...im Gasthaus Grünauer, Wien: "Die Küche ist exzellent, und die Preise sind so, dass sie auch für einen einfachen Bauarbeiter wie mich passen."
Powerlunch

Zwei Gänge mit … Alfred Gusenbauer

Vor 15 Jahren endete die Politik-Karriere von Alfred Gusenbauer, und rein ökonomisch betrachtet war das nicht zu seinem Nachteil.

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Alfred Gusenbauer hat einen Tisch für vier reserviert, und das ist doch ein wenig irritierend, schließlich sind wir nur zu zweit. Erwartet er noch jemand? Oder ist ihm einfach die Bestuhlung zu eng, weil zugegeben: Wenn das Lokal voll ist, dann sitzt man hier schon sehr Economy, doch Alfred Gusenbauer ist eher ein First-Class-Typ.

Wir sitzen im Gasthaus Grünauer, einem gehobenen Wirtshaus mit klassischer Wiener Küche in der Hermanngasse im 7. Bezirk. Das Lokal gibt es seit den späten 1950er-Jahren, ein Familienbetrieb mit vernünftigem Essen und noch vernünftigerer Weinkarte, und genau die braucht es hier auch, schließlich ist die Hermanngasse rot-grünes Kernland, bis vor Kurzem haben hier ums Eck gleich zwei Ex-Kanzler gewohnt, ehemalige Minister, Abgeordnete und Sekretäre wohnen immer noch da, und eben auch Alfred Gusenbauer. „Der Grünauer ist unser Sektionslokal“, sagt er, „die Küche ist exzellent, und die Preise sind so, dass sie auch für einen einfachen Bauarbeiter wie mich passen.“ Bei diesem Satz lacht er und schaut mich an, ganz offensichtlich rechnet er mit einer Nachfrage, aber nein, ich verstehe den Witz auch ohne Nachhilfe. Gusenbauer ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der Strabag, Österreichs größter Baufirma.

Ich habe die Viktor-Adler-Plakette für Verdienste um die Arbeiterschaft bekommen. Wenn es Menschen gibt, die mich für einen Bonzen halten, dann sollten sie mal überlegen, was ein Bonze eigentlich ist. Ich kann schon per definitionem kein Bonze sein, weil ich nicht auf Kosten anderer lebe.

Alfred Gusenbauer

Mit Alfred Gusenbauer essen zu gehen, ist so eine Sache, vor allem, wenn man dann darüber schreiben soll, denn eigentlich ist darüber alles erzählt. Gusenbauer ist ein Genussmensch, er kennt sich bestens bei Weinen aus und schaut gerne aufs Preisschild, damit er nicht zu billig ist. So ziemlich jeder Innenpolitik-Journalist kann Geschichten von Reisen erzählen, bei denen Gusenbauer schon kurz nach dem Mittagessen über die richtige Menüfolge für den Abend philosophiert und darüber, welchen Wein der Wirt schon dekantieren soll, damit er um 22 Uhr genügend Luft hat. Also: Wer will das noch lesen?

Jetzt sitzt er beim Grünauer und hat Probleme mit der Karte, denn die spielt nicht das, was er gerne hätte. Schwammerl wären es jetzt, sagt er, aber findet keine, nicht auf der Karte, auch der Besitzer Christian Grünauer kann ihm nicht helfen. Doch ein Alfred Gusenbauer gibt sich nicht so leicht geschlagen, und irgendwann findet er die Lösung, gut versteckt als Beilage zum Vorspeisensalat. Ob man nicht den Salat einfach weglassen und dann aus drei oder vier Vorspeisen eine vernünftige Portion Eierschwammerl machen kann? Und wenn wir schon dabei sind: Könnte man das Gleiche nicht auch mit der Hauptspeise „Beiriedschnitte mit Steinpilzsauce und Nudeln“ machen? Also kein Beiried, sondern einfach Pilzsauce, die Nudeln weg und stattdessen Kartoffel? Kann man natürlich, für Stammgäste ist der Grünauer auch nichts anderes als eine Ministerratsvorbesprechung, eine ewige Suche nach dem Kompromiss, bei der am Ende der gewinnt, der aus den Sachzwängen das meiste herausholt. Für sich.

Es ist ziemlich genau 15 Jahre her, dass Alfred Gusenbauer aus der Politik ausgeschieden ist. Davor war er SPÖ-Parteichef, hat für viele überraschend 2006 eine Nationalratswahl gewonnen und es 2007 sogar ins Kanzleramt geschafft. Noch überraschender war nur, dass ihn 2008 Werner Faymann mithilfe der „Kronen Zeitung“ aus dem Amt intrigieren konnte, also überraschend vor allem für Gusenbauer. Seit damals arbeitet er als Berater, und weil er eben nicht Amnesty, Greenpeace oder den Internationalen Gewerkschaftsbund berät, sondern zum Beispiel neben Hans Peter Haselsteiner auch René Benko und diverse zentralasiatische Despoten, hat er in der SPÖ nicht nur Freunde, aber das ist ihm ziemlich egal. „Ich habe die Viktor-Adler-Plakette für Verdienste um die Arbeiterschaft bekommen. Wenn es Menschen gibt, die mich für einen Bonzen halten, dann sollten sie mal überlegen, was ein Bonze eigentlich ist. Ich kann schon per definitionem kein Bonze sein, weil ich nicht auf Kosten anderer lebe.“

A la carte (oder nicht)

Schwammerl wären es jetzt, sagt er, aber findet keine, nicht auf der Karte, auch der Besitzer Christian Grünauer kann ihm nicht helfen. Doch ein Alfred Gusenbauer gibt sich nicht so leicht geschlagen, und irgendwann findet er die Lösung. Für Stammgäste ist der Grünauer auch nichts anderes als eine Ministerratsvorbesprechung, eine ewige Suche nach dem Kompromiss, bei der am Ende der gewinnt, der aus den Sachzwängen das meiste herausholt. Für sich.

Gusenbauer spricht langsam. Wenn er redet, dann ist das meistens druckreif. Er klingt live immer noch wie von Maschek synchronisiert, nur dass er mehr lateinische Redewendungen einbaut. Gusenbauer hat schließlich das große Latinum. Er sagt, dass er die Zeit in der Politik nicht missen möchte und mit seiner politischen Lebensleistung zufrieden ist. „Ich habe viel machen können, das mir Spaß gemacht hat. Und außerdem: So viele werden nicht Kanzler.“ Dazu kommt, dass man sich als Kanzler ein Netzwerk aufbaut, mit dem man sich bei allen Aktivitäten danach leichter tut. Und wie lange reicht dieses Netzwerk? Hat der Wert eines Ex-Kanzlers ein Ablaufdatum? Gusenbauer schaut mich überrascht an. Nein, sagt er: „Türen kann ich immer noch aufmachen. Man hat als ehemaliger Regierungschef so etwas wie die Aura des Amtes, da wissen Leute, dass sie sich einen anhören sollten.“Sebastian Kurz wird das mit einer gewissen Erleichterung hören.

Den Grünen Veltliner „Liebedich“ von Peter Veyder-Malberg aus der Wachau haben wir fast ausgetrunken, wir nehmen kein Dessert, werden auch gar nicht gefragt, offenbar ist Alfred Gusenbauer kein Mann für Süßes. Der Mann ist mit sich im Reinen, das kann niemand bestreiten. Mit der Politik hat er abgeschlossen, im vergangenen Jahr hat er auch seine letzte offizielle Position zurückgelegt, den Job als Stadtparteiobmann in Ybbs. Der Unterschied zwischen Politik und Wirtschaft? „Ob du in der Politik erfolgreich bist, das liegt nicht immer nur an dir selbst, sondern auch an den Umständen, an deiner Partei und deinen Parteifreunden“, sagt er, und: „Wie viele kommen in der Politik an eine Position, an der sie wirklich was ändern können? In der Wirtschaft ist das anders. In der Wirtschaft geht es darum, was du machst, in der Politik darum, was du aushältst.“

Neben seinen Beratertätigkeiten, mit denen er wohl das Vielfache eines Bundeskanzlers verdient, ist Gusenbauer Investor. Er hat sein Geld in einigen Start-ups angelegt, vor allem in Firmen, deren Produkte ihn interessieren, und hört dabei auf Tipps von Freunden, sagt er: „Ich bin da opportunistisch, es ist schließlich mein privates Geld, das ich investiere.“ Ich frage ihn, ob er mittlerweile ausgesorgt hat und wie viele Generationen nach ihm nicht mehr arbeiten müssen? „Die Frage stellt sich nicht. Ich könnte nicht daheim sitzen und nichts mehr tun. Arbeit ist ein wesentliches Element des Daseins, das ist ja auch eine Art der Erfüllung.“

Gusenbauer spricht langsam. Wenn er redet, dann ist das meistens druckreif. Er klingt live immer noch wie von Maschek synchronisiert, nur dass er mehr lateinische Redewendungen einbaut. Gusenbauer hat schließlich das große Latinum.

Er hat eine Wohnung in Barcelona, seit einiger Zeit auch ein Anwesen in der Wachau, auf den Terrassen rund um sein Haus wächst Wein, den er von Toni Bodenstein in einen dem Vernehmen nach ziemlich guten Grünen Veltliner verwandeln lässt. Jährlich gibt es nur ein paar Hundert Flaschen, sie werden nicht verkauft, sondern an Freunde verschenkt. Hans Peter Haselsteiner wird ein paar Flaschen daheim haben, René Benko auch, Andi Babler hingegen eher nicht.

Gusenbauer ist sich nämlich noch nicht so sicher, wie stark die SPÖ unter Babler werden wird. „Es kann gut gehen, aber es muss es nicht“, sagt er, „bisher hat er vor allem seine persönliche Meinung gesagt, aber als Parteichef muss man nicht zu allem was sagen. Das Design, wo die Partei unter ihm steht, muss erst erarbeitet werden.“ Mehr will er dazu aber nicht sagen.

Mittlerweile ist es über der Hermanngasse stockdunkle Nacht. Gusenbauer muss nach Hause, er muss gleich in der Früh für vier Tage zu einem Board-Meeting nach Miami: „Meinen HON Circle Status schaffe ich problemlos“, sagt er zum Abschied und lacht. Dafür braucht man 600.000 Flugmeilen in zwei Jahren.

Und zwar nicht in der Economy Class.

Markus  Huber

Markus Huber

ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.