbeitnehmervertreter in diesem Land, jedenfalls für die, die sich an der Realpolitik orientieren und keine Diskussion führen wollen, ob jetzt die Gewerkschaft oder doch die Arbeiterkammer wichtiger ist. Katzian kennt den Laden in- und auswendig, man kann auch sagen: Er kennt wenig anderes, denn abgesehen von seiner Lehre als Bankkaufmann und drei Jahren in der damaligen Länderbank hat er nie woanders gearbeitet. Seit 1977 war er erst Jugendsekretär und dann Sekretär der GPA-Geschäftsführung, er war Bildungssekretär, Mitgliedersekretär, Fraktionssekretär, Organisationssekretär, Sekretär zur besonderen Verwendung und schließlich Zentralsekretär der GPA. Eigentlich ist es fast schade, dass er 2000 GPA-Bundesgeschäftsführer wurde, wäre interessant geworden, welche Sekretariate da noch erfunden worden wären. Über die Jahrzehnte hat er sich jedenfalls jede Menge Macht und Einfluss verschafft. Nicht nur in der Gewerkschaft, sondern auch in der SPÖ, dort sitzt er offiziell zwar nur im Parteipräsidium, aber wahrscheinlich gibt es abgesehen vom Wiener Bürgermeister derzeit niemand, der in der Partei wichtiger ist, was allein schon daran liegt, dass die Mitgliederzahlen des ÖGB wachsen, während sie in der Partei schrumpfen. Ob er eigentlich mit Andreas Babler auch hier im Paolo gesessen ist, damals, vor der Kampfabstimmung um den Parteivorsitz? „Nein. Der hat mich schon im Büro besucht.“ Womit die Hackordnung zwischen ÖGB und Bundespartei wohl auch fürs Erste geklärt ist: Der Möchtegern-Parteichef kommt zum ÖGB-Präsidenten – und nicht umgekehrt.

„Ich bin froh, dass der Zirkus endlich vorbei ist“, sagt Katzian jetzt, während er ein Pizzastangerl nach dem anderen verputzt, sie sind aber auch wirklich gut. „Es war kein gutes Bild, das die SPÖ da im Frühjahr abgegeben hat.“ Katzian war in der Vorsitzfrage auffällig ruhig. „Ich hatte einen guten Grund, mich nicht einzumischen, weil ich selbst zwei Kongresse hatte, bei denen ich gewählt werden wollte – den ÖGB-Kongress und den des Europäischen Gewerkschaftsbundes.“

"Ich bin froh, dass der Zirkus endlich vorbei ist", sagt Katzian jetzt, während er ein Pizzastangerl nach dem anderen verputzt, sie sind aber auch wirklich gut: "Es war kein gutes Bild, das die SPÖ da im Frühjahr abgegeben hat."

Nach offizieller Geschichtsschreibung war Katzian zunächst Team Rendi-Wagner und hat dann in der Stichwahl Babler/Doskozil keine Empfehlung abgegeben, gleichzeitig aber dafür gesorgt, dass jeder, der es wissen wollte, mitbekommen konnte, dass der ÖGB-Präsident für Andreas Babler stimmen werde. Hinterzimmerdiplomatie nennt man so was wohl, und die beherrscht Katzian nach Dutzenden Kollektivvertragsverhandlungen und Lohnrunden wohl wie kaum jemand anderer links der Mitte.

Das Pizzabrot ist aufgegessen, Katzian schaufelt sich sehr motiviert durch den Oktopus-Salat. Was das Problem mit Rendi-Wagner war? „Man hat sie sehr allein gelassen. Hätte es ein Team rund um sie gegeben, dann wäre das anders gelaufen.“ Was ist das Problem der Partei? „Die SPÖ ist schon relativ lange in Opposition, im Sinne notwendiger Lösungen aber bei manchen Themen, wenn es Sinn macht, natürlich auch konsensorientiert. Das ist für eine Oppositionspartei trotzdem schwierig zu argumentieren.“

Und was kann Babler? „Er hat auf jeden Fall eine Diskursverschiebung geschafft. Wir reden über die richtigen Themen. Aber insgesamt wird Babler thematisch noch breiter werden müssen. Eine Politik für unsere Leute zu machen ist zwar schön, und ich verstehe das so, dass er Politik für Arbeitnehmerinnen machen will, aber wenn wir eine Wahl gewinnen wollen, dann müssen uns mehr Leute wählen, über unser klassisches Publikum hinaus. Das wird ihm auch gelingen.“

Nach offizieller Geschichtsschreibung war Katzian zunächst Team Rendi-Wagner und hat dann in der Stichwahl Babler/Doskozil keine Empfehlung abgegeben, gleichzeitig aber dafür gesorgt, dass jeder, der es wissen wollte, mitbekommen konnte, dass der ÖGB-Präsident für Andreas Babler stimmen werde. Hinterzimmerdiplomatie nennt man so was wohl.

Katzian trägt ein Poloshirt und eine zerknitterte Sommerhose, es ist das gleiche Outfit, mit dem er später auch im „Report“-Studio stehen wird, und definitiv ein Aufzug, in dem man ihn vor 50 Jahren in der Bank noch nach Hause geschickt hätte, zum Umziehen. Aber bei Katzian ist das authentisch, er braucht weder perfekt sitzende Anzüge noch Dreiteiler, um Wirkung zu bekommen, so wie manche ÖGB-Präsidenten vor ihm, und Slim-Fit, das wäre eher nicht sein Ding. Trotz 30 Jahren Spitzenpolitik hat sich der 67-Jährige eine gewisse Natürlichkeit bewahrt, und das merkt man beim Essen, bei dem er immer wieder ins Komische abgleitet. Vielleicht liegt das auch an seiner Sprache. Katzian redet Dialekt, in Fernsehinterviews genauso wie in der Fankurve der Austria Wien, bei der er mal Präsident war, und auch hier bei Paolo. Er hat einen gewissen Witz und eine Ironie, und es wirkt bei ihm tatsächlich nicht aufgesetzt, wenn er so redet wie die Menschen, die er vertreten will. Er erzählt dann zum Beispiel eine Anekdote von einem Freund, „der schon daham ist“. Als Nicht-Gewerkschaftsfunktionär braucht man zwar ein bisschen, um zu verstehen, dass die Geschichte nicht katholisch-morbid zu verstehen ist oder der Kumpel einfach Frühschluss hatte – sondern dass er bereits in Pension ist. Aber dann ist die Geschichte gleich umso lustiger. Vielleicht ist der ÖGB-Präsident auch deswegen unter Journalisten als Gesprächspartner so beliebt, und irgendwie ist so ein Mittagessen mit Wolfgang Katzian ein bisschen wie ein Termin mit Michael Häupl, nur ohne Spritzwein, sondern mit Soda.

Und vielleicht gab es auch deswegen einige Journalisten und Politikberater, die der Meinung waren, eigentlich sollte Katzian die Partei übernehmen und als Spitzenkandidat in die nächste Nationalratswahl führen. Für ihn selbst hat sich diese Frage aber nie gestellt, sagt er, und wenn man kurz nachdenkt, dann ist auch klar, warum: Der ÖGB hat zehn Mal so viele Mitglieder und seine Chefs sind tatsächlich Präsidenten. Um das mit einem Job mit deutlich weniger Lebensqualität und eindeutig unsicherer Zukunft zu tauschen, braucht man mehr als eine violette Brille.

Markus  Huber

Markus Huber

ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.